Sven Hannawald im Interview: Burnout? "Du musst selbst gegen die Wand rennen, damit du den Knall hörst"

Von Alexander Hagl
Sven Hannawald beendete 2005 seine Karriere.
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Geht der Reiz der Tournee durch die Maßnahmen und die fehlenden Zuschauer etwas verloren?

Hannawald: Vor Ort würde man natürlich merken, was man an der Tournee hat. Nichtsdestotrotz kommen schon davor die Anspannung und das Kribbeln. Die Tournee ist einfach die Tournee und die wird auch in den Köpfen immer bleiben. Natürlich wird sie anders, wenn das ganze Drumherum, das natürlich auch wichtig ist, fehlen wird. Mir ist aber viel wichtiger, dass sie überhaupt stattfindet.

Sie werden nicht nur als Experte, sondern auch als Co-Kommentator zu hören sein. Wie bringt man Laien, die vielleicht nur zur Tournee einschalten, bei der Kommentierung den komplizierten Ablauf beim Skispringen näher?

Hannawald: Richtig, es wäre einfacher, wenn ich im Bild wäre und meine Hände als Unterstützung nehmen könnte. So versuche ich es einfach zu halten und die sportartspezifischen und wissenschaftlichen Begriffe zu vermeiden. Ich versuche es in ein normales Deutsch zu verpacken und mit Vergleichen zu arbeiten. Beispielsweise beim Luftdruck, den wir unter dem Ski fühlen: Das ist wie wenn man mit dem Auto fährt und die Hand aus dem Fenster hält. Aber ich will das auch nicht bei jedem Springer machen, sondern nur bei auffälligen Beispielen. Es gibt beim Skispringen minimale Nuancen, die man nicht immer in der Zeitlupe erklären kann.

Keine Fehler sind aktuell bei Halvor Egner Granerud zu sehen. Der absolute Top-Favorit auf den Sieg, oder?

Hannawald: Ja, auf alle Fälle, der hat jetzt richtig Fahrt aufgenommen. Er macht keine Fehler. Er versucht, das Springen nicht komplex zu machen, sondern einfach zu halten. Das ist aktuell sein Vorteil. Sein Nachteil ist, dass von Engelberg bis Oberstdorf nichts passiert ist. Jetzt ist bei Granerud das Gedankenkino an. Das belastet und macht den Rucksack nochmal schwerer. Für den Ultra-Favoriten waren die Tage jetzt lang, bis er endlich wieder Skispringen kann. Das macht vielleicht ein wenig müde.

In den vergangenen Jahren hat sich das oft gezeigt. Der Sieger in Engelberg hat fast nie die Tournee gewonnen.

Hannawald: Stimmt. Die Favoriten nach Engelberg haben sich selten bei der Tournee durchgesetzt. Seine lockere Art dürfte Granerud aber zugutekommen.

Karl Geiger und Markus Eisenbichler sind die deutschen Hoffnungen für die Vierschanzentournee.
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Karl Geiger und Markus Eisenbichler sind die deutschen Hoffnungen für die Vierschanzentournee.

Sven Hannawald: "Eisenbichler hat gezeigt, dass er Granerud packen kann"

Ebenfalls gebannt wartet Karl Geiger auf den Auftakt. Glauben Sie, dass er trotz der Pause aufgrund seiner Corona-Infektion sein Leistungsniveau abrufen kann?

Hannawald: Ich glaube schon, das hat die Saison gezeigt. Im Vorfeld der Skiflug-WM wurde er in Nischni Tagil aus dem Weltcup genommen. Wichtig war jetzt, dass er symptomfrei ist und das Krafttraining durchläuft. Das ist das Entscheidende. Sein System funktioniert, aber er muss körperlich fit sein.

Wie sieht so ein Krafttraining zuhause aus?

Hannawald: Es werden für die Muskulatur intensivere Reize gesetzt. Dem Körper werden explosive Bewegungen beigebracht. Man imitiert einen Sprung beispielsweise mit einer Hantel. Dieses Training kann jeder zuhause selber machen. Vor allem in diesem Jahr haben sich viele selbst Hanteln angeschafft. Die Jungs werden zudem durch Messungen permanent überwacht und trainieren im Kraftbereich fast das ganze Jahr durch. Dementsprechend weiß man, dass man dem Körper auch nicht schadet.

