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LSUs Joe Burrow: Dieser Quarterback ist plötzlich Tuas größter Konkurrent

Von Jan Dafeld
Joe Burrow ist mit LSU bislang noch ungeschlagen.
© getty

Joe Burrow ist der vielleicht beste Spieler der laufenden College-Football-Saison und ein legitimer Anwärter auf den Gewinn der Heisman-Trophäe. Sogar als Nummer-eins-Pick im NFL-Draft 2020 wird der Quarterback mittlerweile gehandelt. Was steckt hinter dem plötzlichen Aufstieg des 22-Jährigen? SPOX erklärt die Hintergründe.

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Zwölf Jahre liegt der letzte nationale Titel von LSU nun bereits zurück. Zwölf Jahre mit teilweise herausragendem Talent im Kader, vor allem in der Defense und ganz besonders in der Secondary - allerdings stets mit einem großen Fragezeichen auf der wichtigsten Position im American Football: der des Quarterbacks.

Jordan Jefferson, Ryan Perriloux, Brandon Harris, Danny Etling und Co. trieben Fans und Coaches der Schule reihenweise an den Rand der Verzweiflung. Seit dem letzten Titel stehen 84 Interceptions null All-SEC-Auszeichnungen für die LSU-Quarterbacks gegenüber. Mehr als nur eine Saison ging aus diesem Grund in die Brüche.

Doch die lange Durststrecke scheint ihr Ende gefunden zu haben. Ein junger Quarterback spielt plötzlich so auf, wie es kaum jemand von einem LSU-Quarterback für möglich gehalten hätte. Sein Name: Joe Burrow.

Joe Burrow: Wechsel von Ohio State nach LSU

"Er hat unseren Arsch gerettet", meint Head Coach Ed Orgeron, der Burrow nach drei Jahren hinter Braxton Miller, J.T. Barrett und Cardale Jones davon überzeugte, Ohio State endlich zu verlassen. Burrow folgte dem Ruf, ging dem erneuten Zweikampf um den Posten des Starting Quarterbacks, diesmal mit Dwayne Haskins, aus dem Weg und heuerte bei seiner neuen Schule an. Mit über einem Jahr Abstand lässt sich festhalten: Es war definitiv die richtige Entscheidung.

"Ich habe sie nicht gerettet", widerspricht der junge Quarterback seinem Coach. "Sie haben mich gerettet. Ohne Coach O und seinen Glauben an mich, wer weiß, vielleicht wäre ich nach Cincinnati oder North Carolina gegangen und würde dort nicht spielen."

Burrow ist dankbar für seine zweite Chance. Der 22-Jährige stammt aus Athens in Ohio, einem der ärmsten Bezirke der USA. Er weiß: Vielen in seinem Heimatort bieten sich keine zweiten Chancen. "Meiner Familie ging es gut, aber mehr als die Hälfte auf meiner Schule lebte unter der Armutsgrenze", erzählt Burrow. "Mit Leuten aufzuwachsen, die so wenig haben, gibt dir eine besondere Perspektive. Es lässt dich härter arbeiten und stärker sein."

Joe Burrow: Von Mitspielern geschätzt und geliebt

Seine Mitspieler schätzen diese Einstellung. Als Burrow im Sommer 2018 erstmals zu seinem neuen Team stieß, schnitt er in fast allen Konditionstests als Bester ab - mehr als ungewöhnlich für einen Quarterback im Wettbewerb mit Defensive Backs, Wide Receivern und Running Backs. "Mann, ich liebe diesen Typ einfach", zeigte sich Star-Safety Grant Delpit bereits damals beeindruckt.

Seine Arbeitseinstellung, seine Toughness und sein Wille verschafften Burrow innerhalb des Teams großen Respekt. Im Fiesta Bowl der vergangenen Saison gegen UCF warf er früh im Spiel einen Pick Six. Als der Quarterback zurück sprintete, um den Touchdown gegen sein Team zu verhindern, erwischte ihn Defensive Tackle Joey Connors mit einem Tackle aus dem Nichts. Burrow wurde völlig unvorbereitet getroffen, er hatte Connors in keinster Weise kommen sehen.

Doch als Orgeron seinen Backup-Quarterback zum warm machen schickte, um seinem angeschlagenen Starter eine Pause zu gönnen, baute sich dieser vor ihm auf und schrie: "Mich wechselst du nicht aus!" 28 Pässe später hatte Burrow 363 Passing Yards und vier Touchdowns auf dem Konto.

LSU gewann das Spiel mit 42:34.

"Ich weiß noch, wie ich mir dachte: "Wer ist dieser Typ?"", erinnert sich LSU-Center Lloyd Cushenberry. "Kurz darauf sitzt er im Locker Room mit den Offensive Linemen rum. Normalerweise bleiben die Quarterbacks unter sich. Aber Joe nicht. Er gehört zu uns."

Burrows Mitspieler hielten von Beginn an große Stücke auf ihren Quarterback. Eine derartige Leistungsexplosion, wie er sie in dieser Saison unter Beweis gestellt hat, hätten selbst diese ihm aber wahrscheinlich nicht zugetraut.

