DER BANKRAUB

Die Geschichte, wie Dirk Nowitzki vor 20 Jahren bei den Dallas Mavericks landete

In jedem Jahr wird beim Draft die Zukunft der NBA geprägt. Auch in diesem Jahr stehen wieder jede Menge aufregende Spieler bereit, um den Sprung in die beste Liga der Welt zu wagen (Freitag, ab 1 Uhr auf DAZN). Die Talentziehung ist dabei aber weder eine exakte Wissenschaft noch geht immer alles mit rechten Dingen zu – nur wenige Beispiele verdeutlichten dies besser als der Fall von Dirk Nowitzki. SPOX blickt zurück auf die kuriose Geschichte, wie der große Blonde vor 20 Jahren bei den Mavericks landete.

Der NBA Draft steht kurz bevor – in der Nacht auf den 22. Juni werden wie jedes Jahr Träume erfüllt und zum Platzen gebracht, Schicksale verändert und die zukünftige Entwicklung der NBA neu geprägt. 

Unter den Namen, die Freitagnacht aufgerufen werden, könnten mit Moritz Wagner und Isaac Bonga auch zwei Deutsche sein. Ein europäisches Talent – das slowenische Wunderkind Luka Doncic – hat sogar Chancen darauf, an erster Stelle gepickt zu werden, als dann erster Europäer seit Andrea Bargnani im Jahr 2006. 

Seit Jahren ist die Globalisierung der NBA nicht aufzuhalten – als die abgelaufene Saison eröffnet wurde, standen 108 ausländische Spieler aus 42 Ländern in den aktiven Kadern der Teams. 62 Spieler davon stammten allein aus Europa. Neben Doncic und Wagner werden Freitagnacht auch noch weitere "Euro-Importe" gepickt werden. Noch nie hatten sie in der NBA so ein positives Standing. 

Einer der Hauptgründe dafür hatte "seinen" großen Abend vor nunmehr 20 Jahren. Dirk Nowitzki bereitet sich aktuell auf seine 21. NBA-Saison vor, sein Vermächtnis ist aber natürlich längst gesichert. Nowitzki hat in seiner Karriere unendlich viele Klischees widerlegt und Türen aufgestoßen, sowohl für Europäer als auch für große Spieler, die auch dank ihm heute so viel mehr tun dürfen und müssen als nur in der Zone zu wühlen. 

Wenn er seine Karriere eines Tages beendet, wird er als einer der einflussreichsten Spieler der NBA-Geschichte abtreten, als einer der ganz Großen dieser Sportart. Vor 20 Jahren war dies nicht vorherzusehen, auch nicht von den größten Optimisten. Schon gar nicht vom selbsternannten Pessimisten Nowitzki selbst. 

Allerdings konnte Nowitzki ja auch nicht ahnen, dass sein größter Fan an einem Masterplan arbeitete, um ihn mit einer der riskantesten und rückwirkend besten Drafttag-Strategien der Geschichte nach Dallas zu lotsen. Diese Strategie kannte im Vorfeld des Drafts nämlich lediglich Don Nelson, der verrückte Professor, selbst. 

Dies ist die Geschichte, wie Nowitzki bei der Franchise landete, für die er nunmehr in seine 21. Saison – NBA-Rekord, ein weiterer – geht.

DRAFT 1998: Missverständnis Olowokandi und die Nowitzki-Pierce-Frage

Der 1998er Draft ist rückblickend als ein tiefer, aber auch als ein sehr kurioser Draft in die Geschichte eingegangen. Michael Olowokandi gilt als einer der größeren Busts, die jemals an erster Stelle gezogen wurden, wenngleich der Center sich immerhin neun Jahre lang in der NBA hielt, ohne allerdings je über den Status eines Rollenspielers hinauszukommen. 

