FC Liverpool - Jürgen Klopps Co-Trainer Peter Krawietz im Interview: "Ich habe für diese Mannschaft gar nicht genügend Worte"

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Krawietz: Thiago? "Wer das nicht sieht, dem ist nicht zu helfen"

Kurz nach der Corona-Pause wechselte Thiago vom FC Bayern nach Liverpool. Er hatte keinen leichten Start und wurde anfangs mehrfach kritisiert. Mittlerweile ist er nicht mehr aus der Mannschaft wegzudenken. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?

Krawietz: Thiago ist der fleischgewordene Ballbesitz - als habe er sechs Brüder, mit denen er die ersten zehn Jahre seines Lebens ausschließlich Fünf gegen Zwei gespielt hat. (lacht) Wer nicht sieht, dass das ein unglaublicher Fußballspieler ist, dem ist nicht zu helfen. Er hat sich bewusst dafür entschieden, genau in Liverpool eine neue fußballerische Herausforderung anzugehen. Jeder, der nach England und auch nach Liverpool kommt, stellt dann aber fest, dass es hier ein bisschen anders zur Sache geht: andere Spielweise, stärkere Liga, höhere Intensität in allen Spielsituationen.

Lagen seine anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten vor allem daran, dass er in den Jahren zuvor in Barcelona und München eine andere Art von Fußball gewohnt war?

Krawietz: Da möchte ich widersprechen. Das ist keine andere Art von Fußball, sondern es sind genau dieselben Ideen. Auch in Barcelona und München beschäftigt man sich damit, wie man den Ball möglichst schnell zurückholt, um ihn möglichst lange in den eigenen Reihen zu haben. Die Mentalität des englischen Fußballs zusammen mit der großen Qualität der in jedem Team vertretenen Weltklassespieler ergibt einfach nochmal einen Extra-Schub an Intensität. Dass wir dann in Liverpool die eine oder andere Besonderheit haben, wie wir im Detail verteidigen wollen, daran hat er sich anpassen müssen. Das geht über Kommunikation, Videostudium, Training. Das war jedoch ein ganz normaler Prozess, an dem er sich sehr aktiv beteiligt hat.

Sie sprechen von einem normalen Prozess, für viele englische Medien war der bereits frühzeitig vollzogen und das Urteil gesprochen: Thiago passe nicht zu Klopps Fußball.

Krawietz: Dass es aber um eben diese Details geht, ist völlig normal und genau das, was die Aufgabe ausmacht. Jeder, der in eine neue Mannschaft mit einer wie bei uns gewachsenen Struktur kommt, in der das Team seit Jahren mit demselben Trainer an diesen Details arbeitet, sieht sich damit konfrontiert. Dieser Prozess dauert mal länger und mal kürzer. Länger besonders dann, wenn für solche Anpassungen aufgrund der vielen Spiele so gut wie keine Trainingszeit zur Verfügung steht. Zusammen mit dem medialen Hype und dem Druck, unter dem alle stehen, erlaubt man solche Prozesse nicht mehr und fällt stattdessen sehr frühzeitig ein Urteil. Das ist für uns, die an der Materie arbeiten, natürlich totaler Humbug.

Stichwort Anpassungsfähigkeit: Die kennzeichnet auch den Spielstil von Real Madrid unter Trainer Carlo Ancelotti. Seit der K.o.-Phase der Champions League spielt Real anders als in der Primera Division: weniger dominanter Ballbesitz, mehr Konterfußball. Rechnen Sie im Finale mit einer erneut eher zurückgezogenen, abwartenden Herangehensweise?

Krawietz: Wir rechnen mit einem wahnsinnig starken Gegner. Real zeichnet seit Jahren der irre Erfahrungsschatz gepaart mit exzellenten jungen Spielern aus. Ein Finale ist immer nur ein Spiel und sehr häufig geprägt von abwechselnden Spielphasen, in denen sich beide Teams immer wieder ein Übergewicht erspielen. Davon gehe ich erneut aus. Real kann dominant sein, sie können allerdings auch tief verteidigen und gut kontern. Dazu haben sie Spieler, die in der Lage sind, ein Momentum zu kreieren, das das Team aufdrehen lässt. Gerade das hat Real in den Spielen der K.o.-Runde ja ausgezeichnet, dass sie sich aus schwierigen Momenten mit genialen Offensivaktionen befreit haben.

Krawietz: "Das geht einfach nicht, Stichwort Biologie"

Das CL-Endspiel wird das 63. Pflichtspiel der Reds in dieser Saison sein. Erstmal seit Ihrer Zeit in England fand zwischen dem 24. Januar und 5. Februar für zwei Wochen kein Spiel statt. Wie hat man in Liverpool diese Mini-Winterpause genutzt?

Krawietz: Da wir einige Spieler für die WM-Qualifikation in Südamerika und den Afrika Cup abstellen mussten, hatten nur ein paar Spieler ein freies Wochenende. Mir ist schon klar, dass es für all diejenigen, die diese Intensität nicht fühlen, schwer vermittelbar ist, und ich will auch gar nicht jammern. Doch die Belastung, der die Spieler ausgesetzt sind, ist und bleibt einfach zu hoch. Das ist schlicht und ergreifend Biologie. Es braucht viel mehr Ruhephasen, doch die gibt die Dichte des fast schon überquellenden Spielplans nicht her. Daher sind bei uns die Jungs, die vermeintlich in der zweiten Reihe stehen, die eigentlichen Spieler, die unseren Erfolg in dieser Saison möglich gemacht haben - weil sie funktionierten, wenn wir sie eingesetzt haben. Das hat den Unterschied für uns ausgemacht.

Zur kommenden Premier-League-Saison sind erstmals fünf statt drei Auswechslungen erlaubt, wofür man nicht nur in Liverpool vehement gekämpft hat. Welche Änderung stünde als nächstes auf Ihrer Wunschliste?

Krawietz: Man kennt ja das Extrembeispiel: Ein Nationalspieler läuft in Südamerika in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch um drei Uhr auf das Spielfeld, setzt sich anschließend ins Flugzeug und muss samstags um 12.30 Uhr bei einem Auswärtsspiel in England parat stehen. Das geht einfach nicht, Stichwort Biologie. Was ich daher sehr interessant fände: Dass man unabhängig von den Interessen der TV-Anstalten zwischen zwei Spielen eine gewisse Ruhepflicht von beispielsweise 72 Stunden für einen Spieler ansetzt, um ihn vor Verletzungen zu schützen. Ich weiß aber leider auch, dass dies wohl ein Wunsch bleiben wird.

Abschließend noch eine Frage mit einem Augenzwinkern: Als sich Klopp rund um den Jahreswechsel mit dem Corona-Virus infizierte, übernahmen Sie vor dem Pokalspiel gegen Shrewsbury erstmals die übliche Pressekonferenz. Wie war's und wie fiel Klopps Bewertung aus?

Krawietz: Positiv. Das war für mich kein Problem, aber eine verzwickte Situation. Wir hatten kurz zuvor eine Vielzahl an positiven Corona-Fällen zu beklagen und waren alle zu Hause, um uns zu isolieren. Das Spiel war aber unverrückbar, also mussten wir irgendwie eine Mannschaft basteln, die dort auflaufen konnte. Ich wurde angehalten, nicht zu verraten, wie viele und welche Spieler ausfallen oder zur Verfügung stehen. Doch das war freilich genau das Interesse an dieser PK. Das wurde daher eine kuriose Angelegenheit, weil ich stets sagen musste: Wir müssen die Situation abwarten! (lacht)

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