BVB: Heldenfußball mit Teilzeithelden – Borussia Dortmund fehlt die Identität

Von Justin Kraft
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Borussia Dortmund erlebt gegen RB Leipzig den nächsten Rückschlag dieser Bundesliga-Saison. Dem BVB fehlt vor allem eines: eine klare Identität. Unter Edin Terzic spielen die Schwarz-Gelben Heldenfußball mit Teilzeithelden.

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Den souveränsten Auftritt aller Dortmunder legte am Samstagnachmittag Sebastian Kehl hin. Der Sportdirektor wurde mit der Entscheidung seines Klubs konfrontiert, nicht ihm mehr Macht zu geben, sondern Lars Ricken als Geschäftsführer und Sven Mislintat als Technischen Direktor zu installieren.

"Im ersten Moment ist man natürlich auch ein Stück weit enttäuscht, ich glaube, das ist menschlich", erklärte der 44-Jährige offen und ehrlich bei Sky: "Aber dann berappelt man sich kurz und ich freue mich für Lars."

Sein Interview sollte in Leipzig aber schon der Höhepunkt der BVB-Gefühle werden. Mit 1:4 ging der Vizemeister der Vorsaison baden - und das hochverdient. Abseits einer ausgeglichenen Anfangsphase mit Chancenvorteil der Schwarz-Gelben war Leipzig das stärkere, zielstrebigere und strukturiertere Team.

Dortmund hingegen hat nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren Heldenfußball gespielt - mit Teilzeithelden.

Edin Terzic
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BVB: Keine echte Identität

Fragt man Edin Terzic nach seiner Philosophie, kommt meist eine ausweichende Antwort. So geschehen beispielsweise nach der Niederlage gegen die TSG Hoffenheim Ende Februar. Damals erklärte der BVB-Trainer beim nächsten Spiel gegen Union Berlin bei Sky: "Wir brauchen immer eine klare Idee, das hat nichts mit Union Berlin zu tun. Wir sind Borussia Dortmund und wir haben eine klare Idee, nur die haben wir letzte Woche - oder in den letzten Spielen - leider viel zu selten gezeigt."

Und welche wäre das? "Die Idee ist heute natürlich erstmal: Wenn wir eine gute Phase haben, dass wir dann nicht nochmal einen Gang rausnehmen, sondern sofort auf dem Vorderfuß bleiben und nachsetzen." Terzic legt viel Wert auf die Einstellung seiner Spieler.

Dagegen ist per se nichts einzuwenden. Nur ist nicht deutlich genug erkennbar, was die strategischen oder taktischen Ideen von Borussia Dortmund sind. Muster gibt es wenige. Lange Bälle und Flanken auf Niclas Füllkrug sind hier hervorzuheben. Die Entstehung dieser Spielzüge ist häufig jedoch vorhersehbar.

RB Leipzig hat das nach der Anfangsphase mit Leichtigkeit gelöst, immer wieder das Zentrum zugestellt und durch gutes Nachschieben Dortmund entweder auf die Flügel gezwungen oder Bälle in der Spielfeldmitte erobert. Der Spielaufbau des BVB ist behäbig, Spieler laufen sich nicht entsprechend frei oder stehen auf einer Höhe - es entsteht das Gefühl, dass sie keine Lösungen im Kopf haben.

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BVB: Kein spielstarkes Mittelfeld

Nun ist das nicht alles ausschließlich auf Terzic zurückzuführen. Dass Spieler wie Felix Nmecha oder Salih Özcan nicht in der Lage sind, die entsprechenden Räume zu erkennen, sie zu besetzen und dann eine kluge Anschlussaktion folgen zu lassen, ist zunächst mal den Limitationen der Spieler geschuldet.

Das hat prinzipiell auch wenig mit den Ausfällen zu tun. Emre Can oder Marcel Sabitzer haben in solchen Situationen ebenfalls Probleme. Dortmunds zentrales Mittelfeld ist weder gedankenschnell noch technisch auf dem Niveau, das es braucht, um höher anlaufende Teams wie Leipzig, aber auch tiefstehende Mannschaften zu bespielen.

Julian Brandt ist der einzige Spieler im Kader, der hier Lösungen anbieten kann. Auch gegen Leipzig war der 27-Jährige mit 79 Ballkontakten der aktivste Mittelfeldspieler der Dortmunder - Nmecha hatte 44, Özcan bis zur Auswechslung in der 63. Minute 39. Brandt brachte alle seiner 65 Pässe an einen Mitspieler, spielte eine Großchance heraus und hatte selbst einen guten Abschluss.

