Motorsport - Walter Röhrl im Interview: "Scheiß, auf den ich keinen Wert lege"

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Trotz der Wohlfühlatmosphäre bei Lancia haben sind Sie nach der Saison zu Audi gegangen.

Röhrl: Ohne Vierrad ging nichts mehr. Audi hat meinen guten Freund Dieter Scharnagl zum Pressechef gemacht. Und der Assistent von Ferdinand Piech sagte: "Das kann doch nicht sein. Sie sprechen die gleiche Sprache, sind 70 Kilometer vom Werk entfernt - Sie müssen für Audi fahren." Für mich war entscheidend, gegen Stiq Blomqvist im gleichen Auto anzutreten. Gegen alle anderen hatte ich diesen Vergleich schon hinter mir.

Sie haben dann das unerreichte Kunststück vollbracht, zum vierten Mal die Monte Carlo zu gewinnen - mit der vierten Marke.

Röhrl: Ich war angespannt wie nie in meinem Leben. Ich habe mich mit dem Audi die ersten sechs Wochen saudumm angestellt. Mit links bremsen konnte ich nicht. Der Audi war sonst aber nicht in die Kurve zu bewegen. Das Auto hat immer untersteuert. Das System mit dem Motor auf der Vorderachse war für enge Straßen einfach schlecht. Drei Wochen vor der Rallye hat es in Regensburg geschneit, ich habe mir einen Quattro aus Ingolstadt geholt und bin die ganze Nacht durch den Bayrischen Wald geheizt. Da habe ich kapiert, wie es geht. Trotzdem war Blomqvist auf den ersten beiden Prüfungen zwei Minuten schneller. Mein bester Freund hat zum Glück zugeschaut und mir gesagt, dass ich viel schneller war als alle anderen.

Das klingt nach einem Widerspruch.

Röhrl: Er stand an einer der wenigen Stellen, wo die Schneedecke hart war. Sonst gab es durch Regen nur Matsch. Ich habe meinen Mechaniker gepackt und ihm gedroht, dass ich ihn umbringe, wenn er mich anlügt. Beim Service zuvor wurde gesagt: "Wir fahren alle den schmalen Schweden-Spike." Sobald ich weg war, haben sie die richtigen Reifen aufgezogen. Der Hass aus den Jahren, in denen ich ihnen die Weltmeisterschaft versaut habe, war schlimm. Die Audi-Leute wollten es mir heimzahlen. Soviel zu Profisport und Teamarbeit. Ich habe Rennleiter Roland Gumpert gedroht, das Auto während der Rallye über den nächsten Abgrund zu schieben, wenn sowas nochmal passiert. Bei der nächsten Prüfung war ich 1:10 Minuten schneller.

Heute sind Sie eine Audi-Ikone. Wann hat sich das Verhältnis geändert?

Röhrl: Schon bei der nächsten Rallye. In Portugal habe ich anfangs alle Prüfungen gewonnen und dann brach das Federbein. Der Wechsel dauerte neun Minuten, das wäre viel schneller gegangen. Ich war in der Wertung irgendwo im Nirgendwo. Am Abend habe ich meinem Teamkollegen Hannu Mikkola vorgeschlagen, dass ich vor ihm stemple und 100 Meter später stehenbleibe, damit er ohne den Staub immer freie Sicht hat.

Mikkola muss vom Glauben abgefallen sein.

Röhrl: Hannu fragte noch direkt von der Prüfung, ob ich wirklich stehenbleibe. Gewinnen konnte ich nicht mehr. Für mich stand fest, dass ich ihm helfen muss. Nach dem Vorfall in Monte Carlo wollte ich zeigen, dass es auch faire Menschen gibt. Welche, die sich an Abmachungen halten. So hat Hannu die Rallye gewonnen. Von da an hatte ich nie mehr das Gefühl, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Audi hat den Gumpert entsorgt. Dann war alles in Ordnung.

Es waren die Hochzeiten der Gruppe B. Was im Vergleich zu heute auffällt, ist das aberwitzige Verhalten der Zuschauer.

Röhrl: Wenn ich heute Videos sehe, bin ich schockiert, dass ich voll drauflosfahren konnte. Dafür muss man bescheuert sein. Was wäre, wenn ich jemanden totgefahren hätte? Wäre ich damit jemals zurechtgekommen? Ich habe es komischerweise als Alltag betrachtet. Unvorstellbar. Die Autos waren übermotorisierte Monster. Dazu war das Zuschauerinteresse verrückt. Als 1986 ein Portugiese in die Zuschauer gefahren ist, habe ich als Erster gesagt, dass ich nicht weitermache. Ich habe Piech angerufen und gesagt, dass es nicht mehr zu verantworten ist. Aufgrund dessen haben sich alle Werksteams zurückgezogen. Sonst wäre es ein Desaster geworden.

Nach dem Rückzug von Audi aus der Rallye-WM haben Sie beim Bergrennen am Pikes Peak einen Rekord gesetzt, sind in den USA und in der DTM auf der Rundstrecke gefahren. Allerdings wurden Sie Porsche-Botschafter. Wie kam es dazu?

Röhrl: Plötzlich hieß es: Allrad ist verboten, Audi wollte mit dem A4 STW Frontantrieb fahren. Ich habe mich geweigert, das Auto zu entwickeln und sollte Qualitätssicherung im Büro machen. Audi war froh, als ich mir meine Papiere holte, weil Strietzel Stuck auch nicht mehr fuhr. Lauter Rentner, die sie durchfüttern mussten. Tage später rief mich Wendelin Wiedeking an und bot mir die Arbeit als Repräsentant an. Geld hatte er keins, weil Porsche damals am Boden war. Bei jeder anderen Firma hätte ich nein gesagt, aber ich war durch meinen Bruder schon immer Porsche-Fan. Ich durfte dann auch noch ein bisschen testen.

Bei einer dieser Fahrten sind Sie auf der Nordschleife des Nürburgrings auf einen Formel-1-Weltmeister getroffen.

Röhrl: Das war bei der Schlussabnahme des GT2-RS. Zum Vergleich hatten wir einen Ferrari 599 dabei. Nach sieben Kilometer habe ich ein schwarzes Auto vor mir gesehen, an das ich ganz langsam rangekommen bin. Plötzlich habe ich gesehen, dass es auch ein 599 war. Auf dem Galgenkopf war ich einen Meter hinter ihm, er hat etwas zu spät eingelenkt und ich bin innen vorbei. Ich bin nach der Runde auf die Bundesstraße, um das Auto abkühlen zu lassen. Der Andere kommt hinterher. Ich fahre blinkend auf den Standstreifen, lasse das Fenster runter und dann ist das Michael Schumacher.

Verwunderlich, dass die Geschichte an die Öffentlichkeit kam.

Röhrl: Das hätte niemand erfahren. Aber er ist in die Ferrari-Werkstatt gefahren und hat geschimpft, dass Porsche was Vernünftiges mit dem Fahrwerk gemacht hätte. Das haben die Mechaniker abends im Wirtshaus erzählt.