Marcos Llorente, Atletico Madrids Phönix aus der Asche: Plötzlich Stürmer, plötzlich wichtig

Von Filip Knopp
Marcos Llorente bei seinem zweiten Tor gegen den FC Liverpool. James Milner kommt zu spät.
© imago images/Focus Images

Ursprünglich für das zentrale Mittelfeld verpflichtet, ist Marcos Llorente bei Atletico Madrid als Angreifer zu einem Leistungsträger avanciert. Fast im Alleingang verpasste er dem FC Liverpool den K.o. in der Champions League. Wird RB Leipzig (21 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER) sein nächstes Opfer?

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Wenn ein Fußballer davon spricht, dass er seinen Kindern und Enkeln eines Tages von einem Ereignis aus seiner Karriere erzählen wird, dann muss schon etwas Einmaliges geschehen sein. Es sind schließlich Worte, die suggerieren: Diese Geschichte ist so bedeutend, dass sie ewig am Leben bleiben und über Generationen weitergegeben werden soll.

Marcos Llorente hat bereits jetzt, im Alter von 25 Jahren, eine Erfahrung gemacht, mit der er rechtfertigen konnte, diesen Satz auszusprechen. Nachdem der 30 Millionen Euro teure Neuzugang von Atletico Madrid den Erwartungen nach seiner Ankunft von Stadtrivale Real lange nicht gerecht werden konnte, sollte an einem denkwürdigen Abend des 11. März ausgerechnet er zum Helden avancieren und dem amtierenden Champions-League-Triumphator FC Liverpool den frühen Achtelfinal-K.o. verpassen. Und das auch noch im berühmten Stadion an der Anfield Road. Als Einwechselspieler. Als Doppeltorschütze. Als Assistgeber.

Llorente bei Atletico: Vor The Kop gelingt der Befreiungsschlag

In der 56. Minute, als die Reds ihre 0:1-Hinspiel-Niederlage bereits egalisiert hatten, nahm Trainer Diego Simeone Angreifer Diego Costa aus der Partie. Mit Llorente kam ein weiterer zentraler Mittelfeldspieler. Zunächst blieb es beim Spielstand, Llorentes große Stunde sollte in der Verlängerung schlagen.

Erst aber erhöhte Roberto Firmino den Spielstand für Liverpool in der ersten Halbzeit der Verlängerung auf 2:0. Dann aber kam Llorente. Erst markierte er nach einem schlimmen Fehlpass von Torwart Adrian aus der zweiten Reihe den 1:2-Anschluss (97.), woraufhin ihm aus ähnlicher Entfernung noch vor dem Seitenwechsel sogar der 2:2-Ausgleich gelang (105.+1). Beide Male schlug der Ball im rechten Eck ein - und genau vor der Stehplatztribüne, die im Weltfußball als eine der stimmungsvollsten gilt: The Kop. Damals waren noch Zuschauer erlaubt, doch auf der Tribüne war es still wie bei den aktuellen Geisterspielen.

Marcos Llorente "von einem Zauberstab berührt"

"Bei meinem zweiten Tor dachte ich: 'Was passiert hier denn bitte?!' Keine Ahnung, was an diesem Abend los war, dass ich von einem Zauberstab berührt wurde und alle Bälle im Tor landeten", sagte er der spanischen Tageszeitung El Mundo später begeistert. Es sei "der schönste Abend, den ich im Fußball erlebt habe", sagte Llorente. Und schließlich: "Davon werde ich meinen Kindern erzählen."

Dazu bereitete Llorente noch den 3:2-Siegtreffer Alvaro Moratas vor. Eine der Schlagzeilen dieses Abends: Totgesagte leben länger. Ein Sprichwort, das sowohl auf Atletico als Kollektiv, aber gewiss auch auf Llorente im Speziellen zutraf. Der spektakuläre Auftritt des gebürtigen Madrilenen zog nach seinem misslungenen ersten Dreivierteljahr bei den Rojiblancos, in dem kaum ein Unterschied zu seiner vorherigen Reservistenrolle bei Real festzustellen gewesen war, Veränderungen mit sich.

