Olympia kompakt: Das wird Xi Jinping aber gar nicht gefallen

Von Stefan Petri
Dimitrij Ovtcharov spielt mit der Mannschaft am Freitag um Gold gegen China.
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"Nur" zweimal Bronze am 13. Wettkampftag der Olympischen Spiele für Team Deutschland. Dennoch hat der Tag in Tokio jede Menge Highlights zu bieten. Im Tischtennis geht nicht nur Dima Ovtcharov, sondern auch der Kommentator steil, auf der Tartanbahn purzeln die Weltrekorde und ein deutscher Zehnkämpfer. Außerdem: Spinnen auf Badeanzügen, eine legendäre Sauftour - und Abschied von Südafrikas Wasserballern. Olympia kompakt.

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"Ja, Statistiken. Aber welche Statistik stimmt schon? Nach der Statistik ist jeder vierte Mensch ein Chinese, aber hier spielt gar kein Chinese mit."

Dieses geflügelte Wort von Kommentatoren-Legende Werner Hansch hätte es im Tischtennis nicht gegeben - schließlich spielt da so ziemlich überall ein Chinese mit, und wenn nicht "au naturel", dann zumindest eingebürgert. Und je weiter man sich in der Weltspitze oder im Turnierbaum nach vorn bewegt, desto mehr Chinesen werden es.

Um dieser Übermacht an der Platte zu trotzen, braucht es schon ein ganz besonderes Kaliber. Womit wir bei Dimitrij Ovtcharov wären. Der wird am Freitag im Teamfinale der Männer seine sechste Olympia-Medaille gewinnen. Einzel-Bronze 2012 und 2021, Team-Silber 2008, Team-Bronze 2012 und 2016. Und jetzt 2021 zumindest Silber.

Sechs Medaillen bei Olympia, das hat noch niemand geschafft. Kein Ma Long, kein Ma Lin, kein Wang Hao, kein Zhang Jike, kein Xu Xin, kein Fan Zhendong. Und natürlich auch kein Nicht-Chinese wie Jan-Ove Waldner oder gar Timo Boll. Eine Tischtennis-Olympia-Statistik, in der Dima Ovtcharov das komplette Reich der Mitte in die Tasche steckt? Puh, Xi Jinping wird morgen wahrscheinlich per Dekret fünf Millionen weitere Drei- bis Sechsjährige an die Paddel beordern, um diese Schmach möglichst schnell auszumerzen.

Okay, Statistiken sagen nicht immer die ganze Wahrheit, haben wir ja von Werner Hansch gelernt. Dima ist nicht der beste oder erfolgreichste Spieler der Welt. Aber er hat irrwitzige Erfolge aufzuweisen, die einfach auch mal gewürdigt werden müssen. Tischtennis, das ist in Deutschland zu oft nur Timo Boll. Und ohne dessen sensationelle Erfolge kleinreden zu wollen: Dima Ovtcharov gehört längst gleichwertig neben ihn in den deutschen Sport-Olymp.

PS: "Gegen China im Finale von Olympischen Spielen - das ist die größte Herausforderung im Tischtennis, vielleicht im ganzen Sport", sagte unser Tischtennis-Held nach dem entscheidenden Sieg über Koki Niwa - den ich seit diesem Chop Block übrigens immer lieben werde. "Aber es haben auch viele versucht, Nadal bei den French Open zu schlagen. Jetzt hat Djokovic es geschafft. Vielleicht wird das Glück auf unsere Seite wechseln." Dima, zwinker am Freitag zweimal, wenn du Rund um Olympia gelesen hast (siehe Eintrag von 16.02 Uhr)!

PPS: Statistisch gesehen ist derzeit nur noch jeder 5,66. Mensch ein Chinese. Dann ist es ja kein Wunder, dass sie gegen Ovtcharov nicht anstinken können.

Olympia: Das Wichtigste vom Tag

Frank Grundhever kommentiert für die ARD bei den Olympischen Spielen in Tokio u.a. Tischtennis.
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Frank Grundhever kommentiert für die ARD bei den Olympischen Spielen in Tokio u.a. Tischtennis.

Was sonst noch wichtig war:

Tischtennis: Wir haben die Tage in Tokio Reitsport-Kommentatoren-Übervater Carsten Sostmeier abgefeiert. Natürlich völlig zur Recht. Dann müssen aber auch ein paar lobende Worte für die Tischtennis-Stimme im Ersten drin sein: Frank Grundhever. Okay, er reicht in puncto Poesie nicht ganz an die schwindelerregen Höhen eines Sostmeier heran, hat dafür aber eine Stimme für ASMR-Fetischisten und fiebert mit wie sonst wahrscheinlich nur Timo Bolls Eltern.

