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NBA - Celtics-Scout Benas Matkevicius im Interview: "Es gibt keine Giannis Antetokounmpos mehr"

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Celtics-Scout Matkevicius: "Ainge kam einfach auf mich zu"

Welche Erinnerungen haben Sie an den jungen Schröder?

Matkevicius: Er war einer der Spieler, die dort zu den besseren gehört haben. Alex Abrines, der später ein paar Jahre für die Oklahoma City Thunder gespielt hat, war auch dort. Dennis war bereits ein Prospect und es war das NBA-Potenzial abzusehen, allerdings habe ich für ZSKA gescoutet, nur um mich zu informieren, was so los ist im Markt. Ich hatte damals noch keine Idee, was der Begriff 'NBA Prospect' wirklich bedeutet.

Wie kam es zur Begegnung mit Ainge?

Matkevicius: Ich saß auf der Tribüne und habe mir gerade Notizen gemacht, da ist er einfach auf mich zugekommen und hat sich mir vorgestellt. Er war damals auf der Suche nach Kontakten und die Verbindung ist nie abgebrochen. Ich konnte ihm während der Saison mit Spielern - Prospects, die in Russland spielten - helfen und er half ZSKA dabei, dass wir Spieler aus der NBA zu uns holen konnten. Ein Jahr später bekam ich dann ein Angebot. Für mich war das surreal, nicht greifbar, nicht logisch. Vor zwei Jahren war ich noch in Cuxhaven und nun die NBA? Ich hatte da noch nicht meine Sporen verdient und wollte unbedingt mit Messina weiterarbeiten.

Was hat Ihre Meinung schließlich geändert?

Matkevicius: 2014 war die Situation etwas anders. Dimitrios Itoudis war nun Coach und die Celtics boten mir einen Dreijahresvertrag mit einer konkreten Rolle, nämlich der Verantwortung über das Scouting in Europa. Es war aber eine schwere Entscheidung. Von Cuxhaven nach Moskau? Das ist nicht schwer. Von Moskau in die NBA? Da wägst du schon ab. Mit wem arbeitest du? Was sind deine genauen Aufgaben? Letztlich war es eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, auch weil sich für dich ein komplett neues Netzwerk öffnet. Nun haben die Celtics meinen Vertrag schon zweimal verlängert und ich bin schon in meinem achten Jahr in Boston.

Celtics-Scout Matkevicius: "Es gibt keine Antetokounmpos mehr"

Sie beackern Europa immer noch allein, das ist jede Menge ...

Matkevicius: Ich mache alles außer die NBA selbst. Ich scoute aber nicht nur international, sondern auch die NCAA. Es geht nicht nur um Europa. Das kann man selbstverständlich durchscouten, aber heute gibt es Twitter, die verschiedenen Homepages - die Talente sind bekannt. Es gibt keine Giannis Antetokounmpos mehr, so einen Typen, den keiner kennt und der plötzlich aus dem Nichts kommt. Du kennst die Prospects, du analysiert sie und sortierst sie nach Prioritäten. Dann kommt auch dein Netzwerk ins Spiel, welches dich informiert, wo du noch einmal genauer schauen musst. Daraus entsteht deine Liste.

Das heißt, Sie müssen grob gesagt jedes Talent mit NBA-Potenzial kennen.

Matkevicius: Ich muss Vergleiche ziehen können. Wenn ich zu einem Trainer in Deutschland gehe und der mir sagt, dass sein Spieler das größte Talent seines Jahrgangs ist, dann muss ich folgende Frage beantworten: Hat der Trainer auch die anderen Spieler gesehen oder nicht? Kennt er die College-Spieler? Die NCAA hat für die NBA weiterhin Priorität und den Markt muss ich eher besser kennen, um besser einordnen zu können, wo ein Spieler aus Europa im Vergleich dazu steht. Das ist meine Aufgabe, deswegen schaue ich genauso viel NCAA wie Spiele in Europa. Ich muss Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Leveln wie NCAA, EuroLeague oder Australien ziehen können, Kontext herstellen. Ich muss Brad Stevens, früher war es Danny Ainge, die richtigen Informationen an die Hand geben, damit er die richtige Entscheidung treffen kann.

Anschaulich gesprochen, im Vorjahr war Alperen Sengün der am höchsten gezogene Europäer, der nicht aufs College ging. Ihre Aufgabe ist es zu rechtfertigen, warum Sengün besser als College-Spieler XY ist?

Matkevicius: Ich muss meine Liste an internationalen Spielern, die ich bevorzuge, studieren. Das ist letztlich aber nur meine Meinung und muss nicht mit denen von unseren anderen Scouts übereinstimmen. Nehmen wir lieber mal Daniel Theis als Beispiel. Ich habe ihn damals empfohlen, weil er in Bamberg die gleiche Rolle gespielt hat, die er bei uns in Boston gehabt hätte und später auch hatte. Diese Meinung habe ich Danny und Austin Ainge weitergeleitet. Die müssen dann entscheiden.

Es gibt aber sicherlich auch noch andere Faktoren.

