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NFL Legenden-Serie - Kurt Warner: Eine Geschichte wie keine andere

Bis heute hält Kurt Warner mehrere Super-Bowl-Rekorde.
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Man konnte Rams-Coach Dick Vermeil den Frust und die Wut förmlich ansehen, als er das Podium nach dem Preseason-Spiel gegen die Chargers betrat. Noch bevor sein neuer Hoffnungsträger Trent Green auch nur ein Regular-Season-Spiel hätte bestreiten können, hatte sich der neue Rams-Quarterback das Kreuzband gerissen. Die Saison war für ihn gelaufen.

"Die Spieler waren am Boden zerstört, mit ihm gingen viele Hoffnungen der Jungs dahin", berichtete Vermeil später und deshalb sah er sich auf der Pressekonferenz zu einer klaren Ansage gezwungen: "Du wirst emotional, weil es wehtut. Natürlich ist das so. Aber so ist dieses Geschäft. Wir werden Trent Green nicht als Entschuldigung benutzen. Wir werden uns alle hinter Kurt Warner stellen. Und wir werden guten Football spielen."

Vermeil stand hinter seiner ungewöhnlich emotionalen Ansage. Wie sehr er tatsächlich Recht haben sollte, wusste aber auch der Coach selbst nicht.

Wie im Märchen

Jahre später gab Vermeil das ganz offen zu: "Ich dachte, Kurt könnte ein solider Backup sein. Ein Spieler, mit dem wir bestehen können. Als sich Trent verletzt hat, habe ich unserem Team gesagt, dass wir mit Kurt gewinnen können. Aber ich habe nicht erwartet, dass wir dank ihm gewinnen können. Ich wünschte ich könnte mich jetzt hinstellen und sagen, ich hätte erwartet, dass Kurt so gut wird. Ich wusste, dass er spielen kann. Aber ich hätte nicht gedacht, dass er so großartig werden würde."

Warner machte aus einem 4-12-Team die "Greatest Show on Turf", eine der besten NFL-Offenses aller Zeiten. Um Running Back Marshall Faulk sowie die Receiver Isaac Bruce und Torry Holt herum wurde eine explosive Offensive geformt, in der Warner für 4.353 Yards warf und dabei 41 Touchdowns auflegte. Als einziger Quarterback in der NFL-Geschichte gelangen Warner bei den ersten drei Start-Einsätzen je drei Touchdown-Pässe.

Er bestach mit unglaublicher Genauigkeit, ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen und beeindruckte Mitspieler wie Coaches gleichermaßen. Die Rams entthronten Abo-Division-Sieger San Francisco und zogen zum ersten Mal seit 1989 in die Playoffs ein. Es war eine Saison wie im Märchen, in vielerlei Hinsicht ein unfassbares Jahr.

Warner, und selten passte dieser Ausdruck so gut und ist angesichts der Vorgeschichte doch so ironisch, eroberte die NFL im Sturm. St. Louis' Weg ging so bis in den Super Bowl, wo die Tennessee Titans warteten - es wurde ein spannendes Spiel mit sensationellem Finish. Die Titans kamen trotz 0:16-Rückstand zurück und glichen aus, ehe Warner das Ruder mit einem 73-Yard-TD-Pass auf Bruce wieder herum riss. Allerdings war Tennessee drauf und dran, die erste Super-Bowl-Overtime zu erzwingen. Am Ende fehlte Receiver Kevin Dyson nach dem Pass von Steve McNair ein einziges Yard bis zur Endzone.

Ein Held stürzt ab

An dieser Stelle in der Geschichte könnte man denken, dass wir kurz vor dem Ende stehen. Der Underdog, der alle Hindernisse überwindet und vom Tellerwäscher (oder in dem Fall: von der Supermarkt-Aushilfskraft) zum Super-Bowl-Champion und MVP wird und anschließend den Rest seiner Tage glücklich mit seiner Familie verbringt. Doch erst was anschließend folgte, machte aus der Hollywood-Story eine einzigartige Geschichte.

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Aber der Reihe nach: Ein Handbruch beendete die 2000er Saison für Warner vorzeitig, 2001 führte er die Rams nochmals mit 4.830 Yards und 36 Touchdowns in den Super Bowl - wo St. Louis überraschend gegen die New England Patriots verlor. Es folgte ein heftiger Abstieg. Verletzungen gingen Hand in Hand mit unerklärlichen und bislang für Warner unbekannten Interception-Problemen, er wirkte müde und ausgelaugt.

Immer mehr Leute hakten ihn ab und nicht wenige hielten Warner für eine Art 2-Season-Wonder, das in die Versenkung verschwinden würde, aus der er ursprünglich gekommen war. Im Juni 2004 trennten sich die Rams schließlich von ihrem einstigen Helden, Warner wurde entlassen. Selten war ein Spieler so dominant auf die Bildfläche gestürmt und hatte ein Team zum Titel geführt, nur um dann rein sportlich ebenso rasant und ebenso spektakulär abzustürzen.

