NFL

Erst Glanz, dann Krampf

Spiel im Schatten: Newton (l.) feuert den Ball heraus, bevor der Pass Rush herankommt
© getty

Die Carolina Panthers spielen in der Nacht auf Montag gegen die Arizona Cardinals um den Einzug in den Super Bowl. Doch obwohl das Team von Quarterback Cam Newton gegen Seattle zeitweise sein ganzes Können unter Beweis stellte, gibt es dennoch Grund zur Besorgnis.

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Als Cam Newton am Sonntagabend auf das Podium trat, um seinen Teil der Pressekonferenz hinter sich zu bringen, hatten seine Carolina Panthers gerade Franchise-Geschichte geschrieben. 21 Jahre existiert die Franchise im Südosten der USA nun schon, doch noch nie hatte das Team ein Championship Game vor eigenem Publikum bestreiten dürfen. Mit dem 31:24 über die Seattle Seahawks hatte man sich dieses Vorrecht nun erworben, der Gegner stand auch schon fest: die Arizona Cardinals (Mo., 0.40 Uhr).

Trotzdem regierte beim Favoriten auf den MVP-Award - der wertvollste Spieler der Saison 2015 wird erst am Abend vor dem Super Bowl gekürt - nicht nur Freude darüber, den Seahawks einen Strich durch die dritte Super-Bowl-Teilnahme in Folge gemacht zu haben. Schließlich hatte man nach imponierender erster Hälfte im zweiten Durchgang stark abgebaut und 24 Punkte in Serie zugelassen. Gerät der finale Onside Kick nicht in die Arme von Linebacker Thomas Davis, dann... wer weiß?

"Korrigierbar? Ganz sicher."

Als bester Spieler und Teamleader konnte "Superman" Newton diesen Einbruch nicht unkommentiert lassen - und sparte auch nicht mit Selbstkritik, hatte er doch selbst auch nicht gespielt wie der Übermensch vom Planeten Krypton, sondern wie sein zögerlich-verlegenes Alter Ego Clark Kent. "In der zweiten Halbzeit haben viele Spieler verkrampft, auch die Coaches waren nervös", wurde Newton deutlich. "Mann, zwischenzeitlich waren sogar die Fans und auch ich verkrampft."

Mitspieler kritisieren - in Ordnung. Aber auch die Coaches nach dem ersehnten Playoff-Erfolg so in die Pflicht zu nehmen, das war eine neue Qualität des Führungsspielers Cam Newton. So war Head Coach Ron Rivera auch bemüht, etwas Schärfe aus der Diskussion zu nehmen. "Wenn wir deswegen bei einer Bilanz von 2-14 stehen würden, dann wäre ich sehr besorgt, so der Übungsleiter. "Aber so ist es ja nicht. Mache ich mir Gedanken? Natürlich. Sind diese Dinge korrigierbar? Ganz sicher."

Riveras Fazit: "Wir sollten uns darauf fokussieren, was wir geschafft haben. Wir haben einiges zu unseren Gunsten gewendet. Und wir haben das Spiel gewonnen."

Turnaround mit Austauschware

Sich darauf zu konzentrieren, was die Panthers in dieser Saison bereits erreicht haben, fällt nicht schwer: Es ist ja eine ganze Menge. Nur eine vermeidbare Niederlage im Rückspiel gegen die Atlanta Falcons trennt das Team von einer makellosen Bilanz. Doch auch so sicherte man sich mit 15-1 den Top Seed der NFC und lehrte dabei Konkurrenten wie Seattle (27:23) oder Green Bay (37:29) das Fürchten.

Umso beeindruckender ist das Ganze, wenn man bedenkt, welchen Turnaround Carolina hinlegte. In der Saison 2014 stand die Franchise zwischenzeitlich bei einem Record von 3-8-1. Drei Siege aus zwölf Spielen. Doch dann legte Rivera die Schlüssel der Offense in die Hände von Newton und das Team marschierte: 21 Siege aus den letzten 23 Spielen! Mit Allzweckwaffe Newton (zusammengenommen 45 Touchdowns am Boden und durch die Luft) schneiderte er den besten Angriff der Liga (31,2 Punkte pro Spiel) - kein Wunder, dass die MVP-Trophy winkt.

Flankiert wird Newton nach dem Saisonaus von Receiver Kelvin Benjamin im Sommer von einer Menge Austauschware, sieht man einmal von Tight End Greg Olsen (1.104 YDS) ab. Receiver wie Devin Funchess, Jerrico Cotchery oder Ted Ginn Jr. bescheren normalerweise keinem Defensive Coordinator schlaflose Nächte, und auch Running Back Jonathan Stewart ist beileibe kein Star.

Newton + Defense = Erfolg

Doch mit Newton am Ruder, mit seinem starken Arm und den schnellen Beinen, passt plötzlich alles zusammen. Olsen ist die perfekte Waffe durch die Mitte, Stewarts Motor läuft und läuft und läuft - und selbst Fliegenfänger Ginn Jr. schnappt sich plötzlich die Deep Balls: Seine neun gefangenen langen Pässe brachten im Schnitt fast 41 Yards Raumgewinn! Da wundert es nicht, dass Newton diese Würfe gerne auspackt: Nur zwei QBs warfen im Schnitt noch längere Pässe.

