Ein ewiger Pechvogel auf Abschiedstournee

Von Jannik Schneider
Tommy Haas war einst die Nummer zwei der Welt
© getty

Nach seiner Aufgabe in der ersten Runde der Australian Open wird weit über die Grenzen Sportdeutschlands über Sinn oder Unsinn des erneuten Comebacks des von Verletzungen gebeutelten Tennis-Veterans Tommy Haas diskutiert. Bewundernswert, schwärmen die einen. Absprung längst verpasst, urteilen die anderen. Wer verstehen will, warum Haas' Feuer noch brennt, muss tief kramen und feststellen: Für den besten deutschen Spieler der Post-Becker-Ära geht es nur noch um eines: Selbstbestimmung nach vielen verpassten Gelegenheiten.

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Dies ist keine Geschichte über 15 ATP-Titel, erfolgreiche und nicht erfolgreiche Schlachten auf dem Court und jede Menge Emotionen, freigesetzt von Tommy Haas in 20 Jahren Profitennis. Dies ist eine Geschichte, die von verpassten Gelegenheiten handelt, meistens in Kombination mit einem nicht für möglich gehaltenen Verletzungspech des besten deutschen Tennisprofis der Post-Becker-Ära.

Wer wirklich wissen möchte, warum Tommy Haas noch immer nicht aufgegeben, abgeschlossen hat mit dem professionellen Tennis, der möge sich den 21. Juni 2005 ins Gedächtnis hervorrufen. Haas war in einer Zeit, in der die Dominanz von Roger Federer und Rafael Nadal gerade erst begonnen hatte, dabei, sich nach seiner ersten langen 15 monatigen Auszeit in Folge einer Schulterverletzung und einem ordentlichen Comeback-Jahr 2004, wieder in der Weltspitze festzusetzen. Er war mit guter Form nach Wimbledon angereist, hatte große Pläne. Die zweite Woche schien machbar, mindestens. Nach Federer wirkte jeder schlagbar. Erst recht für den mit so viel Talent gesegneten Rechtshänder.

Doch Haas musste sein Erstrundenmatch als gesetzter Spieler gegen den jungen Janko Tipsarevic bereits im zweiten Satz aufgeben. Der 27-Jährige war beim Warmspielen nach einem Aufschlag auf einem herumliegenden Ball ausgerutscht und hatte sich schwer am Sprunggelenk verletzt. Weder davor noch danach in der langen Historie des prestigeträchtigsten Grand Slams lag jemals wieder ein Ball im Spielfeld während der Einspielphase. Zumindest kann sich das beim strengsten Turnier des Jahres niemand so recht vorstellen.

15-minütiger Einblick in Seelenleben

Haas half das alles nichts. Wie ein Häufchen Elend saß der Sunnyboy, die langen Haare zu einem Zopf gebunden, wenig später auf der Pressekonferenz. Was sollte die deutsche Tennishoffnung den Medienvertretern jetzt schon in ihre Blöcke diktieren? Die Grand-Slam-Hoffnung hatte wieder eine große Chance verpasst - und wieder einmal konnte er nichts dafür. Entsprechend wortkarg beendete der Deutsche seine Rasensaison.

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Ähnlich niedergeschlagen saß der Wahlamerikaner am Montag im Pressezentrum der Australian Open in Melbourne, fast zwölf Jahre später. Doch trotz der Enttäuschung nach seinem vorerst gescheiterten letzten Comeback-Versuch hatte Haas etwas zu erzählen. 15 Minuten gab der mittlerweile 38-Jährige Einblicke in das Seelenleben eines arg gebeutelten Leistungssportlers.

Eines Hoffnungsträgers, der mittlerweile neun (!) große Operationen hat über sich ergehen lassen, viermal länger als ein Jahr aussetzen musste und dreimal aus den Tiefen der Weltrangliste zurück unter die besten 15 Spieler der Welt kehrte. Die Spieler, deren Talent gepaart mit ihrem Willen ausreicht, um das zu schaffen, sind wohl an einer Hand abzuzählen.

"Bin glücklich und auch stolz auf mich"

"Das hier war immer eines meiner besten Grand Slams", sinnierte Haas rund drei Stunden nachdem er gegen den Franzosen Benoit Paire nach ordentlichen spielerischen Ansätzen beim Stand von 6:7, 4:6 entkräftet aufgegeben hatte. "Es war noch ein großes Ziel, hier ein letztes Mal spielen zu dürfen." Er sei deshalb trotz der Niederlage sehr glücklich und auch stolz auf sich selbst, "nach der schweren Fußoperation im vergangenen April nochmal alles für ein Comeback unternommen zu haben."

Drei, seiner vier Halbfinalteilnahmen bei Grand Slams hat Haas in Melbourne erreicht ('99, '02, '07), aufgrund seines schwächelnden Körpers jedoch letztmalig 2013 beim Happy Slam aufgeschlagen. Jenes Jahr, in dem er sich mit Mitte 30 und nach der x-ten Schulterverletzung nochmal auf Rang zwölf der Weltrangliste katapultierte.

Verpasster Rücktritt nach Weltklasse-Jahr 2013?

Jenes Jahr, in dem er Novak Djokovic in Miami schlug, das Turnier in München gewann und bei den French Open erstmals das Viertelfinale erreichte. Damit war er erst der dritte Deutsche nach Boris Becker und Michael Stich, der bei allen vier Slams mindestens das Viertelfinale erreicht hat.

Vor seiner Viertelfinal-Niederlage in Wimbledon im selben Jahr gegen den Djoker adelte dieser seinen Kontrahenten: "Er ist in diesen Tagen einer der härtesten Widersacher auf der Tour und er hat sich das nach all den Rückschlägen hart erarbeitet."

Es gibt nicht wenige die behaupten, dass Ende 2013 ob der wieder zurückkehrenden Schulterschmerzen der optimale Zeitpunkt gewesen wäre, aufzuhören. Er müsse doch niemanden mehr etwas beweisen, hieß es.

Dennoch feierten die zahlreichen Fans den Spieler Haas mehr als drei Jahre später auf einem der Nebenplätze in Melbourne nach seiner Aufgabe. Es war sein erstes offizielles Match seit Herbst 2015 und seiner Niederlage gegen Jo-Wilfried Tsonga in Wien.

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