Kommentar zum Videobeweis: Wir brauchen mehr VAR - oder gar keinen

Von Stefan Petri
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Der nicht gegebene Elfmeter für Eintracht Frankfurt im Spiel gegen Borussia Dortmund am Samstagabend hat die Diskussion um den Videobeweis angefacht - längst nicht zum ersten Mal in dieser Saison. Gibt es einen Ausweg aus dem VAR-Dilemma? Vielleicht - nämlich mit noch mehr VAR. Ein Kommentar.

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Eins vorweg: Krasse, haarsträubende, himmelschreiende Fehlentscheidungen im Fußball werden wir nicht los. Nicht mit den besten Referees, nicht mit dem klügsten Regelwerk, nicht mit den schärfsten Augen am Videomonitor in Köln oder sonst wo. Foul? Notbremse? Strafstoß? Platzverweis? Darüber werden wir noch in 100 Jahren diskutieren - und den verantwortlichen Schiri als Vollblinden titulieren. Zumindest innerlich.

Daran hat der VAR nichts geändert, und daran wird der VAR auch weiterhin nichts ändern. Die Szene in Frankfurt, als ein hilfloser Karim Adeyemi Gegenspieler Jesper Lindström von hinten zu Boden stieß, um ein wohl sicheres Gegentor zu verhindern, ist das beste Beispiel dafür. Kein Elfmeter, trotz Videobeweis.

Erinnerungen wurden wach an das Pokalfinale 2018: Auch damals war die Eintracht beteiligt. Sie gewann am Ende mit 3:1 - weil ein glasklarer Elfmeter für die Bayern in der Schlussphase nicht gegeben wurde. Mit VAR. Fast viereinhalb Jahre ist das nun her, der Videobeweis steckte damals noch in den Kinderschuhen. Seitdem wurde getüftelt und gebastelt, Abläufe wurden angepasst, an der Technik gefeilt. Gefühlt sind wir dennoch keinen Schritt weiter.

Aha! Ein Argument für die Abschaffung des VAR? Im Gegenteil: Eine Situation wie im Deutsche Bank Park in Frankfurt aber, die in einem schimpfenden SGE-Sportvorstand Markus Krösche, einem zaghaft jubelndem BVB-Trainer Edin Terzic und einem bedröppelten Schiri Sascha Stegemann endete, kann verhindert werden. Mit mehr VAR.

Videobeweis-Ärger: Stegemann entschied gegen sich selbst

Der Reihe nach: Das große Problem am Samstagabend war nicht die Fehlentscheidung Stegemanns. Das Problem war auch nicht die Tatsache, dass die Fehlentscheidung trotz dem zur Verfügung stehenden VAR am Ende Bestand hatte. Auch das ist nicht neu, siehe: Berlin, 19. Mai 2018.

Der Knackpunkt war, dass sich Stegemann nach Spielende den Sky-Kameras stellen und zugeben musste, dass er selbst ohne zu zögern auf Strafstoß entschieden hätte, hätte er die Bilder aus dem VAR-Keller gesehen. Heißt: Seine Einschätzung des Adeyemi-Schubsers deckte sich mit den über 40.000 Eintracht-Fans im Stadion. Stegemann entschied buchstäblich gegen sich selbst.

Warum? Weil er es nicht besser wusste.

Weshalb die zuständigen Unparteiischen in Köln an Stegemann letzten Endes die Rückmeldung gaben, dass es sich nicht um eine "klare Fehlentscheidung" gehandelt habe, werden sie in den kommenden Tagen intern begründen dürfen. Womöglich ist auch die Kommunikation zwischen Referee und VAR-Keller in der Hitze des Gefechts ein potenzieller Stolperstein, doch das Hauptproblem dürfte eben genau diese vielbeschworene Formulierung sein: "klare Fehlentscheidung".

Im Regelwerk wird von "klaren und offensichtlichen Fehlentscheidungen oder schwerwiegenden übersehenen Vorfällen" gesprochen. "Ausschließlich" in diesen Fällen darf der VAR eingreifen. Nur: Wo diese eindeutigen, über jeglichen Zweifel erhabenen Missgriffe des Schiris auf dem Rasen beginnen, da scheiden sich offenbar derart die Geister, dass Adeyemis Handgreiflichkeit nicht dazugehörte. Das kann nicht im Sinne des Erfinders gewesen sein.

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VAR-Lösung: Neues Regelwerk - für den mündigen Schiri

Deshalb muss das Regelwerk angepasst werden. Auch strittige, potenziell spielentscheidende Situationen und Ereignisse müssen vom VAR ins Stadion gespiegelt werden. Wie das final im Regelwerk festgehalten wird, darf gerne diskutiert werden. Aber wenn der VAR zu einem faireren Spiel und Ergebnis auf dem Platz beitragen soll, führt kein Weg daran vorbei.

Denn: Vor der Entmündigung des Schiedsrichters wurde bei der Einführung des Videobeweis gewarnt, die finale Entscheidung müsse weiterhin vor Ort getroffen werden. Genau das ist in Frankfurt jedoch nicht geschehen: Bei gleicher Informationslage hätten Stegemann und der Video Assistant Referee unterschiedlich entschieden - doch weil ersteren die nötigen Infos nicht erreichten, war er machtlos. Und das finale Urteil lag am Ende beim VAR.

So führte der VAR hier zu genau der Situation, die man eigentlich vermeiden wollte. Verhindert werden kann das nur, wenn der Referee das Heft des Handelns wieder selbst in die Hand nimmt und auch die "nicht-klaren" Fehlentscheidungen noch einmal überprüft.

Ja, das bedeutet mehr VAR, mehr Unterbrechungen. Und wenn schon: Lieber potenziell drei kurze Pausen mehr als ein "Jetzt wo ich die Bilder sehe, muss man konstatieren, dass es einen Strafstoß hätte geben müssen".

Und wenn das den Herrschaften von DFL und DFB zu viel Videobeweis ist: auch gut. Aber dann schaffen wir das Ding am besten gleich komplett ab.

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