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NFL Draft - Erkenntnisse nach Tag 1: Sind die Atlanta Falcons von allen guten Geistern verlassen?

Von Stefan Petri
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Tag 1 vom NFL Draft 2024 ist absolviert. Der Fokus auf die Quarterback-Talente war noch größer als sonst, spektakuläre Trades blieben vor 400.000 Fans in Detroit allerdings aus. Aber was dachten sich die Atlanta Falcons dabei, einen weiteren QB zu draften? Und was bedeutet das für Kirk Cousins? Die Erkenntnisse - und offenen Fragen - zur 1. Runde.

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Außerdem: Warum sich Top-Pick Caleb Williams glücklich schätzen darf, Star-Receiver Brandon Aiyuk zu haben ist - und die Kansas City Chiefs wieder zu alter Stärke zurückfinden könnten.

NFL Draft 2024: Alle Picks der 1. Runde im Überblick

In der Nacht auf Samstag beginnt um 1 Uhr deutscher Zeit Tag 2 der dreitätigen Veranstaltung. Dabei werden die Picks der zweiten und dritten Runde ausgewählt.

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NFL Draft: Warum draften die Atlanta Falcons einen Nachfolger für Kirk Cousins?

Es war der größte Schocker der Nacht: Was um alles in der Welt dachten sich die Falcons dabei, an achter Stelle einen Quarterback auszuwählen? Diese Baustelle im Kader hatten sie doch bereits in der Offseason geschlossen, als sie dem 35 Jahre alten Kirk Cousins ein Angebot machten, dass er beim besten Willen nicht abschlagen konnte: vier Jahre für bis zu 180 Millionen Dollar, 100 Millionen davon voll garantiert. Und nun wird sein Nachfolger gedraftet, bevor Cousins auch nur einen Ball geworfen hat?

Die Wahl von Michael Penix Jr. sorgte nicht nur bei Fans, Journalisten und übrigen Teams für große Augen - auch beim Team selbst war man sich womöglich nicht einig. Das zumindest suggerierten Fernsehbilder im Anschluss an den Pick, als General Manager Terry Fontenot eindringlich auf Teambesitzer Arthur Blank einredete. Dessen Verwirrung wäre zumindest nachvollziehbar: "Ich zahle mich für Cousins dumm und dämlich - und dann draftet ihr direkt den nächsten QB? In der ersten Runde!?" Cousins' Berater machte den Schlamassel dann perfekt, als er noch während des Drafts ein Statement abgab: "Ja, das war eine große Überraschung. Wir hatten keine Ahnung. Kirk wurde von den Falcons angerufen, als sie mit ihrem Pick an der Reihe waren. Zuvor war das nie zur Sprache gekommen."

Wie Cousins auf die Nachricht reagiert hatte, wollten Atlantas Entscheidungsträger nach dem Draft nicht verraten. Ihre Erklärung: Man hätte sich Penix - in den Augen der meisten Experten nur der fünftbeste Quarterback im Draft - einfach nicht entgehen lassen können. "Wenn man einen so guten Spieler bekommen kann, mit seinen Eigenschaften und Fähigkeiten ... er ist ein Siegertyp", beteuerte Fontenot. "Wir sind sehr zufrieden. Diese Möglichkeit darf man nicht auslassen." Und wie passt das mit Cousins zusammen? "Wenn Penix für vier oder fünf Jahre Backup wird, ist das ein Luxusproblem. Das würde nämlich bedeuten, dass wir auf der Quarterback-Position sehr stark sind."

Im besten Fall wird Penix also der Jordan Love von Cousins' Aaron Rodgers. Tritt dieser Fall ein, haben die Falcons alles richtig gemacht. Aber Penix ist beileibe keine sichere Sache: Beim Linkshänder kann man nach sechs (!) Jahren auf dem College kaum noch von einem Talent sprechen, im Mai wird er 24 Jahre alt. Außerdem erlitt er schon mehrere schwere Verletzungen, darunter zwei Kreuzbandrisse. Haben die Falcons tatsächlich erst Cousins einen Megavertrag gegeben und sich danach auf den letzten Metern des Draft-Prozesses in Penix verknallt? So richtig passt das nicht zusammen. Hätte Fontenot den Pick doch lieber in die extrem schwache Defense des Teams investiert.

