Olympia kompakt: Zur Hölle mit Jack Sparrow

Von Jonas Rütten
Da staunst du Captain Jack: Die deutschen Segler sind so gut bei Olympia wie seit 2000 nicht mehr.
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5780 Gramm erbeutete die deutsche Delegation am elften Olympia-Tag. Ganz schön viel "Heavy Metal". Gleichzeitig war der Tag aus deutscher Sicht aber auch ein bisschen "beschissen", was aber weder etwas mit Jack Sparrow noch mit Edvard Munch zu tun hatte, obwohl beide heute eine Rolle spielten.

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Zwischen 556 (Gold) und 450 Gramm (Bronze) wiegen die Medaillen bei diesen Olympischen Spielen in Tokio. Und wenn am Ende des Tages aus deutscher Sicht summiert über 5,7 Kilogramm an schwerem Edelmetal rauskommen, ist das schon mal eine Ansage an Metallica und andere Heavy-Metal-Bands. Denn das ist ganz schön viel "Heavy Metal" - so viel wie noch an keinem Tag bei diesen Spielen.

Da waren zum Beispiel die Segler, die einmal Silber und zweimal Bronze holten und am Ende sogar die Story des Tages schrieben und die Wette des Tages eingingen (siehe unten). Es ist das beste Olympia-Ergebnis des DSV seit den Spielen in Sydney - oder wie es Silbermedaillengewinnerin Susann Beucke formulierte: "Alter Vadder, ey!"

Doch Deutschland ist nicht nur auf dem Wasser wieder wer, sondern auch auf dem Rad. Wo andere einen Drehwurm und nach fünf Highspeed-Runden im Velodrome entweder Krämpfe oder Brechreiz oder beides bekommen, ist der Bahnrad-Vierer der Damen sowas wie der Deutschland-Achter dieser Spiele. Nämlich eine absolute Bank.

Dreimal Weltrekord binnen 25 Stunden, Gold für das Quartett um Lisa Brennauer, Franziska Brauße, Lisa Klein und Mieke Kröger - und das in der Königsdisziplin. Wie man sowas schafft, erklärte Kröger: "Ich bin von Haus aus ein Dieselmotor."

Die Gold-Bank "Deutschland-Achter" ist jetzt ein Vierer: Der Bahnrad-Vierer der Damen gewann Gold in der Königsdisziplin Teamverfolgung.
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Die Gold-Bank "Deutschland-Achter" ist jetzt ein Vierer: Der Bahnrad-Vierer der Damen gewann Gold in der Königsdisziplin Teamverfolgung.

Olympia: Mihambo, Dauser und das Alkoholproblem

Ob auch Malaika Mihambo ein Dieselmotor ist, weiß man nicht. Sicher ist nur: Das war schon ähnlich maschinell. Brett um 19,5 Zentimeter verfehlt, aber trotzdem mit dem letzten Sprung kalt wie Eis zu Gold gehüpft. Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler trinkt Champagner, Lukas Dauser ist's nach seiner Silber-Performance am Barren egal, was er trinkt - Hauptsache Alkohol.

Allerdings hegte er Zweifel, ob das Angebot des DOSB vor Ort, ob die Vorräte reichen. "Muss ich mal nachfragen", sagte Deutschlands neuer Vorturner. Wollen wir nur hoffen, dass er früher dran war, als die Handballer. Denn die dürften das ein oder andere Frustgetränk nach dem Debakel im Viertelfinale gegen Ägypten benötigen. "Das ist ein beschissenes Gefühl", sagte Spielmacher Philipp Weber.

Keinen Schiffbruch, aber Herzbruch erlitten hingegen die Hockey-Herren, die das Halbfinale gegen Australien bitter und knapp verloren. "Wenn man so viel Herz reinschmeißt wie die Jungs, dann läuft man auch Gefahr, dass es zerbricht", sagte Hockey-Bundestrainer Kais al Saadi. Der Trostpreis wartet in der Nacht auf Donnerstag im Spiel um Bronze gegen Indien. Klebstoff fürs Herz.

Olympia: Wichtigste Entscheidungen des Tages (Vorschau auf Tag 12)

Lauf des Tages: 400 Meter Hürden-Finale der Männer

Es war das Highlight des elften Olympia-Tages. Eines der schnellsten Rennen der Olympia-Geschichte. Wenn selbst der Bronzemedaillengewinner den alten Weltrekord unterbietet, der zuvor 29 Jahre Bestand hatte und bis dahin nur einmal geknackt wurde, dann weiß man eigentlich gleich Bescheid. Wenn dann auch noch die zwei besten Läufer den bestehenden Weltrekord um Welten unterbieten, dann darf man durchaus von einem Jahrhundertrennen sprechen. Um 76 Hundertstel (!!) schlug der Norweger Karsten Warholm seine eigene Bestzeit vom 1. Juli und blieb als erster Mensch unter 46 Sekunden auf dieser Strecke. Ihr wollt noch mehr irre Dimensionen, um das heute erlebte einzuordnen? Aber gerne: Der Chemnitzer Marvin Schlegel schaffte in Tokio 46,39 Sekunden über die 400 Meter - aber ohne Hürden. Warholm war mit Hindernissen knapp eine halbe Sekunde schneller.

