DFB-Team - Joachim Löw im Gewand von Oliver Bierhoff: Ausreden und am Thema vorbei

Joachim Löw steht massiv in der Kritik.
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"Wir nehmen konstruktive Kritik immer an und setzen uns damit auseinander. Wir sind selbstkritisch und wissen, dass wir Fehler gemacht haben", sagte Löw zwar, brachte bei seinem Diskurs jedoch Argumente an, mit denen sich Nationalmannschaftsdirektor Bierhoff schon angreifbar gemacht hatte.

Im Einzelnen:

Das Corona-Argument

  • "Unterschiedliche Aufstellungen, unterschiedliche Belastungen, Verletzungen, kaum Trainingseinheiten. Das macht es extrem schwierig. Und wenn man sich im internationalen Fußball, in verschiedenen Ligen und bei verschiedenen Spitzenmannschaften umsieht, erkennt man, dass sich viele Mannschaften nicht so weiterentwickeln, wie man sich das vorstellt. Das ist auch für unsere junge Mannschaft nicht ganz so einfach."

Ja, der Spielplan ist voll. Ja, das Verletzungsrisiko ist hoch. Ja, taktische Inhalte lassen sich bei der Vielzahl an regenerativen Einheiten kaum vermitteln. All diese Probleme betreffen aber nicht nur die Mannschaft von Löw, sie betreffen jede.

Den Spaniern gelang es trotz widriger Umstände wie dem Ausfall von Mittelfeldregisseur Thiago oder der noch vor der Pause verletzungsbedingten Auswechslung von Kapitän Sergio Ramos, den Deutschen sechs Tore einzuschenken. Und die DFB-Elf war mit einem Altersdurchschnitt von 26,7 Jahren auch übrigens nicht ganz so jung, wie sie von den DFB-Verantwortlichen dieser Tage gemacht wird.

Auch Löws Vergleich mit den internationalen Spitzenvereinen hinkt. Real Madrid und der FC Barcelona etwa hatten schon vor der Corona-Krise massive Probleme, sich als Mannschaft weiterzuentwickeln. Real wurde vor allem dank überragender Individualisten wie Ramos spanischer Meister. Und Barca nahm nicht grundlos bereits im Januar einen von zwei Trainerwechseln in diesem Jahr vor.

Englische Topklubs wie der FC Liverpool oder Manchester City scheiterten in der abgelaufenen Champions-League-Saison indes mehr am eigenen Unvermögen als an den Begleitumständen der Corona-Krise. Und der FC Bayern legte während des ersten Lockdowns im Frühling eine beeindruckende Entwicklung unter Hansi Flick hin, die ihm den Triple-Sieg bescherte.

Kurzum: Es wäre in diesem zweifellos schwierigen Länderspieljahr mehr drin gewesen als eine Mischung aus holprigen Auftritten (Türkei, Schweiz, Tschechien, Ukraine) und einer Blamage (Spanien). Löw hätte bei seiner Pressekonferenz die Gelegenheit gehabt, seine eigenen Fehler und mögliche Lösungsansätze für das kommende EM-Jahr explizit aufzuzeigen. Das tat er nicht.

Stattdessen meinte er nur, die Spanien-Pleite sei "intensiv aufgearbeitet" worden. Das Kuriose dabei: Mit seinen Spielern hat Löw nach eigenen Angaben noch kein Wort über das 0:6 gewechselt. Das sei erst im Rahmen der kommenden Abstellungsperiode im März möglich. Wozu gibt es heutzutage eigentlich Videoanalysen?

Das Ergebnis-Argument

  • "Wir hatten 2019 insgesamt ein sehr gutes Jahr. Wir haben uns sehr gut entwickelt. 2020 ist die Entwicklung etwas stehen geblieben, aber wir sind überzeugt von dem Weg, den wir gehen."

Auch Bierhoff hatte eindringlich auf die erreichten Ziele (EM-Qualifikation, Verbleib in Liga A der Nations League) verwiesen und das Spanien-Spiel als einmaligen Ausrutscher abgetan. Sicher, die nackten Ergebnisse stimmten vor der nur einzigen Niederlage im Jahr 2020, sie täuschten aber über die spielerische Stagnation unter Löw hinweg, die bereits vor der WM 2018 eingetreten war.

Was den Bundestrainer ehrt: Er probierte im Zuge des Umbruchs sowohl taktisch als auch personell viel aus. Er warf einige junge Spieler ins kalte Wasser, ließ sein hinten Team mal mit einer Dreier-, mal mit einer Vierer-, mal mit einer Fünferkette verteidigen. Bei all seinen Experimenten vermochte er es jedoch nie wirklich, dieser mit reichlich Talent und auch Erfahrung versehenen Mannschaft eine klare Identität zu verleihen. Selbst gegen vermeintliche Underdogs erwies sie sich oft als fragiles Kollektiv. Zumal bis auf den späten 3:2-Sieg gegen Holland in der EM-Quali auch das Jahr 2019 keinen allzu großen Anlass für Aufbruchstimmung bot.

Das Leistungs-Argument

  • "Ich habe immer gesagt, wenn ich vor der Nominierung sehe, diese Mannschaft braucht dies oder jenes - dann werden wir das tun. Aktuell sehe ich keine Veranlassung, auch wenn wir einmal ein Spiel verloren haben."

Die Leistungen, das Spanien-Spiel ausgenommen, stimmen laut Löw also weitestgehend. Ein Blick auf die Anzahl der Gegentore in diesem Kalenderjahr (16) zeigt jedoch, dass gerade in der Defensive personelle Veränderungen im Hinblick auf die EM ratsam wären.

Löw, das untermauern seine Aussagen, denkt aber noch immer nicht ernsthaft darüber nach, einer der 2019 ausgebooteten Weltmeister zurückholen. Er nahm die Namen Jerome Boateng und Mats Hummels am Montag nicht einmal in den Mund. Auch zu einem Comeback von Thomas Müller, der der hochbegabten DFB-Offensive einen Schuss Routine und Gier geben würde, gab er keine explizite Stellungnahme ab.

Löw ließ sich zumindest ein Hintertürchen offen, indem er wie Bierhoff am Freitag weiter herumdruckste. Sympathiepunkte sammelt er damit nicht - nicht in der Öffentlichkeit und gewiss auch nicht bei den genannten Spielern, die hingehalten werden. Dass er parallel dazu verdiente, derzeit aber neben sich stehende Profis wie Toni Kroos vehement verteidigt, bestärkt den Eindruck, dass er nicht allzu viel auf das Leistungsprinzip gibt.

Das Fazit dieser auf wenigen schlagkräftigen Argumenten basierenden Pressekonferenz? Im neuen Jahr dürfte nicht mit allzu bedeutenden sportlichen Veränderungen zu rechnen sein - zumindest nicht vor den ersten Länderspielen im Frühling.

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