Etwas besser schlugen sich da schon seine beiden unmittelbaren Nachfolger, auch wenn weder No.2-Pick Mike Bibby noch No.3-Pick Raef LaFrentz jemals All-Stars werden sollten. Sie eröffneten allerdings eine ganze Reihe von über Jahre produktiven Spielern dieses Jahrgangs, zu der beispielsweise auch Jason "White Chocolate" Williams, Bonzi Wells, Tyronn Lue, Ricky Davis, Rasho Nesterovic und Larry Hughes gehörten. Auch in der zweiten Runde fanden sich unter anderem mit Cuttino Mobley und Rashard Lewis noch starke Spieler, Lewis wurde sogar zu zwei All-Star Games eingeladen. 

Der 1998er Draft verdeutlichte gut, wie viel Glück bei der jährlichen Talentziehung im Spiel ist und wie unsicher auch die Teams im Vorfeld meistens sind. An den Positionen vier und fünf etwa wurden nacheinander die College-Teammates Antawn Jamison und Vince Carter gedraftet, nur um ein paar Minuten später füreinander getradet zu werden.

Die beiden besten Spieler des Jahrgangs wurden ebenfalls direkt nacheinander gedraftet, allerdings erst an den Positionen 9 und 10. No.10-Pick Paul Pierce hatte drei starke College-Saisons für die Kansas Jayhawks absolviert und galt eigentlich als Top-3-Pick, aus bis heute unerfindlichen Gründen (ein anonymer GM sagte Jahre später bei Sports Illustrated, Pierce habe als "soft" gegolten) fiel er jedoch am Draft-Tag immer weiter zurück. "Ich bin gerade völlig geschockt", sagte der damalige Celtics-Coach Rick Pitino, wenige Minuten, nachdem Pierce ihm in den Schoß gefallen war. 

Pitino wiederum hatte vor dem Draft eigentlich auf den Spieler geschielt, der direkt vor Pierce gedraftet wurde – er hatte Dirk Nowitzki sogar versprochen, ihn zu ziehen, wenn er an Position 10 noch verfügbar sein sollte. 

Dass dies überhaupt im Rahmen des Möglichen lag, erscheint rückwirkend schon kurios, weil Nowitzki eben doch die eindrucksvollste Karriere all dieser Spieler hingelegt hat. Aber 1998 funktionierte die NBA noch anders – es hatte zwar schon einige erfolgreiche europäische Spieler gegeben, etwa Toni Kukoc, Drazen Petrovic oder Detlef Schrempf, diese hatten aber üblicherweise College-Erfahrung oder zumindest auf internationaler Ebene professionell gespielt. 

Eine grundlegende Skepsis bestand also schon deshalb – und dann kam noch dazu, dass Nowitzki eben keine stereotypische Jobbeschreibung hatte. Er war ein werfender Riese, ein (damals) athletischer Spieler, der eher wie ein Guard spielte denn wie ein klassischer Big Man. 

Daraus wurde gerne geschlussfolgert, dass er dann eben auch "weich" sein müsste wie viele Euros vor ihm, die mit der physischen NBA nicht zurechtkamen. "Alle sagten: 'Er wird soft sein wie all die anderen Ausländer'", erinnerte sich US-Journalist Marc Stein - der die Mavericks schon 1998 begleitete - viele Jahre später bei Sports Illustrated

Don Nelson hatte diese Bedenken nicht – oder sie waren ihm schlichtweg egal. Der damalige Coach und General Manager der Mavericks sah in Nowitzki das Potenzial, ein besonderer Spieler zu werden: "Ich hatte noch nie einen jungen Spieler mit solchen Fähigkeiten gesehen, und das bei der Größe", bekundete "Nellie" später. 

Konventionen hatten Nelson ohnehin nie interessiert, neue, potenziell sogar revolutionäre Denkweisen und Spielstile hingegen schon. Deswegen hatte er sich in das "Projekt" Nowitzki gewissermaßen auch schon auf den ersten Blick verliebt. 

DER WEGBEREITER 

Sarunas Marciulionis und die Ergründung des alten Kontinents

Heutzutage hat jedes NBA-Team ein üblicherweise recht großes und gut vernetztes Team von internationalen Scouts, gerade Europa ist gut "abgedeckt" und es geschieht kaum noch, dass ein großes Talent so richtig unter dem Radar fliegt, zumindest nicht lange. 