LSU: Joe Brady installiert völlig neue Offense

Der Hauptgrund dafür: Joe Brady. Der 30-Jährige übernahm in diesem Sommer die Rolle des Passing Game Coordinators bei LSU und noch vor seinem ersten Training mit dem Team stellte er seine Philosophie klar: "Quarterbacks sind keine Game Manager. Du kommst nicht nach LSU, um Spiele zu verwalten. Du sollst auf der größten Bühne herausragen."

Brady revolutionierte die LSU-Offense von Grund auf. Der ehemalige Wide-Receiver-Coach der Saints setzt auf deutlich mehr Spread-Elemente, die wiederum auf Run-Pass-Options und Drei-Receiver-Sets aufbauen. Zudem lässt Brady eine deutlich schnellere Offense spielen, die No-Huddle-Quote des Teams ist 2019 fast doppelt so hoch wie noch im vergangenen Jahr.

Burrow fühlt sich sichtlich wohl in diesem neuen System. "Das ist die Offense, dich ich schon auf der High School hatte und sie ist sehr ähnlich zu dem, was ich bei Ohio State gelernt habe", so der 22-Jährige. Als ein Reporter ihn fragte, inwiefern die Offense sich von der des Vorjahres unterscheide, antwortete er: "Wie viel Zeit haben Sie? Das ist etwas ganz anderes."

Tatsächlich erinnert kaum noch etwas an die LSU-Offenses der vergangenen Jahre. Zwischen 2004 und 2018 setzten die Tigers bei nur 35,4 Prozent ihrer Plays auf den Pass. Von 120 FBS-Schulen passten nur acht noch seltener. In dieser Saison belegt Orgerons Team landesweit Platz acht. Eine 180-Grad-Wende.

Joe Burrow: In fast allen Statistiken an der Spitze

Und die Ergebnisse können sich mehr als sehen lassen: Mit 3,87 Punkten pro Drive steht LSU landesweit auf Platz drei. In den fünf Jahren zuvor landete man kein einziges Mal in den Top-25. Kein Team hat mehr Punkte als LSU erzielt, in puncto Red-Zone- und Third-Down-Offense (gemessen an der Success Rate) belegen die Tigers jeweils Platz eins.

Burrow brilliert in der Offense Woche für Woche. Egal, welche Statistik man sich anschaut - ob klassisch oder advanced -, er gehört in praktisch jeder Kategorie zur absoluten Spitze. Nach sechs Spielen weist der 22-Jährige die zweitmeisten Passing Yards (hinter Anthony Gordon), die zweitmeisten Touchdown-Pässe (hinter Tua Tagovailoa), die zweitmeisten Yards pro Pass (hinter Jalen Hurts) sowie die beste Completion Percentage und das beste Quarterback Rating des Landes auf.

Mittlerweile bewegt Burrow sich auf geradezu historischen Pfaden. So viele Passing Yards oder Passing Touchdowns wie er wies zu diesem Zeitpunkt der Saison kein Heisman-Sieger in den letzten 15 Jahren auf. Mittlerweile ist er definitiv ein legitimer Anwärter auf die Trophäe für den besten College-Spieler. So mancher Experte hält Burrow sogar schon für den wahrscheinlichen Nummer-eins-Pick im NFL Draft 2020 - und nicht mehr Tagovailoa, der hier vielerorts schon fast in Stein gemeißelt schien.

"Meine Coaches vertrauen mir genug, dass sie meine Ideen mit in den Gameplan übernehmen", erklärt Burrow den eigenen Erfolg. "Sie lassen mich Checks an der Line of Scrimmage machen. So entwickelt man sich als Quarterback weiter."

Joe Burrow: Ein ernsthafter Heisman-Kandidat

Noch ist Tagovailoa bei den US-amerikanischen Buchmachern nach wie vor der (relativ) klare Favorit auf die Heisman-Trophäe. Burrow folgt in dieser Hinsicht mittlerweile gleichauf mit Hurts, Ohio States Justin Fields liegt bereits deutlich abgeschlagen auf Rang vier.

Doch der Tigers-Quarterback, den vor der Saison noch überhaupt niemand für diesen Award auf dem Zettel hatte, arbeitet sich Woche für Woche weiter nach vorne. Wer nach wie vor auf Burrows erstes schlechtes Spiel in dieser Saison wartet, könnte einiges an Geduld mitbringen müssen. Denn: Auch deutlich bessere Defenses konnten seinen Lauf bislang nicht stoppen.

Florida ging am vergangenen Sonntag mit der fünftbesten Verteidigung des Landes in das Duell mit den Tigers. Am Ende des Spiels hatten Burrow und Co. fast doppelt so viele Yards und mehr als vier Mal so viele Punkte aufgelegt als die Gators bis dahin im Schnitt zugelassen hatten. "Was auch immer sie versucht haben, wir haben sie es bereuen lassen", erklärte Burrow nach dem Spiel selbstbewusst. Der 42:28-Erfolg markierte Floridas erste Niederlage in dieser Saison.

Was ist das Erfolgsrezept des neuen Sterns am College-Football-Himmel? "Ich versuche nicht, jemand anders zu sein", meint Burrow. "Viele Coaches versuchen dir zu sagen, was für ein Typ Anführer du sein sollst, aber jeder ist anders. Tom Bradys Stil ist nicht der gleiche wie der von Matt Ryan. Jeder hat sein eigenes Rezept. Du musst deines nur finden."

Eins lässt sich mit Sicherheit feststellen: Joe Burrow hat sein Rezept gefunden.

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