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Warum die Chargers Tom Brady nicht nachtrauern werden

Von Ruben Martin
Die Chargers hatten im Rennen um Tom Brady das Nachsehen.
© getty

Die Los Angeles Chargers waren wohl nur der zweite Sieger im Rennen um die Dienste von Tom Brady - hinter den Tampa Bay Buccaneers. Wie geht es jetzt weiter für die Chargers? Es gibt einige Gründe dafür, dass die Niederlage im Werben um Brady langfristig sogar besser für sie sein könnte.

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Die Chargers waren laut Medienberichten die letzten und offenbar auch einzigen ernsthaften Mitbieter um die Dienste von Tom Brady neben den Tampa Bay Buccaneers. Dass der 42-Jährige sich letztendlich für die Bucs entschied, hatte laut NFL-Reporter Jim Trotter vorrangig damit zu tun, dass Brady und seine Familie gerne an der Ostküste bleiben wollten.

Es war also keine aktive Entscheidung gegen das Team aus Los Angeles, was Brady sportlich auch einiges anbieten konnte.

Die Chargers haben dadurch zwar das Rennen um Brady - der somit wohl die Nummer-1-Option für die Quarterback-Position in Los Angeles war - verloren. Dadurch stehen sie jedoch nicht unbedingt schlechter da.

Nur eine Chance mit Brady

Das Szenario nämlich lässt sich relativ einfach erklären: Mit Tom Brady als Quarterback hätten die Chargers kompromisslos auf die kommende Saison, maximal die nächsten beiden Jahre, setzen müssen. Bradys Alter ist nicht der einzige Grund dafür, schließlich ist auch kaum einzukalkulieren, ob Brady noch ein oder zwei Jahre auf hohem Niveau spielen kann - oder vielleicht auch gar kein gutes Jahr mehr in sich hat. Vielmehr ist hier wie so oft die finanzielle Lage der ausschlaggebende Faktor.

25 Millionen Dollar kassiert Brady pro Jahr über die nächsten beiden Jahre in Tampa, mit Bonuszahlungen kann das Gesamtvolumen von 50 auf 59 Millionen Dollar ansteigen. 25 bis 30 Millionen hätten die Chargers für das erste Jahr noch bezahlen können und wären dazu wohl auch bereit gewesen.

Sie hätten vermutlich trotzdem mindestens zwei der drei Verpflichtungen von Bryan Bulaga, Linval Joseph und Chris Harris Jr. durchziehen können. Den noch fehlenden Left Tackle hätten die Chargers an Stelle 6 im Draft auswählen können, an starken Optionen an der Spitze fehlt es in diesem Jahrgang nicht. Man wäre, zumindest für ein Jahr, ein ernsthafter Titelanwärter gewesen.

Brady-Verpflichtung mit hohem Risiko verbunden

Nach der Saison wäre es jedoch fast unmöglich gewesen, diesen Kader noch für ein weiteres Jahr zusammenzuhalten. Bradys Gehalt wäre nicht geringer geworden, auch der Vertrag von beispielsweise Neuzugang Harris bringt den deutlich höheren Cap Hit im zweiten Jahr mit.

Die Verträge unter anderem von Joey Bosa, Keenan Allen, Melvin Ingram, Hunter Henry (sollte er unter dem Tag spielen) und Desmond King laufen dann aus, weitere Leistungsträger wie Trai Turner und Mike Williams werden dann langsam Vertragsverlängerungen fordern. Trotz der steigenden Grenze des Salary Caps in den nächsten Jahren hätten die Chargers nur wenige Spieler halten können.

Ein mehr oder weniger großer Rebuild hätte also auf die eine Saison mit Brady folgen müssen. Und, außer im Falle einer Verletzungsplage, hätten die Chargers dann auf keinen Fall so eine gute Draftposition wie im bevorstehenden Draft, um ihren Quarterback der Zukunft auszuwählen. Alles andere als mindestens eine Teilnahme am AFC Championship Game wäre also eine Enttäuschung gewesen, wenn man dafür die mittelfristige Zukunft geopfert hätte.

Und selbst das Championship Game wäre schwierig zu erreichen gewesen, da die Chargers womöglich nicht mal ihre Division gewinnen werden, solange die Kansas City Chiefs und Patrick Mahomes ein Wörtchen mitzureden haben. Das wird sich allerdings in den nächsten Jahren auch nicht ändern.

Die Macht eines Rookie-Vertrags

Deutlich mehr Flexibilität in der Offseason von 2021 hätten die Chargers, falls ihr Quarterback in Jahr 2 nur einen Cap Hit von etwa 5 Millionen Dollar hätte. Das wäre der Fall, wenn sie im April einen Quarterback mit dem sechsten Pick im Draft auswählen, worauf die Situation momentan hinauszulaufen scheint.

Tyrod Taylor scheint zwar sehr beliebt bei Head Coach Anthony Lynn zu sein, die beiden waren bereits von 2015 bis 2016 gemeinsam bei den Buffalo Bills, und er hat auch schon mehrmals bewiesen, dass er als Starting Quarterback auch über eine ganze Saison hinweg keineswegs eine Katastrophe ist. Der 30-Jährige gibt der Mannschaft jedoch nur bedingt realistische Chancen auf einen tiefen Run in den Playoffs.

Wenn die Chargers bis zum Draft noch einen Starting Left Tackle verpflichten können, sieht die Mannschaft auf dem Papier extrem stark aus. Ein Einjahresvertrag für den 38-jährigen Jason Peters wäre eine Option, vielleicht in der Hoffnung dass danach schon Trey Pipkins, der Drittrundenpick von vergangener Saison, die Position übernehmen kann.

