NBA

Stunde der Wahrheit

Von Sebastian Hahn
Die Washington Wizards wollen in dieser Saison in den Playoffs weit kommen
© getty

Die Washington Wizards gehörten zu den positiven Überraschungen der letzten Saison und erreichten erstmals seit sechs Jahren wieder die Playoffs. Im Sommer wurde nochmal ordentlich nachgerüstet, um dieses Jahr noch einen draufzusetzen - und die ersten Conference Finals seit 35 Jahren zu erreichen. Doch wie gut sind John Wall und Co. wirklich?

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"Niemand hat damit gerechnet, dass wir hier landen werden. Ich denke, wir haben uns den Respekt vieler Teams verdient. Wir haben Indiana definitiv arbeiten lassen." - Für John Wall und die Washington Wizards war die Postseason 2014 beileibe keine schlechte.

Angeführt von dem Mann, der sich schon zu Saisonstart das Wort "Playoffs" auf die Schuhe geschrieben hatte, verblüfften die Wizards in der ersten Runde die Bulls und zogen dem legitimen Championship-Anwärter in fünf Spielen den Zahn.

Neben Wall bereiteten vor allem die Big Men Nene und Marcin Gortat ihren Kontrahenten um Joakim Noah und Carlos Boozer enorme Probleme.

Gegen die Pacers, das beste Team des Ostens, glaubte man nach dem Auftaktsieg in Indianapolis sogar an die Sensation - dann jedoch machte man in Washington in diesem Sommer zum ersten Mal mit der Wahrheit Bekanntschaft. Indiana war noch eine Nummer zu groß, besonders in engen Matches behielt die Mannschaft von Frank Vogel die Nerven.

The Truth unterschreibt

Fast auf den Tag genau zwei Monate später machte man in der Hauptstadt dann erneut Bekanntschaft mit "The Truth" - der Wahrheit. Paul Pierce entschied sich nach dem missglückten Intermezzo bei den Brooklyn Nets für die Wizards und unterschrieb für die kommenden zwei Jahren und zehn Millionen Dollar in Washington.

Der 36-Jährige ist die einzige große Verpflichtung für das Team von Randy Wittman, dass sich sonst nur punktuell verstärkte. Neben Pierce konnte man sich mit Center Marcin Gortat auf einen Fünfjahresvertrag über 60 Millionen Dollar einigen. Der Pole galt neben Nene als Schlüssel für den Erstrunden-Sieg gegen Chicago.

Hinzu kommen noch Power Forward Kris Humphries, der für einen Zweitrundenpick aus Boston kam und für drei Jahre unterschreibt sowie DeJuan Blair, der bei den Mavericks als Energizer von der Bank überzeugen konnte. Drew Gooden wurde für ein weiteres Jahr zum Vertragsminimum gehalten.

No Love for Ariza

Einzig Trevor Ariza konnte nicht zu einem weiteren Engagement in der Hauptstadt überredet werden. Der Small Forward wäre aber wohl auch zu teuer gewesen. Die 32 Millionen Dollar, die er in Houston in den kommenden vier Jahren bekommt, hätten der Franchise für die Zukunft die Flexibilität genommen.

"Wir sind enttäuscht von ihm, denn wir haben ihm unser bestmögliches Angebot angelegt. Wir wünschen ihm alles Gute", erklärte Ernie Grunfeld. Abgesehen von Ariza kann der GM der Wizards aber auf eine erfolgreiche Offseason zurückblicken. Neben den Verpflichtungen von Pierce, Humphries und Blair konnte man auch mit Coach Randy Wittman verlängern, der die Franchise das erste Mal seit 2008 in die Playoffs führte.

Rice und Porter explodieren

Im Zuge der Summer League bekam der 59-Jährige mit dem markanten Schnäuzer dann auch noch zwei unerwartete Geschenke. Die 2013er-Draftpicks Otto Porter und Glen Rice Jr. zeigten sich in Las Vegas von ihrer besten Seite und schafften es beide ins All-Summer-League-First-Team.

Rice stellte beim Triple-Overtime-Erfolg der Wizards gegen die Spurs mit 36 Punkten sogar einen Rekord für diesen Sommer auf und durfte sich im Anschluss den MVP-Award abholen.

Von beiden Sophomores wird in diesem Jahr daher eine deutliche Leistungssteigerung erwartet, vor allem, weil Martell Webster mit einer Rückenverletzung den Saisonstart verpassen wird und der 37-jährige Pierce sicher nicht jeden Abend 30 Minuten abreißen kann.

Auf der Drei steht sonst nur noch Chris Singleton zur Verfügung, der im vergangenen Jahr nur zehn Minuten im Schnitt auf das Parkett durfte.