Spieler wie Doncic sind diesen Scouts bekannt, sobald sie auf der europäischen Bildfläche erscheinen, ab einem gewissen Zeitpunkt wird ohnehin jeder ihrer Schritte detailliert verfolgt. Es ist auch keine Seltenheit mehr, dass GMs wie beispielsweise Houstons Daryl Morey während der NBA-Saison für eine Woche nach Europa fliegen, um bestimmte Spieler selbst zu beobachten, wie in der jüngst abgelaufenen Spielzeit geschehen.

Das war früher nicht der Fall, zumindest nicht so flächendeckend. Vieles lief eher zufällig ab und dafür ist auch Nowitzkis Weg zu den Mavericks ein gutes Beispiel. Der Grundstein dafür wurde gewissermaßen schon in den 80er Jahren gelegt und involvierte Nelsons Sohn Donnie, der 1998 als Assistant General Manager bei den Mavericks arbeitete.

Der jüngere Nelson hatte als College-Spieler mit der christlichen Organisation Athletes in Action an "Basketball-Reisen" teilgenommen, zunächst in Südamerika und dann auch in Europa. 1985 traf er auf einer solchen Reise im litauischen Vilnius auf einen talentierten Swingman namens Sarunas Marciulionis, mit dem ihn fortan trotz der Sprachbarriere eine Freundschaft verband. 

Nelson hatte zudem, genau wie sein Vater, ein gutes Auge für Talent, und empfahl Marciulionis an seinen Vater weiter, der diesen 1987 zu den Golden State Warriors draftete. Danach verstrich zwar noch etwas Zeit, 1989 wurde Marciulionis aber tatsächlich der erste Spieler aus der damaligen Sowjetunion, der für ein NBA-Team auflief.

Nelson, der von 1986 bis 1994 ebenfalls wie sein Vater bei den Warriors arbeitete, hatte spätestens ab diesem Zeitpunkt einen wachsamen Blick auf den europäischen Basketball. Teilweise zusammen mit Marciulionis veranstaltete er mehrere Basketball-Clinics in Europa, wodurch er Kontakte knüpfte und natürlich auch die Talente im Auge behielt. 

Dass Marciulionis sich zudem als einer der ersten Europäer wirklich in der NBA durchsetzen konnte, bestärkte Nelson in dieser Hinsicht noch. Auch bei seinen späteren Stationen reiste Nelson regelmäßig nach Europa, um nach bis dahin verborgenen Talenten zu fahnden. 

Ab Mitte der Saison 1997/98 tat er dies als Assistant GM der Mavericks. Und auf einer solchen Reise stieß er dann auch auf einen damaligen Zweitligaspieler in Diensten des DJK Würzburg, der ihn von Anfang an begeisterte. Ähnlich wie mehr als ein Jahrzehnt zuvor berichtete er seinem Vater davon. 

Dieser hatte zwar zunächst keine Zeit, sich Nowitzki anzusehen – er hatte ein Team zu coachen, wenn auch ein damals ziemlich schlechtes -, aber wie es der Zufall so wollte, sollte er im Frühjahr 1998 dann doch eine ausgiebige Möglichkeit dazu erhalten. 

Wie Nowitzki die Planung der Mavs fast kaputt gemacht hätte 

Das Hoop Summit wurde im Jahr 1995 ins Leben gerufen als Möglichkeit für die größten Talente aus den USA und dem Rest der Welt, um ihre Fähigkeiten vor allem den College- und NBA-Scouts sowie -Verantwortlichen zu demonstrieren. Bei dem von Nike gesponserten Event treten traditionell die US-Amerikaner gegen den "Rest" an, abgesehen vom Spiel selbst wird aber auch eine Woche lang unter Anleitung verschiedener Coaches zusammen trainiert. 