Könnte General Manager Tom Telesco für Kelvin Beachum einen ähnlichen Vertrag wie den von Bryan Bulaga (3 Jahre, 30 Millionen Dollar) einfädeln, hätten die Chargers sich einen konstanten, durchschnittlichen Left Tackle gesichert. Die Offensive Line hätte innerhalb einer Offseason einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht.

Chargers: Vorbereitung auf einen Rookie-Quarterback?

Weitere sekundäre Baustellen wie die Position des dritten Wide Receivers oder ein weiterer Linebacker, der seine Stärken in der Passverteidigung hat, können problemlos im Draft adressiert werden.

Selbstverständlich gibt es keinerlei Garantie, dass der Rookie-Quarterback, egal ob der am Ende Tua Tagovailoa, Joe Burrow oder Justin Herbert heißt, trotz den hervorragenden Umständen im ersten, zweiten, dritten Jahr oder überhaupt jemals funktionieren wird. Doch ideale Umstände zu schaffen, das ist die Aufgabe des General Managers. Und im Moment ist ist Telesco hier sehr erfolgreich.

Also ist ein Quarterback früh in der ersten Runde in Stein gemeißelt? Oder könnte L.A. noch alternative Pläne in der Hinterhand haben?

Die Chargers haben zumindest durchsickern lassen, dass sie keinen Quarterback in der Free Agency oder per Trade verpflichten wollen. Das bedeutet nicht, dass sie nicht weiter alle Optionen berücksichtigen werden.

Cam Newton wurde in den vergangenen Tagen häufig mit Los Angeles in Verbindung gebracht und scheint momentan der einzige verbliebene Quarterback zu sein, der für die Chargers noch in Frage kommt. Jameis Winston ist noch ein Free Agent und Andy Dalton vermutlich weiter per Trade verfügbar, jedoch scheint es immer wahrscheinlicher zu werden, dass die beiden sich in der kommenden Saison auf einen Posten als Backup einstellen müssen.

Wird Cam Newton für die Chargers interessant?

Die Situation um Newton könnte sich aus Sicht der Chargers entscheidend ändern, wenn der MVP von 2015 entlassen wird und dementsprechend ohne zusätzlichen Einsatz eines Draft-Picks verpflichtet werden könnte. Ein Verbleib in Carolina ist in jedem Fall undenkbar.

Newton hat vermutlich von allen Quarterbacks, die verfügbar waren oder sind, immer noch das größte Potenzial und würde auch in die Offensive der Chargers passen. Ein Grund für die Trennung der Franchise von Philip Rivers war, dass man einen mobileren Quarterback haben wollte. Newton muss in einem Atemzug mit Spielern wie Michael Vick und Lamar Jackson genannt werden, wenn es um die athletischsten Quarterbacks aller Zeiten geht.

Newton bringt aufgrund seiner Verletzungshistorie, die sich nun auch nicht mehr auf seine Schulter beschränkt, riesige Fragezeichen mit, kann ein Team jedoch in den Super Bowl führen. Sein Gehalt wäre deutlich geringer als Bradys. Falls Newton jedoch nicht mal annähernd an seine alte Form zurückkehren kam, stehen die Chargers nach der Saison 2020/21 jedoch auch ohne Quarterback und vermutlich ohne Plan da.

Modernes Teambuilding oder gescheitertes Experiment?

Die Los Angeles Chargers haben in den vergangenen Jahren bereits eine ungewöhnliche Entwicklung gezeigt. Eine starke Saison mit 12 Siegen liegt zwischen zwei enttäuschenden Saisons mit jeweils sieben und fünf Siegen. Nun drehen sie, falls sie ihren Starting Quarterback im Draft auswählen, den Ablauf des Teambuildings um, der in den letzten Jahren häufig zu beobachten war.

Teams wie die Los Angeles Rams oder Chicago Bears haben die günstigen Verträge ihrer Quarterbacks genutzt, um sie ab dem zweiten Jahr mit starken, oft teuren Mitspielern zu versorgen. Die Rams haben es so zumindest in den Super Bowl geschafft, bei den Bears stellte sich heraus, dass Mitchell Trubisky nicht einmal gut genug war, um sich von der historisch starken Defensive der Bears in 2018 weit genug tragen zu lassen. Die Buffalo Bills aktuell sind ein weiteres Paradebeispiel.

Die Chargers haben nun ein Team, dass auch vor einem Jahr schon von vielen Experten als ernsthafter Titelanwärter eingeschätzt wurde, auf dem Papier mit mehreren sehr guten Verpflichtungen nochmal stark verbessert und werden vermutlich einen Rookie-Quarterback an die Spitze dieses Teams setzen. Ob das einfach ein alternativer Weg zum Erfolg ist oder sich als gescheitertes Experiment herausstellt, wird man erst in ein paar Jahren bewerten können.

Sicher ist jedoch, dass Coach Anthony Lynns Jobsicherheit direkt mit der Entwicklung des nächsten Quarterbacks zusammenhängen wird. Normalerweise trennen Mannschaften ihren Quarterback ungern nach dem ersten Jahr vom Head Coach, vor allem wenn der, wie Lynn, einen offensiven Hintergrund hat.

Lynn galt jedoch schon in dieser Offseason als Entlassungskandidat und kann sich keine weitere Saison leisten, in dem seine Mannschaften hinter den Erwartungen zurückbleibt. Auch nicht ohne Brady.

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