Harry Kane zum FC Bayern München - und das irre Transfermarkt-Interesse: Der neue Rivale des Fußballsports

Harry Kane, FC Bayern München
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Die Begleiterscheinungen von Harry Kanes Wechsel zum FC Bayern München haben alle hierzulande je dagewesenen Dimensionen gesprengt. Ein paar Gedanken zum irren Transfermarkt-Interesse.

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Nach monatelangen Dauerspekulationen und finalen Verzögerungen war es am Freitagabend um 19.08 Uhr endlich so weit: Harry Kane landete am Flugplatz in Oberpfaffenhofen bei München. 68.500 Menschen verfolgten dieses Ereignis auf der Website Flightradar, im Nachhinein betrachtet hätte der FC Bayern also eigentlich über ein Public Viewing in der Allianz Arena nachdenken können.

Zur Info für die Wenigen, die nicht live dabei waren: Bei Flightradar sah man ein rotes Flugzeug-Symbol mit der Kennung D-CAWO, das so lange eine Linie hinter sich herzog, bis es in Oberpfaffenhofen zum Stillstand kam. Das war dann die Landung. Und ja, das ist exakt genauso unspektakulär wie es sich anhört. "Ich habe gar nicht gewusst, dass man sich das anschauen kann", sagte Kane bei seiner Vorstellungs-Pressekonferenz am Sonntagmittag - aber offensichtlich sei das eben "part of the experience".

Sekunden nach der Landung war das rote Flugzeug-Symbol aber eh schon egal. Denn dann kursierten bereits Videos von der tatsächlichen Landung des weißen Privatjets. Es folgten Videos, wie Kane vor dem Krankenhaus Barmherzige Brüder für die internistische Untersuchung in einem roten Audi vorfährt. Dann solche, auf denen er drinnen Treppen emporsteigt.

Spätabends sah man Kane schließlich am Klubgelände an der Säbener Straße 51 ankommen, es standen der abschließenden Teil des Medizinchecks und die Vertragsunterschrift an. Irgendwann winkte er aus einem Fenster. Unten jubelten rund 200 Fans, die ihren neuen "Harry, Harry, Harry" Kane besangen: "Harry, we love you!" Um es in Kanes Worten zu sagen: Diese Fans wollten die komplette Transfer-Experience!

Harry Kane
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Nichtigkeiten verlieren unglücklicherweise ihren Status

Für sich betrachtet sind das alles absolute Nichtigkeiten. Nichtigkeiten aber, die so viele Menschen interessieren, dass sie ihren rechtmäßigen Status als Nichtigkeiten unglücklicherweise umgehend verlieren. Geht es um Transfers von Fußball-Superstars, wird in unserer Zeit aus Irrelevantem urplötzlich Relevantes.

Der Kane-Transfer sprengte diesbezüglich alle in Deutschland je dagewesenen Dimensionen. Er war die vorläufige Krönung einer Entwicklung, deren Zustandekommen der berühmten Frage nach der Henne und dem Ei gleicht: Löste die umfassende mediale Berichterstattung das öffentliche Interesse daran aus, oder war es doch umgekehrt?

Mit seiner einstigen Begleiterscheinung Transfermarkt erwuchs dem guten, alten Fußballsport - Sie wissen schon, das Spiel mit den 22 Sportlern, den zwei Toren und dem Ball - in der hart umkämpften Unterhaltungsbranche jedenfalls ein neuer Rivale um die Konsumenten-Gunst. Klar, das ist etwas überspitzt formuliert. Klar, der Fußball bedingt den Transfermarkt erst. Klar, der Transfermarkt ist saisonal begrenzt - wobei er mittlerweile auch in den übrigen Jahreszeiten immer omnipräsenter wird. Klar, man kann auch beides gleichzeitig verfolgen.

