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Der Letzte macht das Licht aus?

Den leidgeprüften Fans der Cleveland Browns stehen wohl noch einige harte Jahre bevor
© getty

Die Cleveland Browns stehen vor einem Umbruch - wieder einmal. Ein leidgeprüftes Fan-Lager muss sich mit dem nächsten Regime anfreunden, auf den ersten Blick ist der Start der Free Agency wenig verheißungsvoll: Mehrere Säulen sind weg. Doch Cleveland geht neue Wege und scheint richtige Schlüsse zu ziehen. Die spannende Frage: Hält der gefährlichste Geduldsfaden Stand?

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Klare Worte sind auf Sport-PKs eine Seltenheit geworden, stattdessen sind Floskeln und Antworten wie aus dem Medien-Berater-Buch die Regel. Als Musterbeispiel darf gerne die Vorstellung von Brock Osweiler in Houston vor einigen Tagen herhalten, der sich dabei als voller Medienprofi entpuppte und alle Fragen genau so beantwortete, wie es Team-Bosse und Coaches hören wollen.

Für mehrere Ausnahmen dieser Regel sorgten in den vergangenen Wochen die frisch gebackenen Ex-Browns. "Ich werde nicht hier sitzen und gegen Cleveland nachtreten. Aber ich verstehe es einfach genau so wenig wie die Fans in Cleveland und auch sonst jeder", gab Safety Tashaun Gipson, eine jener Stammkräfte, die die Browns seit dem Start der Free Agency verlassen haben, zu: "Wie kann man zwei Pro-Bowler, einen aufstrebenden Right Tackle und einen der besten Returner sowie aufstrebenden Receiver in einer Free-Agency-Klasse verlieren?! Ich weiß es nicht."

Page 2: Die Offseason der Jaguars - Leo gesucht!

Cleveland ließ mit Receiver Travis Benjamin, Center Alex Mack, Right Tackle Mitchell Schwartz und eben Gipson vier Stammspieler am ersten Tag der Free Agency, mal mehr, mal weniger freiwillig, ziehen. Mack zog eine Vertragsklausel und wollte nur noch weg, nach seinem Wechsel zu den Falcons erklärte er erleichtert, dass er Spiele gewinnen will.

Benjamin, Clevelands mit Abstand bester Receiver im Vorjahr, ging nach San Diego und sagte offen: "Ich wollte wegen Philip Rivers unbedingt zu den Chargers. Während meiner Zeit in Cleveland hatte ich nie wirklich einen Quarterback." Es sei "überhaupt nicht schwierig" gewesen, die Browns zu verlassen. Jahre der Erfolglosigkeit und des regelmäßigen Umbruchs haben ihre Spuren hinterlassen. Spieler wollen nicht mehr für Cleveland spielen.

Wer den Schaden hat...

Für alle Außenstehende war diese Entwicklung dennoch schwer nachzuvollziehen. Erst bei der Combine hatte der neue Vizepräsident Sashi Brown betont, dass es dem Team wichtig sei, die eigenen Free Agents zu halten und so eine Message ans Team zu schicken. Doch ein Jahr nachdem unter anderem Jabaal Sheard, Buster Skrine und Brian Hoyer abgegeben wurden, müssen die Browns noch größere Lücken schließen. Im Team soll es bereits rumoren, weil Brown auch den Spielern gegenteiliges angekündigt hatte.

Das Echo, von den Medien wie von den Fans, war eindeutig: Ein 3-13-Team wurde noch schlechter, diese Browns bereiten gerade den Umbruch für den nächsten Umbruch vor. Das ging so weit, dass der neue Strategie-Boss Paul DePodesta schon jetzt eine fast tragisch-komische Geschichte erzählen kann.

Nach der Combine stand er im Flughafen zu Indianapolis in der Schlange, als er mit anhören musste, wie sich zwei andere Team-Verantwortliche über seine Browns unterhielten - ganz offensichtlich, ohne DePodesta zu erkennen: "Ich stand direkt vor ihnen und konnte sie hören. Sie haben ordentlich über mich und die Cleveland Browns hergezogen und ich dachte mir: Okay, das ist eigentlich genau wie vor 17 Jahren in Oakland. Ich habe ein wenig Erfahrung darin, unpopuläre Dinge zu machen."

Moneyball in der NFL?

DePodesta spielte damit nicht etwa auf die Raiders, sondern auf seine gewichtige Rolle in der Moneyball-Revolution bei den Oakland A's an, als der Baseball durch die exzessive Nutzung von Zahlen und Statistiken bei der Kader-Zusammenstellung komplett auf den Kopf gestellt wurde. Trotzdem gab es lautstarke Kritiker an der Verpflichtung von DePodesta: Ein funktionierendes Football-Team zusammen zu stellen ist deutlich komplexer und vielschichtiger als die gleiche Aufgabe im Baseball, mit verschiedenen Schemes und Taktiken gibt es entschieden mehr Variable.

Die Kritik wurde über die vergangenen Wochen eher lauter als leiser. Die Browns haben, das leidige Dauerthema in Cleveland, noch immer keinen Quarterback - RG III war zwar am Sonntag zu Besuch, eine verlässliche Lösung ist er im Moment aber keineswegs. Die letzte Saison mit positiver Bilanz war 2007. Die letzte Playoff-Teilnahme gab es 2002, seit 1999 hatten die Browns unfassbare 24 Starting-Quarterbacks. Der Absturz des inzwischen entlassenen Johnny Manziel vom großen Hoffnungsträger zum Problemfall bedeutete für diese Liste den bis dato traurigen Höhepunkt.

Houston geht All-In mit Osweiler: Ein notwendiges Risiko?