Neben Geiger hat der DSV in diesem Jahr mit Markus Eisenbichler ein zweites heißes Eisen im Feuer.

Hannawald: Ich hoffe, dass Markus sich durchbeißt. Im letzten Sprung in Engelberg hat er gezeigt, dass er Granerud packen kann. Er darf sich keinen Fehler erlauben, sonst ist Granerud außer Reichweite.

Würde es ihm helfen, wenn mit Geiger ein Teamkollege dabei wäre, der ihn pusht - ähnlich wie bei ihnen damals mit Martin Schmitt?

Hannawald: Ja. Dabei kommt noch hinzu, dass nicht alle Erwartungen auf Eisenbichler lasten würden. Das ist aus meiner Sicht der Unterschied zur Ära unter Bundestrainer Werner Schuster (von 2008 bis 2019, Anm. d. Red.), als es meistens nur einen wirklichen Siegspringer gab. Wenn dieser Pech hatte, war das Thema durch. Geiger und Eisenbichler haben nun die Gewissheit, nicht alleine den deutschen Rucksack tragen zu müssen.

Sven Hannawald: "Wellinger und Freund hinken ihrer Fitness hinterher"

In den vergangenen Jahren mussten diesen Rucksack zumeist Severin Freund und Andreas Wellinger tragen. Bei beiden läuft es nach schwerwiegenden Verletzungen noch nicht ganz rund.

Hannawald: An beiden sieht man, was man sich als Springer erarbeiten muss, wenn jemand verletzungsbedingt länger raus ist. Sie hinken ihrer Fitness ein wenig hinterher, aber das ist ein völlig normaler Weg. Von außen hat man natürlich andere Erwartungen. Ich freue mich eher, dass beide wieder dabei sind. Bestenfalls springen sie um Platz 20, das ist realistisch. Erst in der nächsten Saison schaue ich wieder genauer auf die Ergebnisse, nachdem sie hoffentlich einen zweiten Sommer durchtrainieren können. Beide müssen auch bedingt durch das sich verändernde Material ihren Sprung erst wieder überschreiben. Aber diese Dinge dauern.

Sie sprechen das Material an. Seit dieser Saison werden die Keile in den Skischuhen wieder kontrolliert. Sie dürfen als nicht mehr individuell angepasst werden. Eine richtige Entscheidung?

Hannawald: Ja, wenn man das Material unkontrolliert lässt, hat man gesehen, dass Springer vorne waren, die weniger Talent durch das Material überspielen konnten. Das war so, als wenn man jemanden in ein Formel-1-Auto von Mercedes setzt, der ist dann auch vorne dabei. Da waren insbesondere durch die Keile Sprungtechniken konkurrenzfähig, von denen man dachte, damit kommt man nie auf einen grünen Zweig. Ryoyu Kobayashi und Peter Prevc wären zwei Beispiele dafür.

Beide hinken in dieser Saison hinterher. Wen haben sie für den Tournee-Sieg stattdessen auf dem Zettel?

Hannawald: Kamil Stoch ist sicher ein Kandidat. Er hat zwar einige Schwankungen in dieser Saison, aber er hat die Erfahrung. Er muss nichts beweisen, da er die Tournee schon gewonnen hat, und geht dementsprechend ruhiger ran. Von den Österreichern sehe ich Daniel Huber als aussichtsreichsten Springer.

Nicht Stefan Kraft, der in den vergangenen Jahren der beste Österreicher war?

Hannawald: Ihm fehlt aufgrund seines Rückenleidens das Krafttraining. Beim Skispringen brauchst du Dampf aus den Röhren! Wenn du nichts trainieren kannst, dann lässt die Kraft im Muskel nach. Aber er soll mich gerne eines Besseren belehren.

Vierschanzentournee: Die Termine im Überblick

DatumZeitOrtWettbewerb
28.12.202016.30 UhrOberstdorfQualifikation
29.12.202015 Uhr Wettkampf
31.12.202014 UhrGarmisch-PartenkirchenQualifikation
1.1.202114 Uhr Wettkampf
2.1.202113.30 UhrInnsbruckQualifikation
3.1.202113.30 Uhr Wettkampf
5.1.202116.30 UhrBischofshofenQualifikation
6.1.202116.45 Uhr Wettkampf
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