Llorente kennt Stürmer-Rolle - in Reals U17 ins Mittelfeld beordert

Nach der Fortsetzung der in Spanien wegen der Corona-Pandemie für drei Monate unterbrochenen Saison kam Llorente neunmal von Anfang an und nur noch zweimal als Joker zum Einsatz - und zwar in aller Regel als temporeicher und technisch versierter zweiter Angreifer in Atleticos 4-4-2-Grundordnung. Im zentralen Mittelfeld war und ist die Konkurrenz mit Saul Niguez, Koke, Thomas Partey und Hector Herrera für regelmäßige Einsätze dann doch zu groß.

Die Umstellung störte ihn nicht sonderlich. "Ich sah mich nicht außerhalb des Mittelfelds. Aber solange ich spiele und der Mannschaft helfe, ist mir die Position eigentlich egal", meinte Llorente. Onkel und Berater Julio Llorente habe der Positionswechsel "etwas überrascht", gab er Ende Juni bei dem Radiosender der Sportzeitung Marca zu. Der 54-Jährige, einst selbst Profi bei Real und Atletico, verriet jedoch auch: "Viele wissen nicht, dass Marcos in der Jugend von Real Madrid als Flügelspieler oder Stürmer spielte, bis Fernando Morientes ihn in der U17 in das Mittelfeldzentrum beorderte."

Simeone hat es jetzt einfach umgekehrt gemacht. "Wenn Spieler dir mehrere Möglichkeiten geben, muss man diese als Trainer ausnutzen. Ich habe gesehen, wie er Tore gemacht hat", spielte der Argentinier Mitte Juni bei einer Pressekonferenz wohl vor allem auf Trainingsbeobachtungen an: "Dann muss man das eben nutzen, denn Tore sind nun mal wichtig."

Marcos Llorente "zog Abgang nicht in Erwägung"

Auch wenn Llorente in vorderster Front bislang neben vier Vorlagen nur zwei Tore in den elf Einsätzen gelangen, spielt er für "el Cholo" mittlerweile eine viel wichtigere Rolle. Zahlen belegen das: Absolvierte er vor der Corona-Pause lediglich 28,89 Prozent der Gesamtminuten (988 von 3420), sind es seit dem Re-Start 64,85 Prozent (642 von 990).

Die positive Entwicklung des Real-Eigengewächses, dem Zinedine Zidane für mehr Spielpraxis einen Abgang aus dem Estadio Santiago Bernabeu ans Herz gelegt hatte, ist auch seiner Geduld und Einstellung zu verdanken. Obwohl Llorente in 14 Partien überhaupt nicht berücksichtigt worden war, zog er ein weiter hartes Arbeiten einer Flucht im Januar vor.

"Ich habe einen Abgang nicht in Erwägung gezogen. Ich hatte Vertrauen in mich und darin, dass meine Chance eines Tages kommen wird und ich sie nutze. Es freut mich, dass es so auch gekommen ist", sagte Llorente, der sich in seinem Zuhause einen eigenen Kraftraum errichtete. Man könnte behaupten, das habe er sich bei Real von den Gewinner-Typen Sergio Ramos und Cristiano Ronaldo abgeschaut.

Llorentes erstes CL-Spiel seit Anfield: Obacht, RB Leipzig

Nicht nur für mögliche Einsätze für die spanische Nationalmannschaft könnte sich Llorente nun während des Champions-League-Finalturniers in Lissabon empfehlen. Am Donnerstag trifft Atletico auf RB Leipzig.

Während das Team von Julian Nagelsmann da irgendwie den zum FC Chelsea abgewanderten Top-Torjäger Timo Werner kompensieren muss, hat sich Atletico in dieser Saison einen weiteren wertvollen Angreifer geschnitzt. Wird Llorente gegen Leipzig wieder zum X-Faktor? Falls ja, könnte er seinen noch ungeborenen Kindern ja möglicherweise eine weitere besondere Geschichte erzählen.

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