"Es gibt keine Worte für ihn": Warum Real Madrid ohne Toni Kroos aufgeschmissen wäre

Von Patrik Eisenacher und Thomas Hindle
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Toni Kroos ist bei Real Madrid wieder unumstrittener Stammspieler und Strippenzieher. Warum die Königlichen ohne den 34-Jährigen aufgeschmissen wären.

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Thomas Müller rutschte vor Entsetzen nur noch ein "What the Fuck!" heraus. Im Halbfinal-Hinspiel der Champions League zwischen dem FC Bayern München und Real Madrid (2:2) konnte auch er dem Pass von Toni Kroos nur noch hinterherschauen. Sein deutscher Nationalmannschaftskollege hatte in der 24. Spielminute den perfekten, ach was, ein Gemälde von einem Pass auf Vinicius Jr gespielt - vorbei an allen Bayern-Spielern. Der Brasilianer war plötzlich alleine vor Manuel Neuer und erzielte lässig den Führungstreffer.

Dieser Moment, der Müller zum Kochen brachte, war sinnbildlich für Kroos' Saison bei Real Madrid. Er gab bis jetzt so viele Assists wie zuletzt vor drei Spielzeiten und ist derzeit vielleicht sogar ein bisschen wichtiger als sonst für seine Mannschaft.

Noch vor wenigen Monaten stand ein Abschied von Real und ein Karriereende im Raum für den damaligen Ex-Nationalspieler. Doch mittlerweile steht der 34-Jährige kurz vor einer Verlängerung bei den Blancos und ist unumstrittener Schlüsselspieler - bei Real und in der deutschen Nationalmannschaft.

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Die Tage von Toni Kroos bei Real Madrid waren eigentlich schon gezählt

Vor etwas mehr als einem Jahr sah das alles noch komplett anders aus. Die Saison 2022/23 war eine schwierige für Real. In LaLiga krönte sich der FC Barcelona trotz einiger Schwächen zum Meister und in der Champions League hatten die "Königlichen" das Nachsehen gegen ein schier übermächtiges Manchester City.

Überall auf dem Spielfeld gab es kleine Fragezeichen. Kroos wurde von Fans und Trainer Ancelotti gleichermaßen als potenzielles Problem ausgemacht. Im Januar 2023 schien Ancelotti sogar anzudeuten, dass sowohl Kroos, als auch sein langjähriger Mittelfeldpartner Luka Modric sich auf den "Moment des Übergangs" vorbereiten sollten. Die Botschaft war klar: Beide werden öfter auf der Bank sitzen, ihre Tage waren gezählt. Mit Aurélien Tchouaméni, Federico Valverde, Eduardo Camavinga und Jude Bellingham war die neue Generation an zentralen Mittelfeldspielern ja schon bei Real. Sie standen für eine neue Ära.

Und da die Leistungen von Kroos damals nicht überragend waren, hatte er selbst keine Ansprüche zu vermelden.

Zu Saisonbeginn Bankdrücker - in der heißen Phase Stammspieler

In seinem Podcast "Einfach mal Luppen" mit seinem Bruder Felix sprach Kroos im Sommer 2023 überraschenderweise eine Warnung an Reals Neuzugang Bellingham aus. "Wir hatten jetzt auch jemanden, der für viel Geld gekommen ist und seine Karriere quasi hat ruhen lassen. Da würden alle auch im Nachhinein sagen: Das war kein so guter Transfer. Aber gehen wir mal vom Positiven aus", sagte der gebürtige Greifswalder und bezog sich dabei auf Eden Hazard.

Es wurde positiv. Für alle Beteiligten. Jude Bellingham entwickelte sich in Rekordzeit zum momentan wohl besten Spieler des Planeten, zum Sechser, Achter, Zehner, Stürmer in Personalunion, zum Gesicht der neuen Galácticos, zu denen auch Vini Junior gezählt werden muss. Und Kroos zum Denker, Lenker und Vater dieser neuen Galaktischen.

Ancelotti änderte seine Taktik im Sommer 2023, so dass Kroos mit mehr Freiheiten spielen konnte. Er erntete sogar Lob von Bellingham selbst, für einen genialen Pass im Testspiel gegen Juventus Turin (1:3).

Kroos stand dann allerdings nur in zwei der ersten fünf Saisonspiele in der Startelf, Ancelotti bevorzugte Federico Valverde, Aurélien Tchouaméni und Eduardo Camavinga. Doch sobald er seine Chance bekam, wurde Kroos zum Schlüsselspieler. Am 24. September stand er im Derbi Madrileño gegen Atlético Madrid in der Startformation und hat seinen Stammplatz seitdem nicht mehr hergegeben.