Bild des Tages: Warholm vs. Edvard Munch

Er pulverisierte einen Weltrekord, ist jetzt Weltmeister und Olympiasieger, feiert wie Robert Harting und könnte glatt Portrait stehen für Edvard Munch, der gerade seinen "Schrei" malt. Dürfen wir vorstellen: Karsten Warholm.

Geste des Tages: Armand Duplantis und Renaud Lavillenie

Nur für zwei kurze Phasen war das Stabhochsprung-Finale der Männer mal keine One-Man-Show. Einmal, als der US-Amerikaner Chris Nilsen es tatsächlich über die 5,97 Meter schaffte und einmal als ein sichtlich angeschlagener und vor Schmerzen kaum rund laufender Remaud Lavillenie ausschied und nur Platz acht belegte. Der Altmeister und Olympiasieger von 2012 hatte mit einer Knöchelverletzung zu kämpfen und stürzte beim Einspringen gar aus zwei bis drei Metern auf den Boden. Bisschen "beschissen" eben. Der Rest des Wettkampfes aber gehörte Armand Duplantis, der bis zu seinem dreifachen und denkbar knappen Weltrekordversuch über 6,19 Meter sich keinen einzigen Fehlversuch leistete. Als erster Gratulant für den hochverdienten Olympiasieger eilte Pechvogel Lavillenie zum Schweden und umarmte ihn innig. Hintergrund: Duplantis hatte immer Lavillenie als Vorbild, als kleiner Junge holte er sich gar ein Autogramm auf einem Poster ab, das er heute noch besitzt.

Der Altmeister und der Shootingstar: Remaud Lavillenie und Armand Duplantis verstehen sich bestens.
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Der Altmeister und der Shootingstar: Remaud Lavillenie und Armand Duplantis verstehen sich bestens.

Spitzname des Tages: "Silberbarren"

1926 brachte Kurt Tucholsky das Sprichwort "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte" durch einen Artikel in der Zeitschrift "Uhu" nach Deutschland. Frank Zander sang einst "Hier kommt Kurt". Eine Fusion der beiden gipfelt in einem der schönsten Bilder des elften Olympia-Tages von Lukas "Silberbarren" Dauser. Viel Spaß damit.

Pose und Jubelschrei: Lukas Dauser ist Deutschlands neuer Vorturner.
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Pose und Jubelschrei: Lukas Dauser ist Deutschlands neuer Vorturner.

Comeback des Tages: Simone Biles

Es war sicherlich nicht ihre beste Übung am Zitterbalken, aber eine für die olympischen Geschichtsbücher. Knapp eine Woche ist es her, da verließ Simone Biles nach der ersten Übung den Team-Wettbewerb, sprach hinterher von "mentalen und psychischen" Problemen. Am Dienstag trat sie trotz allem am Schwebebalken an - und gewann Bronze. Eine Medaille, die golden glänzte, bedenkt man die Umstände. Mit ihrer 32. Medaille bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften egalisierte sie zudem den Allzeit-Rekord von Larissa Latynina (UdSSR). "Es hat mir die Welt bedeutet, da wieder rauszugehen", sagte Biles. Wir halten es da mit Karl-Heinz Rummenigge und sagen: "Da ziehe ich meinen Hut und sage Champs-Elysee."

Story des Tages: Paul Kohlhoff

Vor dem Start ins heutige und abschließende Rennen der Klasse Nacra-17-Katamaran roch es schon nach einer deutschen Medaille. Das Duo Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer hätten nur auf Captain Jack Sparrow hören müssen und "bitte nichts Blödes anstellen" sollen. Doch sie fielen auf eine Attacke der Australier herein und mussten einen Strafkringel drehen. 250 Meter Rückstand. Medaille ade? Von wegen! Denn Kohloff weiß, wie man kämpft. Nicht nur im Rennen auf dem Katamaran, sondern auch im Leben. Denn dorthin hatte er sich einst zurückkämpfen müssen, als ihm 2017 in einer Not-Operation ein Blutgerinsel im Hirn entfernt werden musste. Angetrieben von seinem Traum von Olympia schaffte er es zurück an die Segelspitze und am Dienstag mit Partnerin Stuhlemmer tatsächlich zurück ins Rennen. Am Ende verteidigten sie Bronze. Also zur Hölle mit Jack Sparrow. Macht halt so viel Blödes, wie ihr wollt. Die Deutschen sind eh bessere Kapitäne und Segler.

Kollision des Tages: Dänemark vs. Großbritannien

Drama pur im Izu Velodrome! Bahnrad-Vierer der Männer-Verfolgung, zwischen Großbritannien und Dänemark geht es um den Einzug ins sogenannte Gold-Medal-Race. Also um das Rennen, nach dem sie dich mit Gold behängen und aus der Arena tragen. Dänemark ist kurz vor Ende nicht nur auf Siegkurs, sondern sogar auf Weltrekordkurs. Doch dann das: Der dänische Leader kollidiert mit dem Hinterrad des letzten Briten, der bereits Tempo rausgenommen hat. Sturz, Rennabbruch und nun? Die letzte Runde wurde aus der Wertung genommen, Dänemark fährt trotz allem morgen um Gold.