Mit Linebacker Karlos Dansby musste in der Vorwoche nach Mack derweil ein weiterer Leader seinen Spint räumen. Die Frage scheint: Wer ist der nächste? Left Tackle Joe Thomas hätte zweifellos den größten Trade-Wert, Cleveland könnte wohl einen Erstrunden-Pick abräumen - müsste seine O-Line dann aber endgültig generalüberholen. Damit würde man Gefahr laufen, einen Rookie-Quarterback hinter einer Patchwork-Line zu verheizen.

Gleichzeitig aber lässt die bisherige Free Agency der Browns eine Schlussfolgerung zu: Die neue Führungsriege hat erkannt, dass dieses Team nicht über ein oder zwei teure Free-Agency-Perioden repariert werden kann. Der Schlüssel liegt im Draft, langfristiges Denken ist gefordert. Die Oakland Raiders (Khalil Mack, Derek Carr, Amari Cooper) und die Jacksonville Jaguars (Blake Bortles, Allen Robinson, T.J. Yeldon) haben gezeigt, was einige gute Drafts bewirken können. Dann, und erst dann, macht es auch wieder Sinn, sich punktuell teuer in der Free Agency zu verstärken. Jetzt für viel Geld kurzfristig zwei Spiele mehr zu gewinnen hilft den Browns wenig.

Eine neue Konsequenz

Spinnt man diesen Gedanken weiter, kommt man schnell zu einer anderen Erkenntnis: Die Browns hatten - zurecht - nie geplant, in der kommenden Saison sonderlich erfolgreich zu sein. Nicht, weil sie es nicht wollen - die Verantwortlichen wussten, dass der Umbruch innerhalb eines Jahres nicht zu bewältigen ist. Das erklärt die Bereitschaft, einige der besten Spieler im Team ziehen zu lassen. Über die bald auch zum Trade zugelassenen Compensatory Picks werden die Browns mehr Flexibilität im Draft bekommen, der zusätzliche Cap-Space gibt Cleveland in den kommenden Free Agencys mehr Möglichkeiten.

Der Free-Agency-Hangover: Ausverkauf, Verzweiflung - Hoffnung!

Bleibt man in diesem Ansatz, waren die Entscheidungen nur konsequent. Vielleicht mit Ausnahme von Schwartz: Cleveland bot dem jungen, talentierten Right Tackle ein Jahresgehalt von rund sieben Millionen Dollar - und zog die Offerte, nachdem Schwartz den Markt für einige Tage getestet hatte und schließlich unterschreiben wollte, kurzerhand zurück. Damit war die Message klar: Die Browns werden in der Free Agency nicht mehr mit Geld um sich werfen.

Es ist davon auszugehen, dass diese Erkenntnis auch das kolportierte Interesse von Colin Kaepernick schnell abkühlen ließ. Keiner der hochpreisigen Free Agents dieser Saison hätte für Cleveland drei oder vier Siege mehr bedeutet. Die Vorgehensweise ist allemal besser, als einen Spieler wie Dwayne Bowe (5 Catches, neun Millionen Dollar garantiert in der vergangenen Saison) mit viel Geld locken zu müssen.

Reicht der Geduldsfaden?

Und trotzdem werden sich Browns-Fans die spannende Frage stellen: Reicht der Geduldsfaden von Team-Besitzer Jimmy Haslam? Nach drei Führungswechseln in den letzten vier Jahren hat Haslam einen gewissen Ruf unweigerlich weg, mit DePosta und Sashi Brown geht ausgerechnet er jetzt neue Wege.

Diese Entscheidung kommt allerdings nicht aus heiterem Himmel. Monatelang reiste Haslam durchs Land und traf sich mit diversen Führungspersönlichkeiten aus der Sport-Welt, um sich Rat einzuholen. DePodesta berichtete jüngst gegenüber Baseball America, dass Haslam zumindest langfristig denken will: "Ich habe ihm gesagt, dass ich jemanden brauche, der die Achterbahnfahrt mit mir macht und weiß, dass es nicht immer spaßig sein wird."

"Eine große Herausforderung"

"Nicht immer spaßig" wäre zum jetzigen Stand eine Einschätzung, auf die sich die meisten Browns-Fans vermutlich einlassen würden, ehe wieder einmal ein Umbruch bevorsteht. "Vor uns liegt eine große Herausforderung. Das ist eine extrem kompetitive Liga und wir waren zuletzt auf dem Feld nicht gerade erfolgreich. Das wird ein großer Berg, den wir da besteigen müssen", fuhr DePodesta fort, "aber ich glaube, wir haben die richtigen Leute dafür."

Genau das wird sich zeigen müssen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat das auf dem Papier schlechteste Team der Liga mit zahlreichen Lücken im Kader mehrere Starter verloren, ohne auch nur ansatzweise adäquaten Ersatz zu bekommen. Es könnte tatsächlich drei oder vier Jahre dauern, ehe die Browns auf eine positive Bilanz schielen dürfen.

Daher ist es auch Spielern wie Mack oder Gipson nicht zu verdenken, dass sie ihr Glück lieber anderswo suchen. "Noch vor zwei Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, in einem anderen Trikot aufzulaufen. Aber Gottes Wege sind manchmal komisch", fügte Gipson schließlich noch hinzu.

Aber, und das merkte man seiner ehrlichen Pressekonferenz an, sein Ex-Team ist Gipson mitnichten egal: "Ich liebe die Stadt und diese Organisation, sie gaben mir damals als einzige eine Chance. Das ist nicht einfach für mich. Ich will, dass sie sich gut schlagen." Gleichzeitig aber fokussiert sich der Safety auch auf seinen neuen Arbeitgeber: Die Jacksonville Jaguars. Ein Team, und wer hätte das vor einigen Jahren noch gedacht, dessen Weg Cleveland in gewisser Weise nur zu gerne nachahmen würde.

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