Kombiniert man diese plötzlich explosive Offense mit einer starken und opportunistischen Defense, hat man alle Zutaten für ein Spitzenteam zusammen. Die Defensive Line wartet mit All-Pro-Tackle Kawann Short und gefährlichen Pass Rushern auf, die Linebacker sind mit Thomas Davis und "Luuuuuuke" Kuechly, den Newton ob seiner Fähigkeiten mittlerweile nur noch "Captain America" nennt, exzellent besetzt.

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Das allein wäre schon furchteinflößend genug, doch die Secondary hat auch noch Shutdown-Cornerback Josh Norman und Safety Kurt Coleman (7 Interceptions) zu bieten. Insgesamt 24 Picks führten die Liga an, dazu steuerten die Defensive Backs auch noch sieben eingesammelte Fumbles bei. Keine Secondary hatte gegnerische Receiver derart im Griff wie die Panthers (gegnerisches Pasaer Rating bei Pässen auf die Wideouts: 56,79).

Was dabei herauskommt, wenn alle Leistungsträger fit sind und ihr volles Potenzial abrufen, mussten die Seahawks in den ersten 30 Minuten am eigenen Leib erfahren. Die Panthers waren nicht nur schneller, sondern auch körperlich stärker, dominierten die Line of Scrimmage und waren drauf und dran, Russell Wilson die schlimmste Niederlage seiner Karriere beizubringen. Bzw.: Hätten die Referees nach der ersten Hälfte abgebrochen, es wäre schon Wilsons höchste Niederlage überhaupt gewesen.

"Wir haben einige Möglichkeiten verpasst"

Und trotzdem hatten wenig später alle die Hosen voll. Wie konnte es soweit kommen?

Ein paar Erklärungen liegen auf der Hand. Bei einer derart hohen Führung stellen NFL-Teams, sie mögen noch so standhaft das Gegenteil beteuern, fast immer ihren Gameplan um: Lange Pässe verhindern und dafür kurze zulassen. Mit dem Running Game möglichst viel Zeit von der Uhr nehmen, auch wenn das eigene Spiel so vorhersehbar wird. Weniger Risiko, der eigene Vorsprung wird verwaltet.

Trotzdem sind nur 75 Yards Offense viel zu wenig. "Wir haben einige Möglichkeiten verpasst", gab Rivera zu. "Wir hätten bessere Spielzüge ansagen oder ein paar Kleinigkeiten in der Offensive und bei den Special Teams besser machen können." Offensive Coordinator Mike Shula verteidigte seine Ansagen dagegen: "Es ist ein schmaler Grat zwischen dem kompletten Playbook einerseits und guten Spielzügen, die die Uhr am laufen halten andererseits." Und - da hat er nicht ganz Unrecht: "Die Seahawks sind richtig gut."

Rückfall in alte Muster

So weit, so gut: Ein eingeschränktes Playbook, etwas vorsichtiger agierende Spieler, das abflauende Adrenalin aus der ersten Hälfte, und dazu eine klare Leistungssteigerung der Gäste aus Seattle, zum Großteil mit viel mehr Playoff-Erfahrung ausgestattet als ihre Gegner. Wenn dann noch Wunder-Spielzüge wie Wilsons Pass auf Kearse dazukommen, muss man sich für den schmelzenden Vorsprung nicht schämen. Um es noch einmal mit Rivera zu sagen: "Schaut euch unseren Gegner an. Der Typ war zweimal in Folge im Super Bowl. Er ist ziemlich gut."

Auch da kein Widerspruch. Wenn da nur nicht dieses wiederkehrende Muster wäre: Schon zum vierten Mal in diesem Jahr ließ man einen Vorsprung von mindestens 17 Punkten gefährlich oder ganz zusammenschrumpfen. Neben den Seahawks retteten sich die Colts trotz 6:23 noch in die Overtime, von einer 23-Punkte-Führung gegen Aaron Rodgers waren am Ende nur noch ein Touchdown übrig - und ein 35:7 gegen die Giants verspielte man komplett.

Noch fehlt also, vor allem gegen Teams mit einem guten Quarterback, der Killerinstinkt. Jene kühle Professionalität, mit der etwa die New England Patriots ihre Blowouts zu Ende spielen, gerade in den Playoffs. Ein Vorsprung von zwei Touchdowns und der Deckel ist drauf. Das Problem der Panthers: Der bisherige Bruder Leichtfuß bleibt dem Gegner natürlich nicht verborgen. Das führt selbst bei frühem Rückstand zur Gewissheit: Noch ist hier alles möglich.

Newton: "Ich werde nicht nervös"

Die Coaches geben sich, wie gesehen, betont positiv: Das Kind sei ja noch nicht in den Brunnen gefallen, also alles gut. Und auch Newton stimmte auf der Pressekonferenz am Mittwoch wieder ganz andere Töne an: "Ich werde nicht nervös. Ich spiele schon zu lange Football, um nervös zu werden." Selbstbewusstsein wollte der Quarterback ausstrahlen.

Aber die "tight butts", die "angespannten Hintern" aus dem Seahawks-Spiel werden auch den Cardinals nicht verborgen geblieben sein. Die führen mit Carson Palmer und seiner Armada aus Receivern eine Abteilung Attacke ins Feld, die in 16 Saisonspielen nur minimal weniger Punkte aufgelegt hat als der Top Seed. Und sollte am Sonntagabend ein möglicher Vorsprung zum wiederholten Male zusammenschmelzen ... wird es vielleicht wieder zum einen oder anderen Krampf kommen.

Der Schedule: Die Conference Finals in der Übersicht

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