Einer dieser Coaches war 1998 Donnie Nelson, der auch in den drei Jahren zuvor schon Teil des Camps gewesen war. Nelson hatte hier also noch eine weitere Möglichkeit, sich den jungen Nowitzki besonders intensiv anzusehen. Eine noch glücklichere Fügung war indes, dass die Training Camps in diesem Jahr nicht wie üblich in Oregon (nahe der Nike-Zentrale) stattfanden – sondern in Dallas.

"In dem Jahr war das Hoop Summit erstmals mit dem NCAA Final Four verbunden, das zufällig in San Antonio stattfand", erinnerte sich Nelson später bei Sports Illustrated. "Ich glaube, dass sie Dallas für das Training Camp ausgewählt haben, weil es logistisch einfacher war, alle Leute nach Dallas einzufliegen und von dort aus nach San Antonio weiterzuleiten. Es war ein glücklicher Zufall, dass das alles so funktioniert hat." 

Die Trainingseinheiten in Dallas fielen nämlich praktischerweise mit einigen freien Tagen und Heimspielen der Mavericks zusammen – dadurch hatte dann auch der ältere Nelson endlich die Zeit, sich den neuen Lieblingsspieler seines Sohnes genau anzusehen. Don Nelson besuchte alle Trainingseinheiten, und nach wenigen Tagen war es auch um ihn geschehen. 

"Dieser Junge hat die Chance, das Spiel zu revolutionieren", sagte Nelson zum damaligen Mavs-Teilhaber Frank Zaccanelli. Die Vielseitigkeit Nowitzkis hatte es ihm sofort angetan – und Nelson, ganz der gewiefte Hund, versuchte sofort Pläne zu schmieden, um dieses Juwel geheim zu halten. Tatsächlich wollte er Nowitzki unbedingt davon abhalten, nach San Antonio zu reisen, um an dem Spiel überhaupt teilzunehmen. 

"Wir wollten ihn verstecken", sagte Nelson, der sogar Nowitzkis Mentor Holger Geschwindner anbettelte, später zu Sports Illustrated. "Wir haben einige Dinge getan, die wir vermutlich nicht hätten tun dürfen, um ihn davon abzuhalten, zu anderen Teams zu gehen und mit ihnen zu sprechen. Wir haben alles versucht."

Donnie Nelson widersprach dieser Aussage seines Vaters zwar und sagte, dass man sich an die Regeln gehalten habe, es spielte aber ohnehin keine Rolle. Nowitzki ließ sich nicht davon abhalten, in San Antonio aufzulaufen – und nach seiner 33-Punkte-14-Rebounds-Performance konnte von "Verstecken" natürlich ohnehin keine Rede mehr sein. NBA-Legende Larry Bird kommentierte Nowitzkis Spiel damals wie folgt: "Wenn man nur dieses Tape angesehen hat, würde man denken, dass er der beste Spieler aller Zeiten ist." 

Auf einmal war Nowitzki auf dem Radar der NBA angekommen und beim besten Willen kein "Geheimnis" mehr. Das machte den Draft-Tag für die Nelsons natürlich nicht gerade einfacher – aber wie sich zeigen sollte, waren sie vorbereitet.

Die Mavericks wussten vor dem Draft ganz genau, dass sie in Pierce und Nowitzki zwei Favoriten hatten. Dallas verfügte über den No.6-Pick, weshalb sich die Nelsons keine Chance darauf ausrechneten, an Pierce heranzukommen. Dementsprechend konzentrierten sie ihre Überlegungen schon früh auf Nowitzki – und auch ihre "Bemühungen": Wenige Tage vorm Draft wollte Don Nelson seine Begeisterung für Nowitzki mit der Aussage verstecken, dass "Dan Gadzuric Dirk bei einem Workout den Arsch versohlt hat", wie sich Marc Stein bei Sports Illustrated erinnerte. Gadzuric wurde übrigens vier Jahre später in der zweiten Runde gedraftet. 