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Starker Backcourt

Das Hauptaugenmerk der Verantwortlichen liegt aber nicht auf der Drei, sondern auf dem vor Talent und Jugend nur so strotzenden Backcourt. Mit John Wall verfügt man über den neben Kyrie Irving vielleicht talentiertesten Spielmacher, der noch keine fünf Spielzeiten in der NBA absolviert hat.

Mit Bradley Beal startet auf der Zwei ein Spieler, der die neue Shooting-Guard-Elite um James Harden und DeMar DeRozan in Zukunft mit anführen wird. Speziell Beal legte in den Playoffs nochmal einen Extragang ein und stand als einziger Wizard über 40 Minuten im Schnitt auf dem Feld.

Hinzu kommt noch Veteran Andre Miller, der die beiden Youngster weiterhin anleiten und Wall Verschnaufpausen geben wird.

Biest Gortat - Fragezeichen Nene

Im Frontcourt kann Coach Wittman abgesehen von der Drei auf eine ordentliche Rotation zurückgreifen. Gortat hat sich bei den Wizards nach einigen Anlaufschwierigkeiten zu einem absoluten Biest in der Zone entwickelt und war selbst von Roy Hibbert und Noah zeitweise nur schwer zu stoppen.

Neben ihm startet in der Regel Nene. Hinter dem Brasilianer steht aufgrund seiner Verletzungshistorie aber immer ein Fragezeichen. Zudem hatte er nach einer seiner starken Performance gegen die Bulls (17,8 Punkte und 6,5 Rebounds) im Duell mit Indiana einige Probleme (11,0 Punkte und 4,5 Rebound).

Mit Humphries, Blair, Gooden und Kevin Seraphin stehen dahinter vier echte Energizer bereit, die auch gerne mal die Drecksarbeit übernehmen und unter dem eigenen Korb aufräumen sollen.

Stunde der Wahrheit

Die Wizards präsentieren sich zur neuen Saison also auf keinen Fall in einem neuen Gewand, das Frontoffice hat das Roster aber in der Tiefe verstärkt. Einzig auf der Drei muss man abwarten, inwiefern Paul Pierce die Lücke, die Trevor Ariza hinterlassen hat, noch ausfüllen kann. Die Leistungen von Rice und Porter machen aber Mut, dass das Team diesen Verlust gemeinsam abfangen kann.

Dennoch wird die kommende Saison die Stunde der Wahrheit für die Wizards. Das Team hat sich seit 2011, als man nur 23 Spiele gewann, kontinuierlich gesteigert und gehört mittlerweile neben den Heat, Cavaliers, Raptors und den Bulls zum erweiterten Favoritenkreis im Osten. Die Playoffs waren nur das erste Etappenziel, jetzt will man tiefer in die Postseason vordringen.

Abgesehen von Nene, Gortat, Pierce und Miller ist kein Spieler, der fester Bestandteil der Rotation ist, älter als 30 Jahre. Die beiden Big Men dürften allerdings in Würde altern und werden auch in den kommenden 3-4 Jahren ihr hocheffizientes Spiel unter dem Korb praktizieren. Wall, Beal und Co. sind dagegen noch lange nicht auf dem Zenit ihres Könnens angelangt.

Homecoming 2016?

Spätestens in zwei Jahren soll die Mannschaft reif für den Titel sein. Wall wäre dann 25, Beal 23 Jahre alt. Neben dem Backcourt stehen dann nur noch Gortat, Porter und Humphries unter Vertrag. Immer wieder kommt das Gerücht auf, dass man in der Hauptstadt 2016 mit einer Verpflichtung von Kevin Durant liebäugelt.

Der amtierende MVP wurde in Washington geboren und verbringt auch einen Großteil der Offseason in seiner Heimat. Laut übereinstimmenden Medienberichten soll er ähnlich wie LeBron James mit einer Rückkehr nach Hause liebäugeln. "Man weiß nie was passiert. Du solltest dir immer alle Möglichkeiten offen lassen", erklärte Durant gegenüber der "Washington Post".

Bis dahin setzt man bei den Wizards aber weiterhin darauf, dass sich die jungen Talente weiterentwickeln. Beal und Wall haben sicherlich legitime Chancen auf das All-Star-Team, Porter und Rice dürften erstmals eine größere Rolle in der Rotation spielen. Die Veteranen Gortat, Nene, Miller und vor allem Pierce sind die Stabilisatoren des Teams in engen Situationen und können jederzeit Verantwortung übernehmen.

Für Washington wird es darum gehen, sich in der Spitze der Eastern Conference zu etablieren und sich in den Playoffs vielleicht sogar das Heimrecht zu erkämpfen. Der Druck wird größer - die Klasse aber auch.

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