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Hahnenkampf im Kindergarten

"Sind die alle gegen uns"? Dwyane Wade und Jimmy Butler
© getty

Nach einem überraschend guten Saisonstart sind die Chicago Bulls mittlerweile in der Realität angekommen - und diese sieht nicht rosig aus. Zuletzt platzte diversen Protagonisten der Kragen, obwohl die Probleme absehbar waren. Kurioserweise profitiert ausgerechnet Paul Zipser vom Chaos in der Windy City.

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"Ich mag Kontroversen", sagte Jimmy Butler am Freitag zur versammelten Journaille, die nach einem 70-minütigen Team-Meeting auf die Bulls wartete. Er habe kein Problem mit dem jetzt schon legendären Instagram-Post von Rajon Rondo, in dem dieser Butler und Dwyane Wade sehr direkt kritisierte. Gelesen habe er ihn allerdings nicht - na klar.

"Wir wollen jetzt nach vorne blicken", sagte Coach Fred Hoiberg nach ebenjenem Meeting, knapp zehnmal binnen weniger Minuten. Die Vorfälle der letzten Tage seien abgehakt, die Streithähne Rondo, Wade und Butler ausreichend damit gestraft, dass sie beim Spiel gegen Miami allesamt nicht starten durften - was für Rondo ja ohnehin schon länger normal ist.

Die Bitte von Hoiberg mag verständlich gewesen sein, realistisch ist sie selbstverständlich nicht. Bei den Bulls hängt der Haussegen nicht nur ein bisschen schief, das hat das Kasperltheater der letzten Woche mehr als deutlich gezeigt. Und es wird wohl nicht allzu lange dauern, bis es am Lake Michigan zum nächsten Mal kracht - selbst wenn alle Protagonisten nach dem Sieg über Philadelphia am Sonntag von einer auf einmal tollen Stimmung sprachen.

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Rondos Kritik ist angebracht

Schon vor der Saison hatten nicht wenige damit gerechnet, dass es mit diesem neu formierten Team Schwierigkeiten geben könnte. Allen voran wegen Rondo, der spätestens seit seiner Zeit bei den Dallas Mavericks als - nett ausgedrückt - schwieriger Typ gilt. Die einzige Überraschung in diesen Tagen ist, dass Rondo von den selbst ernannten "drei Alphas" noch derjenige ist, der mit Abstand am besten wegkommt.

Man mag von Kritik via Instagram halten, was man will, aber inhaltlich waren die Vorwürfe an Wade und Butler vollkommen legitim. Insbesondere Butler sollte sich vor seiner nächsten Tirade gegen die jüngeren Mitspieler lieber an die eigene Nase fassen. "Die Jungen bei uns verdienen es nicht, beschuldigt zu werden. Wenn bei uns etwas fraglich ist, ist es die Leadership", kritisierte Rondo richtigerweise.

Butler: Kein Vorbild

Um das klarzustellen: Butlers Frustration ist verständlich. Während er selbst seine mit Abstand beste Saison spielt und rein statistisch klar zu den besten NBA-Spielern gehört (24,5 Punkte, 6,6 Rebounds, 4,7 Assists), fehlt es dem Kader um ihn herum an Qualität. Die 24-25-Bilanz reflektiert deutlich besser die tatsächliche Klasse der Bulls als der starke Saisonstart (10-6).

Dennoch: Wie ein richtiger Franchise Player präsentiert sich Butler ebenfalls längst nicht immer. Vor kurzem kursierte ein Clip in den Sozialen Medien, in dem er einen Play-Call von Hoiberg hörte und daraufhin kopfschüttelnd klar und deutlich "fuck no" entgegnete - nicht gerade ein vorbildliches Verhalten vom nominellen Anführer.

Noch alarmierender waren jedoch seine Aussagen nach der Niederlage gegen Atlanta, als er die jüngeren Spieler dafür kritisierte, dass sie doch tatsächlich die Frechheit besaßen, im letzten Viertel zu werfen, wenn sie offen waren.

Wer macht hier seinen Job?

"Am Ende des Spiels muss der Ball in die Hände der besten Spieler", sagte Butler, was grundsätzlich ja stimmt - aber auch ihm sollte eigentlich klar sein, dass er auf dem Court überhaupt keinen Platz mehr zum Operieren hätte, wenn seine Teammates offene Würfe verweigern würden. Und dass es der Chemie nicht unbedingt hilft, wenn der Superstar seine jungen Kollegen medial angreift.

Wade, der zuletzt schon über einen möglichen Abgang aus Chicago sinnierte, tat allerdings genau das Gleiche: "Ich kann Jimmy ansehen und sagen, dass er seinen Job macht. Er kann mich ansehen und sagen, dass Dwyane seinen Job macht. Ich weiß nicht, ob wir unseren Kader von vorne bis hinten durchgehen und das ebenfalls sagen können."