Eine gute Sache hat der Pick für Cousins aber vielleicht doch: Es sieht danach aus, als würden ihn die Falcons in zwei Jahren - wenn sein garantiertes Gehalt größtenteils durch ist - durch Penix ersetzen wollen. Heißt: Bleibt er gesund, kann er als Free Agent womöglich noch einmal abkassieren!

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NFL Draft: Der Quarterback-Wahnsinn nimmt kein Ende

Dass im Draft drei Quarterbacks auf den ersten drei Plätzen landen würden, das hatte sich schon vor Monaten abgezeichnet. Es war außerdem nicht das erste Mal, dass das Treppchen vollständig von QBs besetzt wurde. Dreimal hatte es das schon gegeben, zuletzt 2021. Ein Trade auf den vierten oder fünften Pick für J.J. McCarthy, den vierten Quarterback im Bunde, blieb dann sogar aus.

Danach folgte aber noch eine zweite Lawine - weitere Quarterbacks an Position acht, zehn und zwölf. Vier QBs unter den Top-8 wäre schon ein neuer Rekord gewesen, sechs unter den Top-12 ist ebenfalls ein historisch gesehen einzigartiger Run.

Was lässt sich daraus ableiten? Dass es im Draft endgültig nur noch um Quarterbacks geht? So schlimm ist es noch nicht. Es war eher die Kombination aus einer sehr vielversprechenden Draft-Klasse und vielen Teams ohne Quarterback. Dass die Falcons dann aus dem Nichts zugriffen, beschleunigte den Run natürlich noch einmal - andernfalls wären Penix Jr. und Bo Nix wohl noch etwas länger auf dem Board geblieben.

Gleichzeitig lässt sich das Rad natürlich nicht mehr zurückdrehen. Drafts ohne einen Quarterback als Top-Pick - oder gleich mehreren Quarterbacks in den Top-3 - sind mittlerweile Ausnahmen, die die Regel bestätigten. Die Teams ohne Franchise-QB werden außerdem zunehmend aggressiver, selbst wenn die vermeintlich besten Talente schon weg sind. Einen Superstar kann man auch etwas später noch finden, das beweisen etwa Patrick Mahomes (10. Pick) oder Lamar Jackson (32. Pick). Nur: Finden muss man ihn eben, sonst ist stabiler sportlicher Erfolg kaum möglich - und der eigene Job vielleicht bald futsch.

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NFL Draft: Warum gab es keine fetten Trades?

Fast noch erstaunlicher als der frühe Run auf die Quarterbacks war die Tatsache, dass von diesen Picks nur ein einziger durch einen Trade vorbereitet wurde - und selbst dieser fiel ziemlich zahm aus: Die Vikings sprangen von Platz elf auf zehn, um die Jets daran zu hindern, den Pick an ein anderes Team abzugeben.

Warum blieben die möglichen, fast schon erwarteten Blockbuster-Picks aus? Das lässt sich so einfach nicht sagen, die entsprechenden Einzelheiten sickern zumeist erst Tage später durch - wenn überhaupt. Künstlich aufgebauscht war das Thema im Draft-Vorfeld aber nicht: So ziemlich jeder NFL-Insider wusste in den vergangenen Tagen von Teams zu berichten, die durchaus bereit waren, in der 1. Runde ein paar Picks nach hinten zu rücken - und von emsigen General Managern, die unbedingt in die Top-10 vorstoßen wollten.