Grundhever muss sich bis Freitag erst einmal eine anständige Flimmerkiste besorgen. "Wenn die ins Finale einziehen - ich habe hier zuhause nur so einen kleinen Fernsehern - dann gehe ich zu Elektro Meyer und kaufe einen großen, das will ich dann im Vollformat sehen", eskalierte er beim Einzel von Patrick Franziska, das dieser schließlich denkbar knapp verlor. Und bot Moderator Alex Bommes an, diesem bei Gold eine Tischtennishose zu kaufen, in der dieser dann moderieren müsse. Da flimmert uns jetzt schon die Netzhaut vor Vorfreude!

PS: Sosti, alter Kumpel, kannst du nicht mal bei unseren Springreitern nachhelfen? In der Dressur kommentierst du uns andauernd zu Gold - und über Oxer und Kombination haben wir im Einzel seit 2004 keine Medaille mehr geholt. Alternativ holen wir das Bat-Signal für Jessica von Bredow-Werndl raus. Dalera kann doch sowieso alles.

PPS: Frank Busemann ist als Experte in der ARD ein echter Alleskönner - ganz der frühere Zehnkämpfer eben. Der Silbermedaillengewinner von Atlanta glänzt nicht nur durch Fachwissen und Empathie, sondern weiß sich auch verbal zu verteidigen. "Ein 16-Stunden-Tag geht zu Ende. Bis du eigentlich in einer Gewerkschaft?" fragte Nebenmann Claus Lufen. Busemanns Konter: "Nee. Ganz normaler Zehnkämpfer-Tag. Stell dich nicht so an!"

Leichtathletik: Erst pulverisierte Karsten Warholm am Dienstag den Weltrekord über die 400 Meter Hürden, dann tat es ihm Sydney McLaughlin am Mittwoch gleich. Ebenfalls Weltrekord über diese Disziplin, diesmal wurde fast eine halbe Sekunde von der bisherigen Bestmarke abgeknabbert. Was ist davon zu halten? Wurde in der Leichtathletik mal wieder gespritzt, was das Zeug hält?

Auszuschließen ist das nie. Vor allem aber wurde wohl geschnitzt. Am Material. So gilt nicht nur die Bahn im Nationalstadion als verflixt schnell, auch die Schuhe der Athletinnen und Athleten besteht mittlerweile aus Material, das bisher außen an Space Shuttles klebte. Kohlenstoff-Fasern, Titanium-Spikes, Luftkissen für mehr Sprungkraft. Technologisches Doping also? Dass die Weltrekorde bislang bei den 400 Meter Hürden und dem Dreisprung purzelten, könnte darauf hinweisen, dass sich vor allem im Absprung etwas getan hat. Andererseits waren die Sprint-Zeiten von Elaine-Thompson-Herah auch so schnell wie seit über 30 Jahren nicht mehr.

Der Sport entwickelt sich immer weiter, das ist klar. Insofern gilt erst einmal die Unschuldsvermutung. Die verrückten Treter erinnern aber ein bisschen an die Wunderanzüge der Schwimmer vor gut einem Jahrzehnt. Dass diese schließlich abgeschafft wurden, war mit Sicherheit kein Fehler. Insofern ist jetzt das IOC gefordert.

Tränen des Tages: Niklas Kaul

Wie gemein kann das Leben manchmal sein? Mit einem phänomenalen Satz über 2,11 Meter im Hochsprung hatte der Zehnkampf-Weltmeister eine persönliche Bestleistung erzielt und Ansprüche auf eine Medaille in Tokio angemeldet. Ausgerechnet in diesem letzten Versuch verletzte er sich aber - Stauchung im Sprunggelenk. Eine Stunde Zeit hatte Kaul danach bis zum 400-m-Lauf, doch ihn in dieser Zeit zusammenzuflicken, war unmöglich. "Ich habe ihm gesagt, dass er sich nicht weiter schwer verletzen wird. Aber dass es sein kann, dass er vor Schmerzen nicht ins Ziel kommt", verriet Teamarzt Andrew Lichtenthal.

So kam es dann auch. Verbissen quälte sich Kaul über die ersten 250 Meter, doch der heftig bandagierte Fuß muss ihm Höllenqualen bereitet haben. In der letzten Kurve trudelte er schließlich aus und lag eine gute Minute hemmungslos schluchzend auf der Tartanbahn, bevor ihn ein Schwarm von Volunteers auf einen Rollstuhl bugsierte. Aus der Traum von einer Medaille. Niklas, du wirst stärker zurückkommen!

Sauftour des Tages: Australiens Rugby-Spieler und Fußballer

Wenn man im Flieger so über die Stränge schlägt, dass sich eine japanische Airline anschließend schriftlich beschwert, dann ... war es wohl keine schlechte Feier. Rugby- und Fußballspieler aus dem australischen Aufgebot haben sich auf dem Rückflug aus Tokio jedenfalls so übel abgeschossen, dass einer (mehrere?) die Bordtoilette so vollkotzte, dass die anschließend nicht mehr zu benutzen war. "Japan Airlines wies uns darauf hin, dass Teammitglieder exzessiv getrunken und auf Hinweise der Crew nicht reagiert haben. Zudem störten sie andere Passagiere", sagte ein peinlich berührter Chef de Mission Ian Chesterman: "Ein paar Leute beschädigen das Ansehen einer ganzen Mannschaft, die uns hier mit Stolz vertritt." Doppelt peinlich: Weder Fußballer noch Rugby-Spieler hatten Medaillen als Grund für die Promille-Orgie vorzuweisen.

