DTM-Pilot Mike Rockenfeller im Interview: "Sim-Racing macht süchtig"

Von Andreas Reiners
Mike Rockenfeller gewann 2013 die Fahrerwertung in der DTM.
© imago images
Cookie-Einstellungen

Twitter, Facebook, Instagram, TikTok: Muss man sich als Rennfahrer nicht auf mindestens einer Plattform darstellen?

Rockenfeller: Ich kann nur jedem Nachwuchsfahrer empfehlen, es zu machen. Karrieretechnisch ist es kein Vorteil, wenn man auf den Plattformen nicht vertreten ist. Am Ende geht es um Follower und einen wirtschaftlichen Vorteil, dass es beim Hersteller, bei den Sponsoren oder den Fans gut ankommt. Das ist eine Größe, mit der du dann arbeiten kannst. Das ist legitim, um sich zu zeigen. Und hast du es nicht, hast du ein Problem.

Wie hat sich das bei Ihnen gezeigt?

Rockenfeller: Ein Beispiel: Ein Fahrradhersteller sagte, dass er gerne mit mir zusammenarbeiten würde und fragte, wie viele Follower ich habe und ob ich ein paar Posts machen kann. Dann sag ich: ‚Da geht leider nix.' Und dann hat sich das Thema auch gleich wieder erledigt. Deshalb habe ich überlegt, ob es nicht doch ein Fehler war. Aber man muss abwägen, denn man kann nicht alles haben. Dann muss man mit der Konsequenz eben leben.

Die Winterpause ist durch die Coronakrise länger als sowieso schon. Wie groß sind denn die Entzugserscheinungen?

Rockenfeller: Ich vermisse das Racing mehr denn je. Die Krise zeigt mir, wie sehr ich das Ganze liebe. Das habe ich lange nicht mehr gespürt, denn oft nimmt man als Rennfahrer Dinge als gegeben hin, es wird ein Stück weit normal. Das ist mir viel bewusster geworden. Du merkst auf einmal, was dir fehlt, es ist ja fast wie ein Karriereende. Ich will endlich wieder über Setups und Rennen reden, über Kurven und Hundertstelsekunden.

Mike Rockenfeller, DTM
© imago images

DTM ohne Zuschauer? "Nicht ganz so seltsam wie beim Fußball"

Die DTM wird erst einmal Geisterrennen austragen: Was wird das für eine Saison?

Rockenfeller: Ich bin gespannt, wie Rennen ohne Zuschauer wirken, aber ich glaube, dass es nicht ganz so seltsam aussehen wird beim Fußball. Ich glaube, dass BMW aufgeholt hat. Diese Audi-Dominanz dürfte daher weg sein, es wird also spannender. Außerdem gehen die meisten davon aus, dass es die letzte DTM-Saison sein wird. Da wird nicht groß taktiert, sondern volles Rohr gefahren. Das kann eine mega geile Saison werden.

Die letzte Saison könnte es werden, weil Audi nach 2020 aussteigt. Können Sie den Schritt nachvollziehen?

Rockenfeller: Ich verstehe es total. Es war in den vergangenen Jahren immer wieder mal ein Thema. Es ist eben so: Dinge ändern sich, das Automobil ändert sich durch die E-Mobilität sowieso sehr schnell. Es ist nicht mehr so einfach, die Leute für das Auto und den Motorsport zu begeistern. Man sollte Audi nicht negativ darstellen, denn solche Schritte sind normal, gerade auch in diesen schwierigen Zeiten. Trotzdem finde ich, dass Audi Motorsport machen sollte, weil der eine Marke prägt, vor allem wenn man erfolgreich ist.

Wie finden Sie als Fahrer der etwas älteren Generation die Formel E, auf die sich Audi in Zukunft noch mehr fokussiert?

Rockenfeller: Die Formel E ist anders, sie ist nicht der klassische Weg. Ich finde sie cool, es passiert viel, teilweise zu viel, aber es ist unterhaltsam. Die Serie lebt vor allem von der Atmosphäre in der Stadt. Aber: Wenn in Hockenheim 20 Autos mit Vollgas vorbeifahren, es laut ist, spektakulär und Funken sprühen, löst das bei mir andere Emotionen aus als bei einem Kaffee in der Stadt die Formel E zu verfolgen. Ich kann mir aber trotzdem sehr gut vorstellen, dort zu fahren.