Die Mavs wussten, dass Bostons Pitino ebenfalls ein großer Nowitzki-Fan war und an Stelle 10 zugreifen würde, sollte dieser da noch verfügbar sein. Am Draft-Tag kalkulierten sie jedoch damit, dass sie für Nowitzki nicht zwingend den No.6-Pick brauchen würden, und fädelten einen ebenso riskanten wie brillanten Deal mit den Milwaukee Bucks ein, die an Position 9 an der Reihe waren. 

Die Mavs gaben den 6. Pick ab und erhielten dafür den 9. und den 19. Pick zurück. "Ich habe Milwaukee gesagt, dass sie nur einen Spieler nicht draften dürfen, und das war Dirk", sagte Nelson Sr. zu Sports Illustrated. "Sie haben sich daran gehalten, und deswegen war Dirk an Position 9 immer noch da. Aber Pierce auch!" 

Milwaukee entschied sich an Position 6 für Robert "Tractor" Traylor, der lediglich sieben NBA-Jahre spielte und 2011 bereits im Alter von 34 Jahren verstarb. Danach gingen nacheinander Jason Williams und Larry Hughes weg, Pierce und Nowitzki hingegen blieben verfügbar – was die Nelsons völlig durcheinander brachte. 

Auf einmal mussten sie eine Entscheidung treffen, die sie vorher nicht für möglich gehalten hätten – den "fertigen" College-Star Pierce oder das Langzeit-Projekt Nowitzki? "Wir dachten, dass Dirk der bessere Spieler werden würde, aber wir wussten nicht, ob wir die zwei Jahre überleben würden, bis sich das zeigte. Am Ende hat mein Vater mich angesehen und gefragt: 'Nun, mein Sohn, was machen wir jetzt?'", sagte Donnie Nelson. "Er sagte: 'Komm schon, Dad, wir haben einen Deal gemacht. Wir nehmen Dirk'", ergänzte Nelson Sr. Und das taten sie.

"With the 9th pick in the 1998 NBA Draft, the Milwaukee Bucks select Dirk Nowitzki from Würzburg, Germany", verkündete der damalige Commissioner David Stern zu einer nicht gerade positiven Reaktion im Publikum – es wurde zwar nicht so laut gebuht wie viele Jahre später bei Kristaps Porzingis, dennoch war problemlos zu hören, dass die Entscheidung für Nowitzki und gegen Pierce für falsch gehalten wurde. Pitino nahm den Jayhawks-Star als "Trostpreis" mit Kusshand an 10. Stelle. 

Die Strategie der Mavericks – und ihr Versuch, den Nowitzki-Plan möglichst geheim zu halten – war dennoch aufgegangen. Sie hatten ihren Wunschspieler bekommen, auch wenn der ältere Nelson mit seiner Gadzuric-Aussage zuvor etwas anderes angedeutet hatte. 

Angesprochen darauf prägte er gegenüber Stein einen Satz, den man sich mit Blick auf den Draft immer und immer wieder in Erinnerung rufen sollte: "Du weißt doch, dass man niemals irgendetwas glauben sollte, was ich vor dem Draft sage!" NBA-Teams und -Offizielle, die sich zu sehr in die Karten schauen lassen, machen grundsätzlich etwas falsch. 

Zumal Nelson an diesem Tag noch gar nicht fertig war mit seinen Deals. Der 19. Pick, den er im Nowitzki-Trade erhalten hatte, wurde zu Pat Garrity – dieser wiederum wurde kein Maverick, sondern umgehend gemeinsam mit Martin Muursepp, Bubba Wells und einem 1999er Erstrundenpick nach Phoenix geschickt. Im Gegenzug kam ein kanadischer Point Guard namens Steve Nash zu den Mavericks.

Es konnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen – auch nicht die Nelsons. Aber an diesem denkwürdigen Tag im Jahr 1998 hatten sie zwei zukünftige All-Stars, Hall-of-Famer und MVPs akquiriert (wenngleich Nash seine allerbesten Jahre wiederum in Phoenix hatte) und einer von beiden prägt auch heute, fast exakt 20 Jahre später, immer noch das Gesicht dieser Franchise. 