Alles nur Fassade, um den Preis hochzutreiben? Das gehört natürlich auch immer dazu. Vielleicht verlangten die Cardinals an Position vier oder die Chargers an fünf einfach ein zu großes Picks-Paket, im Vertrauen darauf, dass sich schon irgendein verzweifelter GM finden lassen würde? Oder es war am Ende schlicht und ergreifend so: Die Top-3-Quarterbacks waren zu gut, um sie nicht zu nehmen - und die drei danach nicht gut genug, um sehr viel für sie zu bezahlen.

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NFL Draft: Die Show wird immer größer

Bilder aus der Innenstadt von Detroit am Donnerstagabend Ortszeit erinnerten mehr an eine Championship-Parade als an einen Draft. 1.500 Plätze waren vor der riesigen Bühne immerhin zu vergeben - doch wie die NFL mitten in der ersten Runde stolz verkündete, waren unglaubliche 275.000 Besucher in Richtung Bühne geströmt. Die Polizei erhöhte diese Zahl später gegenüber den Detroit News sogar auf 400.000. Damit wurde der Rekord von über 200.000 Fans an einem Tag beim Draft 2018 in Nashville pulverisiert.

Es ergibt irgendwie auch Sinn: Fans aller 32 Teams sind beim Draft vertreten, Fans aller 32 Teams haben im Normalfall auch etwas zu feiern - oder sich bitter über einen dämlichen Pick zu echauffieren. So oder so ist das Draft-Wochenende nach dem Super Bowl mittlerweile die zweitgrößte Veranstaltung im NFL-Kalender.

Dementsprechend groß wurde bei der knapp vier Stunden langen Veranstaltung am ersten Abend auch aufgefahren: Commissioner Roger Goodell kam gemeinsam mit Detroit-Legende Eminem auf die Bühne, der Rapper heizte die Menge an war auch für den einen oder anderen Scherz mit Goodell zu haben. Wenig später durften dann auch noch aktuelle Lions-Spieler und Franchise-Legenden dazustoßen, darunter Amon-Ra St. Brown, Ex-Receiver Calvin Johnson und NFL-Legende Barry Sanders. Wenn die NFL ruft, kommen alle. Eigentlich fehlte nur noch Paul Breitner in Ritterrüstung.

Goodell selbst war natürlich in seinem Element. Die Zeiten, zu denen der 65-Jährige von den Fans aktiv verabscheut wurde, sind lange vorbei, Buhrufe in seine Richtung sind längst gut integrierte Teile der Show. Spieler, Fans, Armee-Veteranen oder Make-a-Wish-Gewinner durften Picks ansagen, der Commish holte sich anschließend von den begeisterten NFL-Neulingen ungestüme Umarmungen ab. Skandale, Gehirnerschütterungen, schwammige Regeln, und und und? Wie weggeblasen. An der NFL perlt aktuell einfach alles ab.

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NFL Draft: Weitere Erkenntnisse

  • So wenig Defense gab es noch nie

Bisher war unter den Top-8 im Draft immer mindestens ein Defensivspieler gewesen. Dass dieser "Rekord" fallen könnte, war schon vor dem Draft klar. Tatsächlich aber wurde er praktisch "verdoppelt": Erst an 15. Stelle ging mit Laiatu Latu der erste Pass Rusher vom Board und nach Indianapolis. Insgesamt waren es nur neun Defensivspieler in Runde eins, auch das ist Negativrekord.

Spielt Defense also keine große Rolle mehr? Nein, in diesem Draft steckten auf dieser Seite des Balles schlicht und ergreifend keine offensichtlichen Supertalente. Andererseits ist es die logische Konsequenz aus der Wichtigkeit der Quarterbacks - denn wenn ich meinen Wunsch-QB habe, dann brauche ich gute Tackles in der O-Line, um ihn zu beschützen und gute Receiver, um seine Pässe zu fangen. Nur so lässt sich herausfinden, wie gut er überhaupt ist.