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Toni Kroos: Trotz nachlassender Physis weiterhin genial

Als Bellingham letzten Sommer von Borussia Dortmund kam, war Ancelotti zu Änderungen gezwungen. Da es nach dem Abgang von Karim Benzema keinen gelernten Stürmer gab, entschied sich Ancelotti dafür, Bellingham als offensiven Mittelfeldspieler einzusetzen, ein Trio positionierte er hinter dem Engländer. Mittlerweile spielt Real in einer Art 4-2-3-1 oder 4-4-2 mit einer Mittelfeld-Raute.

Kroos hat sich in diesem System gut angepasst. Auf der linken Seite, mit Tchouaméni, Camavinga oder Valverde an seiner Seite, kann der 34-Jährige seine bevorzugten Räume besetzen und aus der Tiefe heraus orchestrieren. Seine nachlassende Athletik, die in der vergangenen Saison so oft zum Vorschein kam, gleicht er durch noch mehr Spielintelligenz aus.

Kroos ist zwar kein ganz kompletter Mittelfeldspieler mehr, aber er ist nach wie vor ein großartiger Taktitgeber, Tempomacher und Passgeber.

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Toni Kroos: Als Passgeber so gefährlich wie lange nicht

Unter den richtigen Umständen macht sich Kroos auch in der Offensive ein. Sein Assist gegen die Bayern war nichts Neues für den vielleicht besten Passgeber des letzten Jahrzehnts.

Die Zahlen deuten auf das Gleiche hin. Laut dem Datenerfasser FBRef liegt Kroos bei den progressiven Pässen und den Pässen ins letzte Drittel unter den Mittelfeldspielern vor 99 Prozent seiner Konkurrenten. Was Torschussvorlagen angeht, ist er besser als 93 Prozent, bei den Schlüsselpässen besser als 96 Prozent. Nimmt man alles zusammen, spielt Kroos seine beste Saison seit 2020.

Mit besseren Abschlüssen seiner Teamkollegen - Vinicius und Rodrygo haben auch einiges liegen gelassen - könnte Kroos auch schon im zweistelligen Bereich liegen.

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Toni Kroos: Auch Julian Nagelsmann wollte ihn unbedingt zurück

Die EM 2024 in Deutschland steht vor der Tür. Lange war darüber spekuliert worden, ob die DFB-Elf nach Jahren enttäuschender Leistungen nicht einen Toni Kroos brauche. Als Julian Nagelsmann im September 2023 von Hansi Flick übernahm, dauerte es nicht mehr lange, bis das Telefon in Madrid klingelte - und der 34-Jährige stimmte einer Rückkehr zu.

Der Mittelfeldspieler gab im März 2024 sein lang erwartetes Comeback in der deutschen Nationalmannschaft und stand zweimal in der Startelf, gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1).

Auch bei der EM wird Kroos Stammspieler sein - mit ihm lief es direkt besser, die Euphorie vor dem Turnier in Deutschland ist plötzlich vorhanden.

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Toni Kroos stimmte Carlo Ancelotti um

Die letzten Monate haben auch Ancelottis Sicht auf Kroos geändert: "Es gibt keine Worte für ihn. Er ist ein Spitzenspieler. Er ist wichtig für uns", sagte er nach dem 2:2-Unentschieden der Blancos in der Champions League gegen die Bayern.

Kroos hat sich in nur etwas mehr als einem Jahr vom Abstellgleis ins Rampenlicht gespielt. Obwohl er noch keinen neuen Vertrag unterzeichnet hat, wird erwartet, dass er bald um weitere zwölf Monate verlängert. Andere altgediente Spieler wie Modric und Nacho werden wohl ablösefrei gehen müssen. So ist Kroos das wohl letzte Überbleibsel der alten Generation. Und er möchte weitermachen. Umstimmen könnte ihn vielleicht nur, wenn er im Sommer nach der spanischen Meisterschaft auch noch die Champions League und die EM gewinnen würde.

Ancelotti wird in der nächsten Saison den wohl besten Kader im Weltfußball zur Verfügung haben, die meisten seiner Spieler sind 25 Jahre oder jünger. Kroos ist mit seinen 34 Jahren zwar ein Ausreißer, aber im Moment ist er einfach zu gut, um ihn abzugeben. Los Blancos wären ohne ihn aufgeschmissen.