Liverpools Transfertaktik in der Offensive: Nachladen statt Umbruch

Von Stefan Petri
Darwin Nunez' Wechsel zum FC Liverpool ist perfekt.
© getty

Den FC Liverpool zeichnete über Jahre sein überragendes Sturmtrio aus Mohamed Salah, Sadio Mane und Roberto Firmino aus. Diese Ära neigt sich dem Ende zu, schon 2023 könnten alle drei den Klub verlassen haben. Die Reds um Manager Jürgen Klopp haben jedoch vorgesorgt - und das nicht zum ersten Mal.

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Beim FC Liverpool stand im Januar 2018 eine Neuordnung an: Als die Reds dem Wechselwunsch von Philippe Coutinho schließlich nachgaben und ihn für über 130 Millionen Euro an den FC Barcelona verkauften, musste Klopp seinen gefürchtetsten Offensivspieler ersetzen, und das im Winter. Unmöglich?

Nein, schließlich war der Kader bereits auf Coutinhos Wechsel "vorbereitet", wenn man so will: Mit Roberto Firmino (gekommen 2015 aus Hoffenheim), Sadio Mane (2016 aus Southampton) und Mohamed Salah (2017 aus Rom) hatte Liverpool eine neue Sturmreihe zusammen, die den Klub über Jahre prägen sollte. Die Pflichtspiel-Ausbeute des Trios in der Saison 2017/18: stolze 91 Tore.

Viereinhalb Jahre später steht in Liverpool erneut eine Zeitenwende an. Schon diesen Sommer dürfte das Trio gesprengt werden - der Wechsel Manes (Vertrag bis 2023) zum FC Bayern hängt an der Ablöse, von einer Einigung ist aber früher oder später auszugehen -, spätestens 2023 könnten sogar alle drei den Klub verlassen haben.

Salahs Vertrag läuft dann aus, und auch wenn er einen vorzeitigen Abgang ausgeschlossen hat, ist eine Vertragsverlängerung alles andere als selbstverständlich. "Geschockt" habe ihn sein siebter Platz bei der Wahl zum Ballon d'Or 2021, verriet er unlängst L'Equipe: Sind die Chancen bei einem anderen Klub vielleicht doch größer? Firminos Vertrag läuft ebenfalls noch bis 2023, auch er will bleiben, aber in puncto Gespräche blieb es in den letzten Monaten extrem ruhig.

Unmöglich, dieses an der Anfield Road längst legendäre Trio zu ersetzen? Nein, denn wie schon 2018 hat der Klub längst seine Hausaufgaben gemacht: Kaufe in der Zeit, dann hast du in der Not.

Liverpools Transferpolitik: "In die Zukunft schauen"

"Unsere Strategie ist es, die richtigen Spieler zum richtigen Zeitpunkt zu verpflichten", erklärte Manager Jürgen Klopp im Februar 2022. Sein Klub hatte gerade Luis Diaz vom FC Porto verpflichtet, einen 25 Jahre alten Linksaußen, für über 40 Millionen Euro.

Linksaußen, nominell eigentlich Manes bevorzugte Position. Ein Wechsel des Senegalesen war zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich ein Thema, aber "wir wissen um Probleme wie Positionen oder Verträge", so Klopp vielsagend: "Wir haben dieses Team schon lange zusammen, es ist fantastisch, eines der erfolgreichsten in der Geschichte dieses Klubs. Aber wir werden es niemals versäumen, in die Zukunft zu schauen."

In die Zukunft geschaut hatten die Reds um Transferplaner Michael Edwards schon im September 2020, als der Portugiese Diogo Jota kurz vor Schließung des Transferfensters geholt worden war, für eine ähnlich Summe wie später Diaz. Ein vielseitiger Mittelstürmer - eigentlich Firminos Position.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Reds gerade souverän den ersten Meistertitel seit 30 Jahren eingefahren, mit stolzen 18 Punkten Vorsprung - und wäre die Saison nicht durch Corona unterbrochen worden, es wären wohl noch mehr gewesen. Hochkarätige Abgänge in der Offensive standen nicht an, dafür aber eine gequetschte Saison mit unheimlich vielen Pflichtspielen. Der Kader war vorn einfach nicht breit genug. Und es war eine Verpflichtung mit Blick in die Zukunft. Stück für Stück übernahm Jota vor allem die Minuten Firminos - dessen Statistiken bauten ab, seine nahmen zu.