Auch wenn die letzte und ultimativ wichtigste Hürde zu diesem Zeitpunkt immer noch zu nehmen war. Man musste Nowitzki noch davon überzeugen, seine Heimat tatsächlich zu verlassen.

Recruiting Trip und Grill-Party 

Erneut mussten sie dafür schnell handeln. Die NBA steuerte in diesen Tagen unausweichlich auf einen Lockout zu – der Tarifvertrag zwischen Spielern und Teams endete am 30. Juni und ohne gültiges neues Papier ist es Teams in der NBA seit jeher untersagt, Spieler zu kontaktieren. Das gilt zwar nicht für alle Regeln in der NBA (siehe: Tampering), aber diese Regel wird tatsächlich knallhart durchgesetzt: Sogar für private Angelegenheiten wie Hochzeiten von Spielern müssen alle Team-Angestellten erst eine Sondergenehmigung einholen. Tauchen sie dort ohne eine solche Genehmigung als Gast auf, ist mit einer heftigen Strafe zu rechnen. 

Der Draft fand in diesem Jahr am 24. Juni statt, Zeit zu verschwenden hatten die Mavericks in diesem Fall also nicht. Und genauso verhielten sie sich: "Zwei Stunden nach dem Draft klingelte das Telefon und Don Nelson sagte mir: 'Wir kommen nach Deutschland.'", erinnerte sich Geschwindner beim Dallas Magazine

Als "kleinen Recruiting Trip" bezeichnete Donnie Nelson die Exkursion, die nun folgte und die dazu dienen sollte, den noch unsicheren jungen Mann – und seinen Mentor – davon zu überzeugen, dass schon jetzt die richtige Zeit gekommen war, um sich den großen Traum von der NBA zu erfüllen. Nowitzki war sich nämlich alles andere als sicher – er hatte bis dahin ja noch nicht einmal BBL gespielt, sondern war nur in der zweiten Bundesliga aktiv gewesen. Er hielt es durchaus für möglich, erst einmal ein oder sogar zwei Jahre beispielsweise beim FC Barcelona zu spielen, der sich ebenfalls bereits bei ihm gemeldet hatte. 

"[Don] Nelson kam und hat bei mir gewohnt. Ich habe damals in einer alten Burg gelebt", sagte Geschwindner. "Sie sind insgesamt drei Tage geblieben und haben uns davon überzeugt, dass wir wenigstens mal nach Dallas kommen sollten. Wir hatten dann wegen des Lockouts nur drei Tage dafür, also musste es schnell gehen. Das war die Situation, in der er seine Entscheidung treffen musste." 

"Nellie hatte eine Grill-Party bei sich zuhause", erinnerte sich Nowitzki selbst an die Reise nach Dallas. "Sie haben mir gesagt: 'Es gibt wirklich keinen Druck hier. Warum kommst du nicht einfach rüber und entwickelst dich weiter? Wir werden jetzt erstmal kein Playoff-Team sein und du kannst dich in deinen ersten paar Jahren hier einfach entwickeln.' Ich habe mit einigen Spielern gesprochen und mit Nellie, und mich dann entschieden." 

Nach langer Planung, diversen Manövern und "Shenanigans" des älteren Nelson war letztendlich doch alles von der Entscheidung Nowitzkis abhängig. Entsprechend erleichtert dürften die Mavericks gewesen sein, als dieser am Ende einer turbulenten Woche das aussprach, worauf sie alle gehofft hatten: "Okay, ich versuche es." Der Rest war Geschichte.

Nowitzkis NBA-Karriere erlebte natürlich noch einige Turbulenzen. Zunächst einmal startete sie ja wirklich erst später – der Lockout zog sich lange, erst im Januar erhielt Nowitzki, der in der Zwischenzeit weiter in Würzburg gespielt hatte, den Anruf, dass es nun doch eine verkürzte Saison geben würde. Und diese war beileibe kein Triumphzug: Auch wenn Nelson Sr. noch tönte, dass Nowitzki Rookie des Jahres werden würde ("kein Druck"?), dauerte es eine ganze Weile, bis aus dem jungen Dirk Nowitzki DIRK NOWITZKI werden sollte. 