Aber die Faszination für den Transfermarkt scheint immer weiter Überhand zu nehmen, während der Sport an sich zur Nebensache verkommt. Mittlerweile ist im Zweifel ganz offensichtlich das Interesse daran größer, wohin Fußballer (womöglich) wechseln, als wohin sie auf dem Platz laufen, passen oder schießen - beziehungsweise was jeweils dazu geschrieben oder gesagt wird. Das kann man als Fußball-Interessent schade finden, ist aber eine Tatsache.

Diese Entwicklung beweisen die Reichweiten der sogenannten Transfer-Experten um Guru Fabrizio Romano und dessen Nachahmer. Das beweist die aufgrund der gewaltigen Nachfrage umfassende Berichterstattung aller Medien über den Transfermarkt und seine Begleiterscheinungen. Natürlich auch auf SPOX und GOAL, wo das Interesse an Transfer-Meldungen permanent zunimmt, vor allem auch im Vergleich zu Fußball-spezifischen Inhalten.

Allianz Arena, FC Bayern München
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Harry Kane zum FC Bayern: Ein tadelloser Blockbuster-Transfer

Die Königsdisziplin dieses Fußballsport-Rivalen namens Transfermarkt ist der sogenannte Blockbuster-Transfer. Dieser Begriff ist schon dermaßen etabliert, dass ihn sogar der 33-jährige Thomas Müller aus dem oberbayerischen Örtchen Pähl kennt - so bezeichnete er jedenfalls die Verpflichtung seines neuen Rivalen aus England. Blockbuster-Transfer hört sich nicht nur nach großem Schauspiel an, genau das soll es auch sein.

Beim Protagonisten handelt es sich im Idealfall um einen waschechten Superstar. Einen wie Harry Kane eben, Kapitän der englischen Nationalmannschaft, Fast-Rekordtorschütze der Premier League. Einen, den man nicht nur auf dem alten Fußball-Kontinent Europa kennt, sondern auch in Asien und den USA. Den wichtigen Zukunftsmärkten.

Die Zahl der übrigen Teilnehmer eines solchen Blockbuster-Transfers ist anders als bei einem traditionellen Fußballspiel beliebig: Skrupellose Spielerberater dürfen mitmischen, großmäulige TV-Experten, ebenso Familienangehörige und mächtige Klub-Vertreter, am besten so schillernde wie beim Kane-Transfers. Hier der polternde Uli Hoeneß, dort der mysteriöse Daniel Levy.

Ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Gedanken, Forderungen und Angebote werden dann von besagten Transfer-Experten verbreitet. Wochenlang jagt eine Wasserstandsmeldung die nächste. Wegen der riesigen und immer weiter steigenden Nachfrage aufgegriffen und weiterverbreitet von sämtlichen um die Konsumenten-Gunst rivalisierenden Medien wie diesem Portal.

levy
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Jan-Christian Dreesen: "Das hat zur Auflage beigetragen"

"Das ist doch für Sie alle schön, das hat auch zur Auflage beigetragen", rief der Münchner Chef-Verhandler Jan-Christian Dreesen am Sonntag grinsend den Journalisten zu. Obwohl Hoeneß seinen FC Bayern eigentlich wieder "dicht" halten will, dürfte der ganze Transfer-Trubel um Kane auch dem Klub kaum geschadet haben. Wer in der Öffentlichkeit steht, weckt Interesse. Jede Werbung ist bekanntlich gute Werbung.

Dem einen oder anderen Beteiligten scheint das aber alles dennoch ein bisschen unheimlich zu werden. Leipzigs Geschäftsführer Max Eberl beispielsweise nannte die in Echtzeit veröffentlichten Wasserstandsmeldungen in einem SZ-Interview jüngst "eine Katastrophe": "Manchmal kommt es uns vor, als würden unsere Angebote schon getwittert, bevor wir sie abgeschickt haben."

