Alexander Zverev vor den Australian Open: Die private Bubble soll es richten

Von Stefan Petri
Voll konzentriert: Alexander Zverev bei seinem Paradeschlag, der Rückhand.
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Bei den anstehenden Australian Open in Melbourne (im Eurosport-Channel live auf DAZN) gehört Alexander Zverev (23) zu den Turnierfavoriten. Damit es 2021 endlich mit dem ersten Grand-Slam-Titel klappt, hat sich der Deutsche sportlich wie privat neu aufgestellt, trotz Corona-Chaos in den letzten Wochen stimmt die Form. Doch auch der Druck auf Zverev nimmt zu - und die größte Hürde wartet schon früher als gewünscht.

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Endlich hatte er ihn mal wieder geschlagen. Die Auslosung des ersten Grand-Slam-Turniers der neuen Saison war noch keine Stunde alt, da verwandelten Sascha Zverev und Jan-Lennard Struff ihren ersten Matchball gegen das serbische Doppel Novak Djokovic und Nikola Cacic (Nr. 56 der Doppel-Weltrangliste). Überglücklich feuerte Zverev seinen Schläger in die Luft: Der Sieg war gleichbedeutend mit dem Einzug ins ATP-Cup-Halbfinale, Team Deutschland hatte soeben den Titelverteidiger eliminiert. Der Titel ist in Reichweite.

Mental dürfte Zverev der Sieg über Djokovic im Hinblick auf die Australian Open nicht ungelegen kommen, selbst wenn es "nur" ein Doppel war. Angesichts der Tatsache, dass er sein Einzel wenige Stunden zuvor knapp mit 7:6, 2:6 und 5:7 gegen die Nummer eins der Welt verloren hatte, dass es ihm bei den ATP Finals im November ähnlich ergangen war (3:6, 6:7) - und dass es das Draw für den "Happy Slam" gar nicht gut mit ihm meinte: Schon im Viertelfinale könnte er auf den Titelverteidiger treffen.

Den Djoker bei seinem Lieblingsturnier (acht Titel) schlagen, das ist nach Rafael Nadal bei den French Open die wohl zweitschwierigste Aufgabe im Herrentennis. Aber genau diese Art Böcke will Zverev, der in Melbourne vergangenes Jahr im Halbfinale an Dominic Thiem gescheitert war, 2021 endlich umstoßen. Möglich machen soll das vor allem die Familie.

Alexander Zverev will bei den Australian Open seinen ersten Grand-Slam-Titel gewinnen.
© getty
Alexander Zverev will bei den Australian Open seinen ersten Grand-Slam-Titel gewinnen.

Alexander Zverev: Ein turbulentes Jahr 2020 im Rückspiegel

Zverev hat ein in fast jeglicher Hinsicht turbulentes Jahr 2020 hinter sich. Die sportlichen Erfolge waren beachtlich, endeten mit der knappen US-Open-Finalniederlage aber letztlich in bitteren Tränen. Über allem schwebte die Corona-Pandemie, die es besonders jungen, sich noch in der Entwicklung befindenden Spielern schwermachte. Wenn man sich denn nicht schon selbst das Leben schwer genug machte. Stichwort: Party statt Quarantäne.

Dazu kam ein Trainerwechsel, der öffentlich ausgetragene Rechtsstreit mit seinem früheren Manager Patricio Apey, die Schwangerschaft seiner Ex-Freundin Brenda Patea - und natürlich die schweren Anschuldigungen einer weiteren Ex-Freundin, Olya Sharypova, die ihm häusliche Gewalt vorwirft. Neue Erkenntnisse sind in dieser Frage wohl nicht in Sicht: Zverev streitet die Vorwürfe ab, es steht Aussage gegen Aussage, den Fall vor Gericht bringen will Sharypova Stand jetzt nicht.

Darüber reden will Zverev nicht mehr, sagte er der Bild am Sonntag, "je mehr ich rede, desto größer und länger würde sich die Geschichte hinziehen". Es sei heutzutage möglich, "mit der Wucht von Social Media jedem alles" zu unterstellen. Verfolgen werden ihn die Vorwürfe weiterhin, sein Image als Sonnyboy hat gelitten - im Rest der Tenniswelt wohl noch stärker als in Deutschland.

Zverevs Taktik für 2021: Mit der Familie zum Erfolg

Die Vorwürfe dürften auch damit zu tun haben, dass sich Zverev zuletzt eine eigene "Bubble" erschuf, wenn man so will: Er umgibt sich noch stärker mit einem engen und vertrauten Kreis bestehend aus der Familie und besten Freunden, in fremde Hände legen will er seine Geschicke nicht mehr.

