Tennis - Kommentar zum Fall Novak Djokovic: Eine ganze Familie in der Parallelwelt

Von Felix Kneidl
Novak Djokovic: Der Beste, aber niemals der Größte?
© imago images

Egal, ob Novak Djokovic bei den Australian Open teilnehmen darf oder nicht: Der Weltranglistenerste hat in den vergangenen Tagen mit seinem ungeschminkt zur Schau gestellten Egoismus vieles von dem verspielt, was er sich mühsam erarbeitet hat. Ein Kommentar.

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Es war der 12. September 2021 in New York, als Novak Djokovic endlich das erreicht hatte, wonach er jahrelang gestrebt hatte, ja sogar verzweifelt auf der Suche gewesen war: Die Liebe und Anerkennung der Tennis-Fans weltweit.

Kurioserweise gelang ihm dies nicht, indem er den historischen "Grand Slam" holte, sondern ausgerechnet durch eine Niederlage, die ihn menschlich werden ließ. Unter Tränen bedankte sich der Serbe nach der Drei-Satz-Niederlage gegen Daniil Medvedev für die Liebe der New Yorker Fans. Es schien, als werde er endlich von allen Teilen der Tennis-Szene respektiert und anerkannt. So wie seine ewigen Rivalen Roger Federer und Rafael Nadal, deren Bestmarken der 34-Jährige in den vergangenen Jahren eingestellt und teilweise sogar pulverisiert hat.

Gut vier Monate später zeichnet sich ein anderes Bild der Nummer eins der Welt. Ein absolut verheerendes.

Die Saga um Djokovics Teilnahme an den Australian Open erreichte mit der völlig irren Pressekonferenz seiner Familie am Montag ihren vorläufigen Höhepunkt. Und das will schon was heißen, wenn dadurch der absurde Auftritt von Papa Srdjan Djokovic von der Spitzenposition verdrängt wurde. Dieser hatte Tage zuvor mit einem Megafon auf den Straßen Belgrads verkündet, dass sein Sohn "für die Erlösung der gesamten freien Welt" kämpfe. Nachdem er dessen Festsetzung am Flughafen in Melbourne bereits mit der Kreuzigung Jesu verglichen hatte.

Wenn man nicht gerade ein bedingungsloser Jünger des Djokers ist, dann kam man bei dieser irren PK mit dem Kopfschütteln gar nicht mehr hinterher. Auch, wenn der Hauptdarsteller selbst nicht vor Ort war, so sollte allen klar sein, dass hier nichts ohne sein Wissen geschah.

Der traurige Höhepunkt des absurden Schauspiels (ich weigere mich an dieser Stelle weiterhin von einer "Pressekonferenz" zu schreiben) war dann, als die Familie auf den positiven Corona-Test des Weltranglistenersten und dessen Medien-Aktivitäten Tags darauf angesprochen wurde.

Djokovic: Familie lebt in eigener Realität

Bruder Djordje bestätigte, dass der von Djokovic eingereichte Corona-Befund vom 16.12. der Wahrheit entspräche.

Auf die völlig nachvollziehbare Nachfrage, dass der 20-fache Grand-Slam-Sieger dann bei vollem Bewusstsein am Folgetag ohne Maske an einer Ehrung teilgenommen, dabei fröhlich Hände geschüttelt und für Fotos mit Kindern posiert hat, folgten verächtliche Blicke der Eltern. Sohnemann Djordje tat dann, was ein braver Jünger tun muss und brach auf Geheiß der Mutter die krude Veranstaltung unvermittelt ab. Aber nicht bevor die Familie mit einem Schulterschluss und dem gemeinsamen Singen eines serbischen Songs noch die finale Kirsche auf die Torte des Wahnsinns platzierte.

Spätestens hier schwankte das Kopfschütteln in blankes Entsetzen um, ob der eigenen Realität, in der die Familie Djokovic lebt.

Egal, ob der Serbe nun beim so genannten "Happy Slam" in Melbourne teilnehmen darf oder nicht: für viele ist er jetzt schon der große Verlierer des Turniers. Die Ablehnung, die ihm in der Rod Laver Arena entgegen stoßen wird, lässt sich derzeit nur erahnen. Verfolgt man aber die Stimmung der Einheimischen, dann dürfte dem neunfachen Champion in der Hitze Down Unders wohl tatsächlich ein eisiger Wind entgegen wehen.

Zu groß sind die Wunden der Bevölkerung Melbournes, die zusammengenommen den längsten Lockdown der Welt hinter sich hat. Impfgegner verloren ihre Jobs, Familien wurden getrennt - aber ein ungeimpfter Tennis-Millionär soll eine Sonderbehandlung bekommen?

Djokovic: Der Erfolgreichste, aber niemals der Größte

Natürlich ist eine Impfung jedem Menschen selbst überlassen. Wenn man aber weiterhin alle Privilegien genießen möchte, ohne dafür Konsequenzen zu tragen, dann ist das nichts anderes als Egoismus pur. Und den stellt Novak Djokovic in diesen Tagen ungeschminkt zur Schau.

Novak Djokovic hat nie einen Hehl daraus gemacht, sämtliche Rekorde der Tennis-Historie brechen zu wollen und vor allem den großen Wunsch zu hegen, geliebt zu werden. Durch sein gelinde gesagt streitbares Auftreten neben dem Platz kann er sich von diesem Ziel wohl endgültig verabschieden.

Ja, der Serbe unterstützt viele wohltätige Einrichtungen, macht sich für die Belange der weniger gut platzierten Spieler stark und zögert auch keine Sekunde, den Opfern der australischen Buschbrände zu Hilfe zu eilen. Das alles ehrt ihn.

Zur anderen Seite des Djokers gehört aber auch ein grundsätzlich unverantwortlicher Umgang mit der Corona-Pandemie (Stichwort: Adria Tour, Stichwort: Impfgegner) und dass er dem umstrittenen Esoteriker Chervin Jafarieh eine Plattform gibt und mit voller Überzeugung behauptet, dass es möglich sei, schmutziges Wasser mittels der Kraft der Gedanken in sauberes zu verwandeln. Ja, das hat Novak Djokovic wirklich gesagt.

Das Setting des entlarvenden Schauspiels, das sich an diesem denkwürdigen Montag in Belgrad abgespielt hat, war übrigens ebenfalls hollywoodreif. Flankiert von den Australian-Open-Trophäen, die der Djoker bislang gewonnen hat und vor einer riesigen Leinwand, auf der dessen größten Triumphe abgespielt wurden, saß die Familie Djokovic da. Die Message war klar: Seht her, unser Novak ist der Größte aller Zeiten!

Novak Djokovic mag irgendwann tatsächlich der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte sein.

Der Größte wird er aber niemals werden. Dafür hat er dieser Tage endgültig gesorgt.

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