Allein ist er aber nicht in der Lage, das Mittelfeld der Dortmunder zu lenken. Die Unterstützung fehlt. Das betrifft die Mitspieler, aber auch die taktische Ausrichtung. In jeder Szene, in der die Abstände zwischen den BVB-Spielern zu groß werden, steht der ballführende Spieler mehr unter Druck. Zeit ist im Profifußball entscheidend und die Entscheidungsfindung der Spieler wird deutlich einfacher, wenn sie klare Abläufe haben.

Das fehlt dem BVB offenkundig. Im Schnitt spielt Dortmund laut FBref etwas mehr als 75 lange Bälle pro 90 Minuten. Damit stehen sie in der Bundesliga auf dem siebten Platz. Terzic weiß um die fehlende Qualität im Mittelfeld, hat diese aber auch mitzuverantworten. Sein Wort bei Transfers hat in Dortmund Gewicht - vor seiner zweiten Amtszeit ebenso. Sein Fokus auf "Mentalitätsspieler" hat dazu beigetragen, dass Spieler wie Emre Can oder Salih Özcan hoch im Kurs stehen.

Dass mit Ian Maatsen ein ausgeliehener Außenverteidiger derzeit der spielstärkste Aufbauspieler ist, sagt viel über den Status quo des BVB aus.

Edin Terzic
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Borussia Dortmund spielt Heldenfußball

Teams, die ihre Mannschaft ohne einen vorgegebenen Plan trainieren und zusammenstellen, bezeichnete Volker Finke einst als "Heroenfußball", heute vor allem als Heldenfußball bekannt. Individuelle Stärke entscheidet Spiele, die grundsätzliche Einstellung des Teams variiert von Saison zu Saison und auch mal von Spiel zu Spiel.

Ganz so drastisch, dass Terzic gar keine taktische und strategische Idee hätte, ist es nicht. Es ist erkennbar, dass der 41-Jährige gern aus einer kompakten Defensive heraus in Umschaltsituationen kommen möchte. Dazu passen auch die langen Schläge, die nicht selten mit einem schnellen Nachrückverhalten einhergehen, um entweder Füllkrug zu unterstützen oder auf zweite Bälle zu gehen.

Auch das Flankenspiel hat System. Es ist die Ausweichoption, wenn man nicht in die Tiefenläufe kommt - und genau das passiert erschreckend oft. Terzic zu unterstellen, er hätte gar keine Idee, wäre ziemlich sicher falsch. Nur scheint diese nicht sehr komplex zu sein. Das wiederum führt dazu, dass man faktisch viel zu oft Heldenfußball spielt - selbst wenn man das gar nicht will.

Karim Adeyemi Borussia Dortmund 2024
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Dem BVB fehlen die Helden

Und Heldenfußball ist vor allem dann ein großes Problem, wenn man keine Helden hat. Selbst Leistungsträger wie Mats Hummels oder Julian Brandt sind nicht dauerhaft dazu in der Lage, den BVB allein zu tragen.

Spieler wie Karim Adeyemi, Jadon Sancho, Donyell Malen oder Füllkrug sind hingegen Teilzeithelden. Sie alle hatten Saisonphasen, in denen sie ihr Team durch gute Einzelaktionen besser haben aussehen lassen. Dauerhaft gelang das aber keinem von ihnen.

Und so fehlten auch in Leipzig wieder die Helden. Dass ausgerechnet Kehl mit seinem souveränen Auftreten nach den persönlichen Rückschlägen wie ein kleiner Gewinner wirkt, ist eine weitere ironische Note des schwachen Auftritts der Dortmunder. Auch er konnte in seiner bisherigen Amtszeit nicht an die Wurzel der Probleme vordringen. Nun machen sich Ricken und Mislintat auf die Suche.

BVB: Das Restprogramm von Borussia Dortmund

SpieltagDatumUhrzeitHeimGast
CL-HalbfinaleMi., 1.5.2421:00Borussia DortmundParis Saint-Germain
32Sa., 4.5.2415:30Borussia DortmundFC Augsburg
CL-HalbfinaleDi., 7.5.2421:00Paris Saint-GermainBorussia Dortmund
33Sa., 11.5.2418:301. FSV Mainz 05Borussia Dortmund
34Sa., 18.5.2415:30Borussia DortmundDarmstadt 98
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