FC Liverpool: Statistiken der wichtigsten Offensivspieler im Vergleich (Tore/Assists)

Name2017/182018/192019/202020/212021/22
Philippe Coutinho12 T / 8 A
Daniel Sturridge3 T / 3 A4 T / 2 A
Divock Origi 7 T / 1 A6 T / 4 A1 T / 2 A6 T / 4 A
Roberto Firmino27 T / 17 A16 T / 8 A12 T / 14 A9 T / 9 A11 T / 5 A
Sadio Mane20 T / 9 A26 T / 5 A22 T / 12 A16 T / 8 A23 T / 5 A
Mohamed Salah44 T / 16 A27 T / 12 A23 T / 13 A31 T / 6 A31 T / 16 A
Diogo Jota 13 T / 1 A21 T / 8 A
Luis Diaz 6 T / 5 A

Jota, Diaz, Nunez: Liverpool vermeidet den Umbruch

Nach Jota folgte Diaz, und jetzt folgt Darwin Nunez: Der Doppel-Pokalsieger hat sich mit Benfica über den Wechsel des 22-jährigen Torjägers geeinigt. Als Ablöse werden zunächst 75 Millionen Euro fällig, mit Bonuszahlungen kann die Summe noch auf 100 Millionen Euro ansteigen. Nunez dürfte wohl ein neuer Rekordtransfer des Klubs werden (bisher 85 Mio. Euro für Virgil van Dijk).

Drei neue Spieler für die offensive Dreierreihe innerhalb von drei Jahren - das kommt doch bekannt vor.

Das Besondere an diesen Transfers: Sie wären - von der Stärkung des Kaders in der Breite abgesehen - eigentlich noch nicht nötig. Firmino (wird im Oktober 31), Mane (wurde im April 30) und Salah (wird am 15. Juni 30) sind zwar nicht mehr jung zu nennen, aber zum alten Eisen gehören sie ganz sicher auch nicht. Man könnte mit Fug und Recht vom berühmten "besten Fußballeralter" sprechen. Auch ein Leistungsabfall ist nicht wirklich zu beobachten, vielleicht bei Firmino, aber wenn er spielt, liefert er immer noch regelmäßig ab.

Warum also die Neuverpflichtungen? Klopp und Co. hätten ihren vollen Fokus auch auf Vertragsverlängerungen legen können: Firmino würde auf jeden Fall bleiben, und auch bei Mane und Salah gäbe es mit den entsprechend aufgestockten Gehältern wenige Argumente für einen Wechsel, ob nun sportlich, taktisch, beim Trainer oder beim Wohlfühlfaktor: Von den Fans werden sie vergöttert.

Liverpool hätte die gleiche Taktik fahren können wie der FC Bayern vor einigen Jahren mit Arjen Robben und Franck Ribery: Auf die langsam alternden, aber immer noch abliefernden Publikumslieblinge setzen - und dann, wenn es wirklich nicht mehr geht, folgt eben der Umbruch.

Liverpools Offensive: Schleichender Umbau statt Umbruch

Doch dieser Umbruch, der soll bei den Reds vermieden werden - und dem geneigten Leser wird aufgefallen sein, dass dieser Begriff bis zur vorigen Zeile in diesem Text ebenfalls tunlichst ausgespart wurde. Bei der unglaublichen Leistungsdichte der Premier League und dem Level von Konkurrent Manchester City an der Spitze wäre ein Umbruch einfach zu riskant. Stattdessen kann man von einem schleichenden Umbau sprechen, von einem bewussten Nachladen, damit immer genug Patronen in der Kammer sind.

Selbst wenn der eine oder andere Star dadurch vielleicht ein Jahr früher geht als nötig: Der Klub ist bereit. In den letzten Monaten spielte Mane in den wichtigen Spielen fast ausnahmslos Mittelstürmer, während Diaz sich auf der linken Außenbahn akklimatisieren konnte. War das schon die Vorbereitung auf den Nunez-Wechsel, der jetzt nahtlos in eine von Mane hinterlassene Lücke schlüpfen würde?

Darwin Nunez' Wechsel zum FC Liverpool ist perfekt.
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Darwin Nunez' Wechsel zum FC Liverpool ist perfekt.

Auszuschließen ist das nicht. "So machen wir das: Wir bauen ein Team für jetzt und für morgen", betonte Klopp. Dafür sind auch teure Transfers nötig - für Summen, gegen die er sich vor einigen Jahren noch gewehrt hatte. Aber: "Wir sind Liverpool, wir können nicht nur auf Talente setzen, von wegen: 'Wir schauen in zwei, drei Jahren und dann sind sie bereit.' Es muss immer eine Mischung geben."

Durchgemischt wird mit Nunez in der Spitze, und sollte mit Salah nicht verlängert werden, ist dem Klub durchaus zuzutrauen, dass im Winter der nächste Transfer ansteht, diesmal für die rechte Offensivseite. Wobei dafür wohl auch ein bisschen frisches Geld in der Kasse nicht schaden würde. "Unsere Haltung ist klar", sagte Klopp nach dem Diaz-Deal: "Wir geben nur das aus, was wir einnehmen. Nehmen wir mehr ein, geben wir mehr aus. Nehmen wir weniger ein, dann eben weniger."

Aussagen, die den Bayern-Fans Hoffnungen auf einen Mane-Wechsel machen sollten. Die Liverpool-Anhänger hoffen derweil auf viele weitere Jahre in der europäischen Elite. Auch nach der Ära Salah-Mane-Firmino.

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