NFL Draft 2024, 1. Runde: Gedraftete Spieler nach Position

PositionSpieler
Offensive Line8
Wide Receiver7
Quarterback6
Pass Rusher5
Cornerback3
Defensive Tackle1
Center1
Tight End1
  • Caleb Williams hat keine Ausreden

Wo wir es gerade von Passfängern für Rookie-Quarterbacks hatten: Eine bessere Situation hätte sich Top-Pick Caleb Williams bei den Chicago Bears gar nicht wünschen können. DJ Moore war 2023 mit 96 Catches für über 1.300 Yards ein waschechter Nummer-eins-Receiver, per Trade kam mit Keenan Allen ein sechsfacher Pro-Bowler dazu - und dann sicherten sich die Bears mit dem neunten Pick auch noch Rome Odunze, einen der drei potenziellen Superstar-Receiver im Draft. Williams ist von Playmakern umgeben, derartige Vorzeichen hätte sich Justin Fields in der vergangenen Saison nur wünschen können ...

  • Ist Brandon Aiyuk zu haben?

Der 26 Jahre Receiver Brandon Aiyuk ist bei den San Francisco 49ers seit Jahren Leistungsträger und hatte großen Anteil daran, dass das Team in der vergangenen Saison im Super Bowl stand. Eine Vertragsverlängerung für den 26-Jährigen gab es allerdings noch nicht. Natürlich wolle man ihn halten, betont das Front Office, aber noch konnte man sich mit dem All-Pro-Wideout nicht einigen. Da der Markt für Top-Receiver mittlerweile bei 30 Millionen Dollar jährlich angekommen ist, bleibt die Frage, ob es sich das Team überhaupt leisten kann, Aiyuk zu halten - schließlich muss auch Quarterback Brock Purdy irgendwann bezahlt werden.

Interessenten für Aiyuk gibt es einige. So sollen die Patriots vor Beginn des Drafts an einem Trade gearbeitet haben. Gleichzeitig führten die Niners Gespräche darüber, im Draft nach oben zu rücken. Dabei ging es auch um Trades für Aiyuk und Deebo Samuel, letzterer ist also ebenfalls nicht unantastbar. Und dann draftete das Team an 31. Stelle auch noch Ricky Pearsall, einen weiteren Wide Receiver. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. "Wir hören uns alles an", sagte Head Coach Kyle Shanahan nach der 1. Runde. "Wenn die Möglichkeit kommt, das Team zu verbessern, dann macht man es auch."

  • Kansas City setzt auf Geschwindigkeit

Im Laufe der letzten Jahre hat die Offense der Kansas City Chiefs immer mehr an Explosivität verloren, Quarterback Patrick Mahomes musste mehrfach als halber Game Manager fungieren, so überschaubar waren die vorhandenen Wide Receiver. Dem Erfolg hat das keinen Abbruch getan, wie die Titel 2022 und 2023 beweisen.

2024 dürften die Chiefs aber wieder massiv über ihre Geschwindigkeit kommen. Erst wurde in der Free Agency Receiver "Hollywood" Brown verpflichtet, im Draft kam jetzt auch noch Xavier Worthy dazu. Brown lief die 40 Yards schon einmal in 4,27 Sekunden, Worthy stellte beim Combine mit 4,21 Sekunden in diesem Jahr sogar einen neuen Rekord auf. Keine guten Nachrichten für die Konkurrenz. Sollte Kansas City tatsächlich den Threepeat schaffen, wird man auch den Buffalo Bills die Schuld geben. Die machten den Pick mit einem Trade mit dem Erzrivalen von 28 auf 32 nämlich erst möglich.

Alle Infos zur NFL-Offseason 2024: So sehen die nächsten Wochen aus

NFL Draft 2024: Alle Picks im Überblick

Draft-RundePicksAnzahl der Compensatory Picks
11-32-
233-64-
365-1005
4101-1353
5136-1769
6177-22012
7221-2575

*Bis zu 32 Compensatory Picks werden vergeben, wenn Teams prominente Free Agents verlieren. Das Entwickeln von Coaches und Front-Office-Mitarbeitern, die Minderheiten entstammen, wird ebenfalls belohnt, wenn sie von anderen Teams verpflichtet werden.