Wette des Tages: Susann Beucke/Tina Lutz

"Jetzt ist es so weit", sagte Susann Beucke lachend im Interview beim ZDF. Zuvor hatte sie erzählt, wie sie und ihre Segelpartnerin Tina Lutz einst "mit 16 oder 17 Jahren" darum gewettet haben, dass sie ihre ersten Kinder nach der Partnerin benennen müssen, sollten sie mal eine Olympia-Medaille gewinnen. Und ja in der tat, nun ist es so weit. Beucke und Lutz holten sensationell Silber im 49er FX.

Olympia-Sprüche des Tages

  • "Ich bin von Haus aus ein Dieselmotor." (Mieke Kröger nach dem Olympiasieg mit der Bahnradstaffel über ihren Fahrstil)
  • "Robert Harting hat mich immer inspiriert. Es war gut, dass ich es noch geschafft habe, das Trikot zu zerreißen. Ansonsten wäre das echt peinlich gewesen" (Karsten Warholm nach seinem Fabel-Lauf zu Gold und seinem Jubel in der Art der deutschen Diskuswurflegende)
  • "Wir werden mit einem Gläschen Champagner anstoßen. Ich bin sehr berührt, habe fast geheult." (Heike Drechsler, Weitsprung-Olympiasiegerin von 2000 zum Triumph von Malaika Mihambo)
  • "Der Olympiagott wollte einfach nicht, dass ich Olympiasieger werde" (Ringer-Weltmeister Frank Stäbler über sein Aus im Viertelfinale zum Karriereende)
  • "Ich werde den DOSB erst einmal fragen, ob sie genug Alkohol im Dorf haben, damit wir mit den Trainern das eine oder andere Bier trinken können." (Turner Lukas Dauser nach dem Gewinn der Silbermedaille am Barren)
  • "Ich kann jetzt friedlich sterben" (David Mascato, Betreuer und Ehemann von Teresa Portela nach ihrer ersten Olympia-Medaille 21 Jahre nach ihrem Debüt)
  • "Es hat mir die Welt bedeutet, da wieder rauszugehen. Ich hätte nicht erwartet, eine Medaille mitzunehmen." (Spitzenturnerin Simone Biles über ihre Bronzemedaille am Schwebebalken, nachdem sie zuvor aufgrund von mentalen Problemen das Mehrkampffinale abgebrochen hatte)

Olympia-Zahlen des Tages

  • 5,45: So viele Sekunden benötigte Speed-Kletterer Bassa Mawem ins Ziel. Der erste olympische Rekord in dieser Disziplin.
  • 3: Dreimal in Folge heißt die Olympiasiegerin im Hammerwurf jetzt Anita Wlodarczyk. Die Polin holte 2012, 2016 und 2021 Gold und ist die erste Leichtathletin, der das gelingt.
  • 6: So viele Olympia-Teilnahmen benötigte die spanische Top-Kanutin Maria Teresa Portela Rivas für ihre erste Olympia-Medaille. 21 Jahre nach ihrem Debüt in Sydney war es endlich so weit, "Teri", wie sie liebevoll genannt wird, holte Silber im Kajak über 200 Meter. "Jetzt kann ich sterben", sagte ihr Mann und Betreuer anschließend unter Tränen und hoffentlich nicht ganz ernst gemeint.
  • 7: Die Platzierung der deutschen Mannschaft nach 225 von 339 Entscheidungen (8-mal Gold, 8-mal Silber, 14-mal Bronze)
  • 19,5: Die Anzahl an Zentimetern, um die Malaika Mihambo das Brett bei ihrem letzten Sprung verpasste. Zu Gold reichte es bekanntermaßen trotzdem. Dominanz!
  • 21: Die deutsche olympische Segelmannschaft ist so gut wie seit den Spielen 2000 in Sydney vor 21 Jahren nicht mehr. Silber und zweimal Bronze am Dienstag. Oder um es mit den Worten von Susann Beucke zu sagen: "Alter Vadder, ey!"
  • 32: So viele Medaillen hat die Greatest of All-Time des Turnens Simone Biles nun bei Weltmeisterschaften und Olympia gesammelt. Damit zog sie mit der ewigen Rekordhalterin Larissa Latynina (UdSSR) gleich.
  • 76: Um so viele Hunderstel pulverisierte der Norweger Karsten Warholm den Weltrekord im Finale über 400 Meter Hürden. Warholm blieb als erster Mensch der Welt unter 46 Sekunden in dieser Disziplin.
  • 5780: So viel Gramm an Edelmetall heimste die deutsche Delegation an diesem elften Wettkampftag in Tokio ein. Ganz schön "Heavy" das "Metal".
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