Niklas Kaul musste nach seiner Verletzung aufgeben.
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Niklas Kaul musste nach seiner Verletzung aufgeben.

Flop des Tages: Deutsche Ballsportarten

Fußball, Handball, Basketball, Hockey, Volleyball, Wasserball, Rugby: Die Bilanz von Tokio fällt ernüchternd aus. Außer Spesen nichts gewesen. Als letztes Duo mussten am Mittwoch Julius Thole und Clemens Wickler die Koffer packen, verdiente Niederlage im Beachvolleyball-Viertelfinale. "Wir sind nicht ganz an unser Leistungsmaximum gekommen", bilanzierten sie, und Sportdirektor Niclas Hildebrand kündigte nach einem Turnier ohne Edelmetall an: "Wir wollten eine Medaille erreichen, das haben wir nicht geschafft. Das muss man konstatieren. Da werden wir ordentlich dran zu knabbern haben." Ein Lichtblick im Tennis, die Hockey-Herren können noch Bronze holen. Ansonsten war es viel zu schnell zappenduster.

Spinnerei des Tages: Svetlana Romashina

Wenn man seit 1996 keinen olympischen Wettbewerb mehr in einer Sportart verloren hat, muss man sich ab und zu etwas Neues einfallen lassen. Dachte sich wohl Madame Romashina, 31, und trat im Duett mit Partnerin Svetlana Kolesnichenko in einem nude-farbenen Badeanzug an, der mit riesigen krabbelnden Spinnen verziert war. Die fiesen Viecher ahmten sie dann auch noch am Beckenrand nach. Das muss die Jury offensichtlich überzeugt haben: Romashina gewann im Synchronschwimmen - das offiziell eigentlich mittlerweile Kunstschwimmen heißt - ihr sechstes olympisches Gold. Und: Sie hat bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften bisher jeden Wettbewerb gewonnen, in dem sie gestartet ist.

Svetlana Kolesnichenko und Svetlana Romashina bei ihrer Gold-Performance im Synchronschwimmen.
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Svetlana Kolesnichenko und Svetlana Romashina bei ihrer Gold-Performance im Synchronschwimmen.

Sprüche des Tages

"Ich habe im olympischen Dorf zwar noch keinen Bierstand gefunden, aber wir werden etwas auftreiben für zwei, drei Bierchen." (Ringer Frank Stäbler nach seiner Bronze-Medaille)

"Ich bin so stolz, dieses Gefühl wird mich den Rest meines Lebens erfüllen." (Stäbler über Bronze in seinem letzten Wettkampf)

"Natürlich ist es nicht das Strahlen aus dem Herzen, wie ich es mir gewünscht habe mit einer Medaille." (Gesa Felicitas Krause nach Platz fünf über die 3000 Meter Hindernis)

"Ich hoffe, dass ich von meiner Tochter auch noch einen Enkel bekomme. Von meinem Sohn habe ich ja bereits zwei Jungs." (Hans-Georg Focken, Vater von Aline Rotter-Focken, über seine Erwartungen nach dem Olampiasieg)

"Er ist über 18, er kann das selbst entscheiden." (Lilly Stoephasius (14) über ihren Teamkollegen Tyler Edtmayer (20), der trotz eines gebrochenen Arms an den Start gehen will)

"Mein erstes Trikot war vom FC Bayern, von Oliver Kahn damals. Ich bin als Hamburger auch HSV-Fan. Der FC Bayern ist für mich aber der größte Verein auf der Welt und auch der, den ich am meisten verfolge." (Olympiasieger Alexander Zverev als Gast bei der Teampräsentation des FC Bayern am Mittwoch)

Zahlen des Tages

0: Punktzahl für diesen missglückten Sprung vom 17 Jahre alten Cedric Fofana aus Kanada vom 3-m-Brett.

14: Alter von Skateboarderin Lilly Stoephasius, die im Park-Wettbewerb Neunte wurde. Hat sie ihren Zenit überschritten? Silbermedaillengewinnerin Kokona Hiraki ist 12, Bronze holte die 13-Jährige Sky Brown.

48:12: Chinas Satzbilanz im Tischtennis-Teamwettbewerb der Frauen seit dessen Einführung 2008. Alle 16 Duelle mit anderen Teams wurden 3-0 gewonnen.

27:213: Torverhältnis von Südafrikas Wasserball-Teams. 0-9 in den Vorrunden, Viertelfinale beide Male verpasst. Wir sehen uns in Paris!

242: Vergebene Goldmedaillen in Tokio. Deutschland belegt Rang sieben im Medaillenspiegel (8-8-16).