Deshalb übernahmen sein Management zuletzt Bruder Mischa und Kumpel Sergej Bubka jr., Ex-Tennisprofi und Sohn der gleichnamigen Stabhochsprunglegende. Von Roger Federers Agentur Team8 hat er sich getrennt: "Wir nehmen einfach das Geschäft mehr in unsere Hände", sagt Zverev: "Sie sind die passenden Personen, sie handeln in meinem Interesse."

Auch in Sachen Coaching gab es Anfang Januar eine überraschende Veränderung: Die sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit David Ferrer wurde nach nicht einmal einem Jahr beendet, beide Seiten betonten, man sei nicht im Streit auseinander gegangen - was bei Zverevs früheren Coaches Ivan Lendl und Juan Carlos Ferrero bekanntlich anders war. Auch hier sollen es, zumindest vorerst, keine Profis von außerhalb regeln, sondern die Familie: Sohn Sascha wird wieder von Vater Alexander betreut.

Alexander Zverev: Seine Ergebnisse bei Grand Slams

Grand Slam2014201520162017201820192020
Australian Open 1. Quali-Runde1. Runde3. Runde3. RundeAchtelf.Halbfinale
French Open 2. Quali-Runde3. Runde1. RundeViertelf.Viertelf.Achtelf.
Wimbledon 2. Runde3. RundeAchtelf.3. Runde1. Runde
US Open2. Quali-Runde1. Runde2. Runde2. Runde3. RundeAchtelf.Finale

Zverevs Leistung beim ATP Cup macht Hoffnung

Das funktionierte zumindest beim ATP Cup bisher sehr ordentlich: Vor einem Jahr hatte Zverev im damals aus der Taufe gehobenen Wettbewerb alle drei Einzel verloren. Diesmal gab es einen Dreisatzsieg über Kanadas Jungstar Denis Shapovalov und die knappe Niederlage gegen Djokovic. Getrübt wurde der gute Eindruck ein wenig durch die Niederlage in der Nacht auf Samstag gegen Daniil Medvedev.

Eine positive Erkenntnis: Der Aufschlag, immer mal wieder die fatale Schwachstelle in Zverevs Spiel, funktioniert. "Es war schwer gegen ihn heute. Da kamen Raketen von der anderen Seite, beim ersten und zweiten Aufschlag", staunte der Djoker nach dem Einzel, in welchem er sich im ersten Satz keinen einzigen Breakball erspielen konnte und sogar in seiner Spezialdisziplin, dem Tiebreak, von Zverev bezwungen wurde. Erst im zweiten Durchgang konnte sich der beste Returnspieler aller Zeiten auf Zverevs Service einstellen.

Für Zverev waren die vergangenen Tage ein hartes Programm, zumal sein Erstrundenmatch gegen den Amerikaner Marcos Giron (Nr. 73 der Welt) schon in der Nacht auf Montag stattfinden könnte.

Zverev bei den Australian Open: Kann er Novak Djokovic schlagen?

Angesichts der verkürzten Vorbereitung auf die Australian Open und den knallharten Quarantäne-Maßnahmen auf dem Kontinent ist jedoch jedes Match ein willkommener Test auf dem Weg zur Topform. Aufenthaltsorte und Trainingszeiten waren streng reglementiert, einige Profis saßen sogar zwei Wochen auf ihren Hotelzimmern fest. Lediglich Superstars wie Nadal, Djokovic oder Serena Williams fanden in Adelaide angenehmere Bedingungen vor - ungleiche Bedingungen, die Zverev sogar öffentlich kritisierte.

Ob die Tatsache, dass wohl niemand in absoluter Topform ins Turnier geht, ein Vorteil für Zverev ist, wird sich noch zeigen. "Alle fangen bei Null an, das ist die große Unbekannte", betonte Boris Becker: "Jeder Favorit hat Angst vor der ersten Runde." Selbst sein früherer Schützling Djokovic sei niemand, "der auf Knopfdruck sein bestes Tennis spielt".

Dass es so schlimm um den Serben aber nicht steht, bewies er in der Nacht auf Freitag gegen Zverev. Sollten sie im Viertelfinale erneut aufeinandertreffen, wäre Nole klarer Favorit, der deutschen Nummer eins droht also ein für seinen Anspruch vergleichsweise frühes Aus. Ausgerechnet jetzt, da die Öffentlichkeit langsam aber sicher den ersehnten ersten Grand-Slam-Erfolg erwartet. "Er ist langsam im besten Tennisalter. Er weiß, dass die Verantwortung bei ihm liegt", sagte Becker: "Die Zeit der Ausreden ist vorbei."

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