Matkevicius: Natürlich. Passt der Spieler in unser System? Kann ihn unser Coach gut integrieren? Dazu kommen noch andere Sachen wie bestehende Verträge oder an welcher Stelle wir in diesem Draft ziehen werden. Wie sieht es mit dem Salary Cap aus? Müssen wir womöglich nach unten traden, damit wir einen günstigeren Vertrag ausgeben werden? Es gibt so viele kleine Dinge, die bei einem Draft eine Rolle spielen. Man kann deswegen auch nie sagen, dass wir den bestimmten Spieler genommen hätten, wenn er noch an dieser Stelle da gewesen wäre. Es ist der Grund, warum es kaum Versprechen an Spieler gibt. Du kannst nie wissen, welche Spieler noch auf dem Board sind, wenn du an der Reihe bist. Kein Team will in die Zwickmühle kommen, ein Versprechen gegeben zu haben und dann ist da doch ein Spieler, der dir besser gefällt. Man hört ja häufig, dass gewisse Spieler Versprechen haben, aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass dies sehr selten ist.

Jaylen Brown wurde von den Boston Celtics 2016 mit dem 3. Pick gezogen.
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Jaylen Brown wurde von den Boston Celtics 2016 mit dem 3. Pick gezogen.

Celtics-Scout Matkevicius: "Jaylen Brown war rückblickend ein Glücksgriff"

Danny Ainge war bekannt für seine Liebe für Flügelspieler, gefühlt zog er in jedem Draft mindestens einen Forward. Gibt es da vom Management Vorgaben, dass Sie besonders auf diesen Typus Spieler achten sollten? Hat sich da unter Stevens nun was verändert?

Matkevicius: Prinzipiell sind lange Flügelspieler im Moment im Trend. Stevens hat diese langen Flügelspieler aber auch eingesetzt. Es war ja nicht so, dass Ainge sie einfach nur gedraftet hat. Positionsloser Basketball wird immer wichtiger, gleiches gilt auch für das Switching. Solche Spieler gibt es einfach sehr selten. Deswegen kann man auch gar nicht so pauschal sagen, dass ein Team immer nach bestimmten Attributen pickt. Klar, Länge wird bevorzugt, aber die ist auch nicht immer da. Es kommt immer auf die Situation an und was noch auf dem Board ist, wenn du dran bist. Dazu kommt die Entscheidung, ob es ein Upside-Pick werden soll oder doch lieber ein reifer Spieler gewählt wird, wo die Chance größer ist, dass er sofort einschlagen kann, aber da vielleicht nicht mehr Potenzial da ist. Jeder Draft ist auch anders. Du kannst nicht sagen, dass ein Spieler ein Top-10-Talent ist, weil jeder Draft unterschiedlich stark ist. Es geht immer um Prognosen und um Kleinigkeiten, wie sich ein Spieler über seine Karriere entwickeln könnte. Die NBA und die G-League sind für Entwicklungen auch die besten Orte. Es ist alles da. Du kannst jeden Tag in die Halle, du hast alle Grundlagen, um besser zu werden. Es wird in Individualtrainer investiert. Deswegen wählen NBA-Teams auch immer häufiger solche Prospects aus und investieren in diese Spieler dann zwei, drei Jahre. Danach wird abgerechnet und geschaut, wie er sich entwickelt hat.

Sie haben jetzt sieben Drafts begleitet. Welcher war für Sie der komplizierteste?

Matkevicius: Das kann ich gar nicht so genau beantworten. Jeder Draft war für mich anders. Es ist anspruchsvoll, wenn Europäer als Top-Spieler gehandelt werden, denn dann muss ich bewerten können, ob es sich nur um einen Hype handelt oder wirklich Realität ist. Wenn ein Luka Doncic schon EuroLeague-MVP ist, dann ist es etwas leichter. Anspruchsvoll war es 2016, als Dragan Bender als Top-Prospect gehandelt wurde. Er spielte damals für Maccabi Tel Aviv bei einem echten Top-Team, aber die Situation für ihn war dort schwierig, weil es im Team nicht rund lief. Wir hatten damals den dritten Pick und entschieden uns stattdessen für Jaylen Brown, was rückblickend ein Glücksgriff war. In solchen Fällen muss der Kontext bewertet werden und du dir verschiedene Fragen selbst beantworten. Schwer ist es auch, die Grauzone auszuarbeiten, also Prospects zu bewerten, die vielleicht nicht zur obersten Kategorie gehören, aber womöglich doch gut in unser Team passen. Das gibt es jedes Jahr, weswegen ich nicht sagen kann, bei welchem Draft ich verloren war.

Welche Rolle spielen Sie am Draft-Tag? Sind Sie vor Ort?

Matkevicius: Ich sitze jedes Jahr im Draft Room und meine Aufgabe ist es, während des Drafts Stevens meine bevorzugten Spieler nenne und meine Empfehlung rechtfertige. Das war zum Beispiel im letzten Draft so, als wir Juhann Begarin gezogen haben, der aber noch in Europa bleiben sollte. Wir hatten ein "Stash Prospect" gesucht und Brad Stevens kam auf mich zu und fragte mich über den Spieler aus. Wir glichen die Fakten ab, um auf der Pressekonferenz die richtigen Fakten parat zu haben. Im Anschluss telefonieren wir noch mit dem Spieler selbst. Das ist vornehmlich meine Rolle an so einem Tag.