Ziemlich harte Aussagen von einem 35-Jährigen, der seit Jahren längst nicht in jedem Spiel mit voller Kraft agiert und in dieser Saison nur gelegentlich am Training teilnimmt. Allerdings auch bezeichnende Aussagen. Wade und Butler sind eindeutig frustriert, sie richten ihre Kritik dabei an die falschen Adressaten.

Hausgemachte Probleme

Die meisten Basketball-Kenner, die nicht in Bulls-Bettwäsche schlafen, waren schon vor der Saison reichlich pessimistisch, was dieses Team angeht. Die Bulls haben kaum Shooter, wenig Tempo und wenig Playmaker - kaum ein Team muss härter für seine Punkte arbeiten. Rondo ist kein Starting Point Guard mehr, Wade Jahre von seinen besten Zeiten entfernt.

Butler hatte schon letzte Saison keinen Bock auf Hoiberg. Es ist nicht so, als wäre die schlechteste Dreierquote der Liga für dieses Team eine Überraschung. Die Kaderzusammenstellung in Chicago ist mangelhaft gewesen, das lässt sich kaum anders ausdrücken. Die Teile passen nicht wirklich zusammen und sind vor allem nicht mehr zeitgemäß für die heutige NBA.

Darüber sollten sich Wade und Butler aber nicht bei den jungen Spielern beschweren, sondern beim Entscheider-Team John Paxson und Gar Forman. Sie waren es, die im Sommer noch davon sprachen, schneller, jünger und athletischer werden zu wollen - und kurz darauf Wade und Rondo verpflichteten.

Sie waren es auch, die Hoiberg auch in seinem zweiten Amtsjahr ein Team zusammenstellten, das nicht im Geringsten zu seiner Basketball-Philosophie passt. Auch wenn er bisweilen gern zum Buhmann gemacht wird, ist es noch immer kaum möglich, seine Tauglichkeit als NBA-Coach wirklich zu evaluieren. Er wird von seinem Management eben gehandicapt.

Zipser als Lichtblick

"GarPax" haben abgesehen von den großen Namen in den letzten Jahren auch kein allzu gutes Händchen beim Draft bewiesen, zumindest nicht in der ersten Runde. Die letzten drei First-Rounder Bobby Portis, Doug McDermott und Denzel Valentine stagnieren allesamt entweder in ihrer Entwicklung oder sind noch nicht in der Liga angekommen (Valentine) - und sie alle wurden zuletzt in der Rotation von einem Zweitrundenpick und einem ungedrafteten Rookie überholt.

Cristiano Felicio klaute zuletzt die Minuten von Portis und agierte dabei recht solide, auch wenn er im Gegensatz zu Portis überhaupt keinen Wurf hat . Und die Kollegen Valentine und McDermott wurden auf dem Flügel in den letzten Wochen von Paul Zipser überholt. Bei all dem Drama und den Enttäuschungen in Chicago ist die Entwicklung des deutschen Rookies eine der positiveren Stories dieser Saison.

Zu Beginn der Saison spielte Zipser nahezu überhaupt nicht, mittlerweile stand er dagegen schon viermal in der Starting Five und wurde in neun der letzten zehn Partien zwischen 15 und 34 Minuten eingesetzt. Über die letzten acht Partien machte er im Schnitt 8,4 Punkte und zeigte insbesondere gegen Sacramento und Philly, als er jeweils drei Dreier traf und in der Schlussphase wichtige Defensiv-Aufgaben übernahm, dass sein Skillpaket den Bulls durchaus helfen kann.

Selbst Wade lobte Zipser vor kurzem und sagte, dass der Deutsche "hart arbeitet" und "seinen Job macht" - Butler und Wade sind also doch nicht die einzigen Bulls, auf die dies zutrifft. Doch natürlich ist das längst nicht genug, um über diese Saison ein positives Fazit zu ziehen.

Pulverfass Chicago

Dafür müsste noch einiges mehr passieren. Ein paar Trades? Ein Trainerwechsel? Ein Austausch des Managements? Wer weiß. Mit großer Sicherheit aber wird es nicht lange beim Status Quo bleiben. Denn Stand jetzt sind die Bulls ein Pulverfass, ganz egal, wie sehr sich Butler über "Kontroversen" freut und was die Spieler nach dem Philly-Spiel behaupteten.

"Wir werden das schon schaffen. Wir sind alle erwachsene Männer. Alles ist großartig", sagte Butler und fügte noch poetisch hinzu: "Unsere Herzen sind rein." Er musste sich das Lachen vermutlich selbst verkneifen. Dass Wade noch meinte, die Kritik an seinen Trainingsgewohnheiten hätte lieber "intern" bleiben sollen, deutete das noch immer brodelnde Chaos immerhin an.

Man sollte nur nicht den Fehler machen, die Ursache dafür bei den jungen Spielern zu suchen. Die Probleme in Chicago greifen deutlich tiefer.

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