In Gedanken beim Vater

Steve Johnson hat zwei harte Matches hinter sich
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Dominic Thiem trifft in der dritten Runde von Roland Garros auf Steve Johnson. Der US-Amerikaner musste erst vor kurzem mit einem Schicksalsschlag fertig werden.

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Von Jens Huiber aus Paris

Die Frage nach der Identität jenes Mannes, mit dem Dominic Thiem im vergangenen Jahr in Wien eine Trainingseinheit bestritten hat, ließ sich damals nur bei ganz genauem Hinschauen klären: Doch, das musste Steve Johnson sein, der da mit einem Schnauzbart auf dem Court stand, der ihm in der Porno-Branche der späten 70er-Jahre sofortigen und unsterblichen Ruhm eingebracht hätte. Tatsächlich war die markante Gesichtsbehaarung natürlich einem anderen Zweck geschuldet, dem "Movember", einer Aktion, die der Krebsforschung für Männer weltweit mehr Aufmerksamkeit verschaffen soll. Dass Johnson seinen persönlichen Beitrag um gut einen Monat vorgezogen hatte, geschenkt. Bis dato sind dem US-Amerikaner spielerische Aufträge auf der ATP-Tour im November schließlich versagt geblieben - im Gegensatz zu seinem freitäglichen Gegner Dominic Thiem.

Es lässt sich mit einiger Sicherheit sagen, dass Johnson seit jenen Tagen in Wien nicht mehr oft zum Rasierer gegriffen hat. Dass der 27-Jährige mit dem mächtigen Vollbart in Paris überhaupt am Start ist, war keineswegs sicher: Johnsons Vater, Steve senior, war vor nicht einmal drei Wochen überraschend verstorben, eine Pause des Juniors, noch dazu bei jenem Grand Slam, bei dem seine Chancen theoretisch am geringsten sind, hätte jeder verstanden. "Körperlich geht es mir gut, aber emotional bin ich komplett durcheinander", gab Johnson nach seinem Vier-Satz-Marathon-Sieg gegen Borna Coric zu Protokoll. Der zweite Ausdauertest in zwei Matches im Übrigen, in Runde eins ging es gegen Yuichi Sugita über fünf Sätze.

Idee locker, Ausführung intensiv

Deutlich unaufgeregter hat sich Dominic Thiem in die dritte Runde von Paris gespielt, ohne Satzverlust hat der Österreicher dieses Stadium eines Majors davor noch nie erreicht. Der Donnerstag hat für Thiem, schon wieder, eine Trainingseinheit im Schatten des "Stade Jean Bouin" vorgesehen, diesmal nicht mit seinem potenziellen Achtelfinal-Gegner David Goffin - ein Hitting Partner musste herhalten. Die Idee wäre eine Einheit auf der lockeren Seite gewesen, herausgekommen ist die intensivste Session auf dem Trainingscourt. Im Anschluss hat sich Thiem mit Boris Becker besprochen, vor laufender Kamera noch dazu. Der legendäre Deutsche ist mit Thiems Coach bestens vertraut, auch mit dessen notorischen Pessimismus. Die Angewohnheit, das Heimflug-Ticket eher zu früh zu buchen, habe Bresnik schon bei Ernests Gulbis an den Tag gelegt.

Thiem hat im Laufe des Turniers nur den Court Suzanne Lenglen bespielt, gegen Johnson wird es auch ein Showcourt werden. Simone Bolelli hat die Nummer sieben der Welt erwartungsgemäß härter gefordert als Bernard Tomic zum Auftakt, bei effizienterer Nutzung seiner Breakchancen, hätte sich Thiem deutlich früher unter die Dusche begeben können. Solide sei seine Leistung gewesen, so Dominic Thiem, sein bestes Tennis müsse man sich aber ohnehin für die späteren Phasen eines Majors aufsparen. Die Erinnerung an das einzige Match gegen Johnson in Nizza 2014 ist noch nicht ganz verblasst, seitdem haben sich beide Spieler verbessert. Dominic Thiem ist die tragische Situation von Steve Johnson natürlich bekannt, er erwartet seinen Gegner dennoch auf der Höhe seiner Kunst, auch körperlich. Spielerisch gesehen sei die Rückhand natürlich die Schwäche, diese würde Johnson aber wunderbar kaschieren, vor allem mit guter Beinarbeit.

Großer Kampf in Houston

Steve Johnson ist noch während seines Matches gegen Coric zum Helden geadelt worden, US-Kollege Björn Frantangelo war auf Twitter so frei. Nach dem Matchball ging Johnson auf die Knie, für den Gang zum Netz gab ihm der Kroate etwas mehr Zeit: Er musste erst sein Racket fachgerecht zerlegen. Mehrmals. Zumindest das ist bei Dominic Thiem fast zur Gänze auszuschließen, der 23-Jährige hat die Raunzerei nach dem Turnier in Barcelona durch einen stoischen Gestus auf dem Platz ersetzt. Auch wenn er, so Thiem nach dem Match gegen Tomic, lautstark lamentierend ebenso gut spielen würde wie in biblischer Ruhe. Die zu finden sei auf der Herren-Tour übrigens einfacher als bei den Damen, so Thiem sinngemäß nach dem Training.

Dass sein kommender Gegner mit dem roten Sand per Du ist, hat Thiem sicherlich aus dem Turniersieg von Johnson in Houston geschlossen. Dort hatte Thomaz Bellucci den Lokalfavoriten in Krämpfe getrieben, Johnson sich auf das Wesentliche konzentriert, die wichtigen Punkte nämlich. So weit wird es Dominic Thiem nicht kommen lassen, der Niederösterreicher wirkt fit wie selten, wenn der Rückschlag so funktioniert wie in den letzten Wochen, liegt die Favoritenrolle klar bei ihm. Steve Johnson ist mit der dritten Runde gut bedient, so richtig froh kann ihn der Tennissport im Moment nicht machen: "Ich vermisse meinen Vater einfach. Ich wünschte, er wäre hier."

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