Wenn es gerade partout keine neuen Wasserstandsmeldungen gibt, können Berichterstatter bei diesem Transfermarkt-Spiel gewissermaßen selbst zu Akteuren werden. Dann zeigt ein Reporter bei einer Pressekonferenz von Kanes Noch-Klub Tottenham Hotspur halt ein Bayern-Trikot mit Kane-Flock und wartet gespannt auf die Reaktion von Trainer Ange Postecoglou (und wie das entsprechende Foto viral geht). Oder Sky-Reporter Florian Plettenberg, der die Kane-Saga wohl intensiver als jeder Kollege verfolgte, bisweilen sogar besessen davon wirkte, ruft live auf Sendung: "Daniel Levy, wenn du das hier jetzt siehst: Nimm endlich das Ding an!"

romano
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Wie das Schauspiel zu einem globalen Phänomen avancierte

Einzelne Aspekte dieses Treibens sind regional schon lange zu beobachten. Frenetische Spieler-Empfänge in der Türkei beispielsweise. Und es ist auch kaum verwunderlich, dass der berühmteste Transfer-Guru aus Italien stammt. In Fabrizio Romanos Heimat gibt es drei Sport-Tageszeitungen, die rosa Gazzetta dello Sport ist sogar das reichweitenstärkste Blatt des Landes. In den Sommermonaten ohne Fußball müssen die vielen Seiten mangels Alternativen seit jeher mit Transfer-Gerüchten gefüllt werden.

Selbstverständlich wird auch hier in Deutschland schon immer über Transfers spekuliert, mittlerweile aber in einer gänzlich anderen Frequenz und Penetranz als noch vor wenigen Jahren. Zu einem globalen Phänomen avancierte dieses Schauspiel erst durch das Aufkommen der sozialen Netzwerke. Auf diesem Weg lassen sich Wasserstandsmeldungen blitzartig weltweit verbreiten (und überholen).

Der FC Bayern verzichtete lange weitestgehend auf Transfers fertiger Superstars aus ausländischen Top-Ligen. Die Münchner kauften lieber für vergleichsweise wenig Geld die nationalen Konkurrenten leer und aus dem Ausland dazu Noch-nicht-ganz-Superstars wie Arjen Robben oder Franck Ribéry. International betrachtet agierten sie damit allenfalls in der Transfermarkt-Europa-League. Um aber auch bei diesem Spiel ganz oben mitzumischen, braucht es Blockbuster-Transfers.

Kylian Mbappé
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Der FC Bayern München und die Superstars

Mit den Leihen von James Rodríguez und Philippe Coutinho näherte sich der FC Bayern an, dann kam im vergangenen Sommer Sadio Mané - und nun eben Kane. Es ist neben Lionel Messi zu Inter Miami vermutlich der spektakulärste Wechsel dieser Transferphase. Wenn man so will, greift der FC Bayern mit der Kane-Verpflichtung erstmals nach dem Titel in der inoffiziellen Transfermarkt-Champions-League.

Wie das aber so ist bei solchen Blockbuster-Transfers: Nach der offiziellen Verkündung, dem Debüt und der Vorstellungs-Pressekonferenz legt sich der Trubel. Statt Kanes Spiele gegen Bremen und Augsburg zu verfolgen, widmet sich der Transfermarkt-Fan womöglich lieber den nächsten heißen Fragen. Welchen neuen Keeper verpflichtet der FC Bayern? Verlieren die Münchner den inoffiziellen Transfermarkt-Champions-League-Titel in den letzten zwei Wochen der Transferphase noch an irgendeinen Klub, der sensationell Kylian Mbappé verpflichtet?

Weil Mbappé seinen 2024 auslaufenden Vertrag bei PSG nicht verlängern will, wurde er zwischenzeitlich sogar aus dem Profikader geworfen. Ihm drohte ein Jahr auf der Tribüne ohne seinem Kerngeschäft Fußball nachzugehen - aber auch das hätte das Interesse an seiner unklaren Zukunft sicherlich nicht verringert. Und wer wird dann überhaupt Mbappé-Nachfolger bei PSG? Vielleicht ja Harry Kane.

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