Heute ist der nun 40-Jährige als Revolutionär bekannt, als einer der besten Spieler der NBA-Geschichte, als einer von nur sieben Spielern mit über 31.000 Punkten in der Regular Season. Er ist nicht nur einer der besten, sondern auch einer der wichtigsten Spieler überhaupt, weil er eben so viele Türen geöffnet und Vorurteile aus dem Weg geräumt hat. Die Entwicklung der NBA hat zu einem großen Teil dank ihm eine wesentlich globalere Richtung eingenommen und kommt heute vielseitiger her denn je.

Sein Beispiel verdeutlicht aber auch wunderbar, was für ein Glücksspiel der Draft bisweilen sein kann. Es brauchte einen Haufen teils kurioser Umstände, um ihn auf das Radar der Mavericks zu bringen und ihn dann auch wirklich nach Dallas zu kriegen – in eine Situation, in der ein revolutionär denkender Coach am Werk war, der die nötige Geduld mitbrachte und zudem kreativ genug war, um Deals wie den für Nash einzufädeln: Nash war gerade in den ersten ein, zwei Jahren essenziell dafür, dass Nowitzki sich im fremden Umfeld zurechtfand und nicht nach Europa zurückkehrte, was zwischenzeitlich durchaus seine Überlegung war. 

Für ihn war es letztendlich genau richtig, dass er im Draft "fiel", so kurios die Gründe dafür heute auch aussehen mögen. Wenn man damals gewusst hätte, was man heute weiß, hätte er natürlich der Nummer-1-Pick sein müssen, aber es ist eben keine exakte Wissenschaft. Auch heute, wo Scouting, medizinische Tests und Talent-Evaluation auf einem völlig anderen Level ablaufen, passiert das immer noch regelmäßig.

Im letzten Jahr fielen Donovan Mitchell (13. Pick) und Kyle Kuzma (27.) tief, beide erreichten das All-Rookie First Team. Giannis Antetokounmpo wurde 2013 an 15. Stelle von den Bucks gedraftet, in einem Jahrgang, bei dem Anthony Bennett der erste Pick war. Rudy Gobert, der zweitbeste Spieler dieses Drafts, landete auf Rang 27. Irgendjemand wird auch in diesem Draft weiter fallen als nötig, vielleicht ja sogar Doncic selbst.

Es gibt zwar nicht in jedem Jahr so drastische Fehleinschätzungen, gewisse Ausreißer nach unten oder oben gibt es jedoch so sicher wie das Amen in der Kirche. Während Teams wie Dallas 1998 oder Utah 2017 dann rückblickend wie Genies wirken, werden die Cavaliers für ihren Bennett-Pick wohl noch in 20 Jahren verspottet. 

Die Wahrheit ist jedoch, dass man seine Hausaufgaben machen und ein "Näschen" haben und trotzdem völlig danebenliegen kann: Jeder GM der Liga hat diese Erfahrung schon gemacht, natürlich auch (die) Nelson(s). Und natürlich ist andererseits auch bei einer "richtigen" Entscheidung nicht sofort absehbar, wer einige Male All-Star wird und wer das Potenzial zum All-Timer hat. 

"Ich dachte damals, dass wir die Chance hatten, einen All-Star zu bekommen, um den wir unser Team aufbauen könnten", sagte Nelson Sr. bei Sports Illustrated über Nowitzki, "aber niemand hätte vorhersehen können, was aus ihm geworden ist. Er hat alle Erwartungen, die wir hatten, weit übertroffen." 

Es gehört eben noch ein bisschen mehr dazu. Der Draft ist nur der Anfang – die Herausforderung besteht darin, die nächsten zehn Jahre vorauszusehen. Oder, in Nowitzkis Fall, die nächsten 20.