Gänsehaut in der Wüste

Nur wenige Teams zeigten ernsthaftes Interesse, Warner entschied sich schließlich für die New York Giants. Ein Wendepunkt sollte das allerdings nicht werden: Nur bis zur Saisonmitte hielt er seinen Startplatz, dann wurde er nach einigen schlechten Spielen vom hochgelobten Rookie Eli Manning abgelöst. Auch der Offense-Stil - Warner hatte sich stets in einer Spread-Offense am wohlsten gefühlt - passte nicht, und so entschied er sich selbst, seine Option zu ziehen und das zweite Vertragsjahr verfallen zu lassen.

Der Markt für den Quarterback, der vermeintlich nichts mehr im Tank hatte, schrumpfte jetzt endgültig zusammen, ein Einjahresvertrag der Arizona Cardinals war das beste Angebot. Und Warner steckte sich bei seinem Einstand gleich hohe Ziele: "Ich habe das Gefühl, dass ich noch jede Menge Football in mir habe. Und ich glaube, dass wir mit den Spielern, die ich hier um mich herum habe, etwas Großes erreichen können. Ich hoffe, dass ich hier noch ein Kapitel schreiben kann, dass an meine Zeit in St. Louis ran kommt."

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Wieder aber funktionierte es nicht ohne Schwierigkeiten und Verzögerungen. Nach einer guten Saison unterschrieb er 2006 einen Dreijahresvertrag, nur um dann seinen Startplatz an den jungen Matt Leinart zu verlieren. Wie schon in New York zeigte sich Warner als guter Sportsmann und unterstützte seinen Konkurrenten. Leinart aber wackelte dennoch, so dass ihn Warner wieder ablöste.

Auf eine gute Saison folgte - wieder einmal - einer der unwahrscheinlichsten Playoff-Runs der NFL-Geschichte: Warner schrieb mit einem Cardinals-Team, das seit Jahrzehnten zum Bodensatz der NFL gehörte und nie irgendetwas mit den Playoffs zu tun hatte, eine Gänsehaut-Geschichte. Er war der klare Leader dieses Teams, das um Larry Fitzgerald sowie Anquan Boldin eine der besten Offenses der Liga hatte, Carolina, Atlanta und Philadelphia in den Playoffs ausschaltete und schließlich gegen Pittsburgh in den Super Bowl einzog.

"Bekommen mehr, wenn wir geben"

Arizona verlor das Spiel nach Warners 64-Yard-Touchdown-Pass auf Fitzgerald noch, weil Ben Roethlisberger mit einem sensationellen Schlussdrive die Partie spät dramatisch drehte. Nach der darauf folgenden Saison beendete Warner seine Karriere. Aus freien Stücken, aus eigenem Willen. "Wenn du aufhörst, dann hör auf, so lange du an der Spitze bist", erklärte er anschließend. Hier sind wir tatsächlich am Ende der Geschichte angelangt - zumindest was den Football-Aspekt betrifft.

Der Familienmensch Kurt Warner ist nach wie vor enorm engagiert, wenn es darum geht, Menschen zu helfen. Er arbeitet viel mit Kindern, lässt Spielplätze bauen, hilft Flutopfern und baut Häuser für sozial benachteiligte Familien. "Wir bekommen so viel mehr wenn wir geben, als wenn wir nehmen" wird er nicht müde zu betonen. Seine Karriere ist eine ungewöhnliche, eine einzigartige Story, "eine Geschichte, die sonst niemand hat und die es nicht noch einmal geben wird", ist sich Warner, der bis heute die drei Höchstwerte für Passing Yards im Super Bowl hält, sicher.

In jedem Fall ist sie filmreif - 20th Century Fox hat sich die Rechte jüngst bereits gesichert. Und wer weiß schon, was hätte sein können. Wer weiß, wie Warners Karriere ausgesehen hätte, wäre er in Green Bay geblieben. Oder nach Chicago gekommen. Oder was passiert wäre, hätte sich Trent Green nicht verletzt. Aber, und da ist sich Warner sicher, sein Weg musste genau so verlaufen.

"Ich wollte nichts daran ändern. Vielleicht hätte ich es, wie Tom Brady, sechs Mal in den Super Bowl geschafft, wäre ich für 15,16 Jahre beim gleichen Team geblieben, vielleicht wäre ich sofort in die Hall of Fame gekommen", gönnte sich Warner einen kurzen Blick zurück und lächelte: "Aber mein Leben ist so viel mehr, als das, was auf dem Football-Feld passiert."

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