Die Fußball-Kolumne - Oliver Bierhoffs Welt: Rechtfertigungen, Ausflüchte und verdrehte Fakten

Oliver Bierhoffs erster öffentlicher Auftritt nach dem 0:6 in Spanien wird statt einer Ruck- zu einer Rechtfertigungsrede in eigener Sache, in der er sein Schicksal mit teilweise fadenscheinigen Argumenten an Bundestrainer Jogi Löw bindet.
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Oliver Bierhoffs erster öffentlicher Auftritt nach dem 0:6 in Spanien wird statt einer Ruck- zu einer Rechtfertigungsrede in eigener Sache, in der er sein Schicksal mit teilweise fadenscheinigen Argumenten an Bundestrainer Jogi Löw bindet. Die Fußball-Kolumne.

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Als Oliver Bierhoff zusammen mit Jürgen Klinsmann und Jogi Löw im Sommer 2004 die Kontrolle über die deutsche Nationalmannschaft übernahm, lösten sie einen frischen Wind aus. "Wir wollen Weltmeister werden", erklärte Klinsmann bei seiner Vorstellung mit Blick auf die Heim-WM 2006.

Was für eine 180-Grad-Wende zu seinem Vorgänger, dem immer defensiv und relativierend aufgetretenen Teamchef Rudi Völler, der nach der Kritik am trostlosen 0:0-Gekicke in Island 2003 seine legendäre Mist-und-Käse-Wutrede gehalten und jegliche spielerische Probleme seiner Rumpelfußballer mit einem Spruch gekontert hatte: "Es gibt keine Kleinen mehr."

Etwas mehr als 16 Jahre später saß am Freitag wieder Rudi Völler auf einer Video-Pressekonferenz des DFB, aber in Gestalt von Oliver Bierhoff. Jedenfalls erinnerten langjährige Beobachter die Aussagen des DFB-Sportdirektors in vielem an Völlers damalige Vernebelungstaktik.

Und das lag nicht nur daran, dass Bierhoff den Sensations-Erfolg von Rehhagels Mauer-Griechen bei der EM 2004 ganz im Sinne von Völler als Beispiel nannte, dass im Fußball jeder einen Titel holen könne. Oder darauf verwies, dass auch die Niederlande und Frankreich gegen kleinere Nationen verloren haben.

Oliver Bierhoff: Rechtfertigung statt Selbstreflexion

In seinem rund 90-minütigen Auftritt, der mit einem von einem PowerPoint-Feuerwerk begleiteten Eingangsstatement von 35 Minuten begann, war hingegen von Selbstreflexion nach einem misslungenen Jahr wenig zu sehen. Stattdessen entschuldigte er das schlechte Erscheinungsbild der DFB-Auswahl und das miserable Image von Jogi Löw wortreich.

Bierhoffs Fazit: Der spätestens nach dem 0:6-Debakel in Spanien höchst umstrittene Bundestrainer leiste gute Arbeit und habe alles im Griff, die Mannschaft habe bis auf den dadurch verpassten Gruppensieg in der Nations League alle Ziele erreicht und auch sonst gebe es wenig Grund zur Kritik.

Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich - das zeigten die größtenteils vernichtenden Reaktionen in den sozialen Medien und die spöttischen Kommentare mancher Medien. "DFB irritiert mit grotesker PK", schrieb etwa der Nachrichtensender NTV auf seiner Homepage, der zum TV-Partner der Nationalelf gehört, der RTL-Gruppe.

Statt eines Befreiungsschlags, den der DFB und Bierhoff angesichts der von ihm selbst erkannten "dunklen Wolke" sicher gut gebrauchen könnte, geriet die Veranstaltung zu einer Rechtfertigunsgsarie mit Ausflüchten und fadenscheinigen Argumenten - die Bierhoff teilweise als "Beweise" bezeichnete. Ein paar Beispiele:

Oliver Bierhoffs Aussagen im Faktencheck

  • "Ein einziges Spiel kann nicht Gradmesser in der Bewertung eines Trainers sein", wiederholte er die Begründung für Löws Verbleib. Tatsächlich aber war das 0:6 in Spanien nur der Tiefpunkt einer seit der WM 2018 anhaltenden Negativentwicklung.
  • "Eine Entwicklung ist 2020 nicht möglich gewesen. Das sieht man auch in der Bundesliga. Bayern kriegt vier Tore gegen Hoffenheim oder drei gegen Hertha", relativierte Bierhoff zudem die höchste DFB-Pleite seit 1931 mit dem schiefen Vergleich mit der einzigen Niederlage des Triple-Siegers im Jahr 2020 beim 1:4 in Hoffenheim.
  • "Alle fragen sich: Warum immer Länderspiele? Da frage ich mich: Warum diese langweilige Champions-League-Gruppenphase?", sagte er in völliger Verkennung der Realitäten. Einerseits, weil die bisherige Vorrunde trotz der Geisterspiele hochklassige und spannende Partien geboten hat. Andererseits, weil das Interesse an der Königsklasse schon seit Jahren nachgewiesenermaßen deutlich höher ist als das an den Nationalmannschaften.
  • "Wir haben natürlich die Sorge, dass wir eine schlechte EM spielen. Aber auch in Zukunft gibt es große Sorgen. Wir haben klare Anzeichen dafür, dass wir Probleme im deutschen Fußball haben", meinte Bierhoff mit Blick auf den fehlenden Nachwuchs und das schwache Abschneiden der jüngeren DFB-Jahrgänge. Verantwortlich dafür seit Januar 2018: Oliver Bierhoff.
  • "Es ist keine Sturheit von Jogi, er macht es, weil er davon überzeugt ist", sagte er zur Diskussion um den Verzicht auf Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller: "Erinnern wir uns, als es bei der WM 2014 eine große Diskussion über die Position von Philipp Lahm gab. Auch hier ist Jogi bei seiner Linie geblieben." Fakt ist hingegen: Löw stellte Lahm erst wieder nach rechts in die Viererkette, als sich Shkodran Mustafi verletzte. Unmittelbar davor hatte er noch in der Zeit erklärt, Lahm werde weiter im Mittelfeld spielen.

Oliver Bierhoff und Jogi Löw wie siamesische Zwillinge

Es gab neben ein paar Prisen Medienschelte noch weitere fragwürdige Aussagen, etwa: "Der Marktwert des Teams ist hoch gegangen", nachdem diese Woche in einer Studie der FAZ genau das Gegenteil zu lesen war. Oder der Taschenspielertrick per PowerPoint, dass man seit 2019 nur zwei Länderspiele verloren habe. Unterschlagen wurde dabei unter anderem, dass es gegen Tschechien und die Ukraine nur zu mühsamen Arbeitssiegen reichte und das Team insgesamt selten überzeugte.

Diese nur leidlich geglückte Vorwärtsverteidigung führte am Ende zum Eindruck, dass Bierhoff und Löw weiter wie siamesische Zwillinge für Wohl und Wehe der Nationalmannschaft stehen. Noch vor dem Spanien-Spiel hatte der Manager versucht, sich vom Schicksal des Bundestrainers zu lösen. Doch nachdem ihn Löw offenbar bei der finalen Krisensitzung am Montag für die fehlende Rückendeckung kritisiert hatte, soll sich Bierhoff entschuldigt und klar zu einer Zukunft mit Löw bekannt haben.

Zwar sei er "nicht Joachim Löws Anwalt", sagte der 52-Jährige am Freitag, dann aber rechtfertigte er auch die Arbeit seines wichtigsten Angestellten leidenschaftlich. "Ich kann Zweifel verstehen, bin aber fest von Jogi Löw und dem Trainerstab überzeugt", sagte er und bilanzierte das abgelaufene Jahr in rosarot: "Es ist ein tolles Ergebnis, das der Bundestrainer unter diesen Umständen und Schwierigkeiten erreicht hat."

Für Aufbruchstimmung aber hat Bierhoff mit seinem "Keine Experimente und weiter so"-Auftritt nicht gesorgt, sondern sich vielmehr endgültig an den Bundestrainer gebunden. Bei einem Scheitern bei der EM im Sommer dürfte neben Löw auch Bierhoff nicht mehr zu halten sein.

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