Der Vertrag von Formel-E-Fahrer Lucas di Grassi läuft aus, Daniel Abt wurde suspendiert. Gibt es unter den DTM-Fahrern ein Hauen und Stechen um einen Platz in der Formel E?

Rockenfeller: Mein Fokus liegt darauf, die DTM zu gewinnen. Und dann warten wir mal ab, ob es ein Hauen und Stechen gibt. Vielleicht kann ich mehr stechen, wenn ich den Titel hole. (lacht)

Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft denn konkret aus?

Rockenfeller: Mein Hauptfokus liegt auf der DTM, denn in dieser Konstellation ist es meine letzte Chance. Und wenn ich erfolgreich bin, kann daraus etwas Neues entstehen. Ich bin schon immer gerne in den USA gefahren, bin auch gerne auf der Langstrecke unterwegs. Die WEC wäre für mich zum Beispiel ein Ziel, eine Rückkehr nach Le Mans, der Kampf um Gesamtsiege. Es gibt aber viele Fahrer auf dem Markt, und auch das Alter wird einem negativ angelastet. Aber ich finde, die Mischung macht es, es kommt auch auf Erfahrung an. Fünf, sechs sehr gute Jahre habe ich hoffentlich noch vor mir.

2008 gewann Rockenfeller die LMP1-Klasse der Le Mans Series.
© imago images
2008 gewann Rockenfeller die LMP1-Klasse der Le Mans Series.

Rockenfeller: DTM? "Kann mir nicht vorstellen, dass es weitergeht"

Wie geht es für die DTM weiter, was halten Sie für realistisch?

Rockenfeller: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es weitergeht. Da müsste ein Wunder passieren. In den vergangenen Jahren standen die Hersteller schließlich auch nicht Schlange. Was nicht fair ist, weil die DTM besser als ihr Ruf ist. Die Formel E erlebt einen Hype, die DTM gehört zur älteren Generation Motorsport, die im Moment ein bisschen wegstirbt. Man kann nur abwarten, was die Zukunft bringt und wie es in fünf Jahren aussieht.

Was bedeuten das Aus und die Krise für den deutschen Motorsport? Muss der sich neu erfinden?

Rockenfeller: Das ist für alle schlecht, auch für den Nachwuchs, denn die DTM war ja auch immer ein Ziel für die jungen Fahrer. Das ist weg, weshalb es das Ziel für den Nachwuchs sein muss, Formel E zu fahren. Da ist der Hype, da sind die Hersteller und da kann man Geld verdienen. Aber insgesamt ist es wie ein Reset, vielleicht wird alles eine Nummer kleiner, mehr in privater Hand, in Teamhand. Aber es geht nicht nur um Hersteller, sondern auch um Sponsoren. Keine Frage: Es wird eine Durststrecke geben. Die Dinge werden sich neu sortieren, und man wird mit weniger klarkommen müssen. Dadurch reinigt sich einiges, und vielleicht entstehen dann auch neue Dinge. Vielleicht hat es das aber auch gebraucht.

Wenn Sebastian Vettel 2021 abtritt, gibt es erstmals seit 1981 keinen deutschen F1-Fahrer mehr. Wo sehen Sie die Gründe?

Rockenfeller: Es ist normal, dass so etwas in Wellen kommt. Wir sind ja auch sehr verwöhnt, wenn man bedenkt, dass 2010 noch sieben deutsche Fahrer in der Formel 1 waren. Es ist schade, aber vielleicht wird dann auch der Nachwuchssport auch mal wieder billiger. Das Niveau ist nicht mehr normal, das ist bekloppt, wenn wir über Hunderttausende von Euro reden, und das für Zwölfjährige. Das ist Blödsinn und geht völlig am Ziel vorbei. In den Formelklassen ist es genauso. Muss eine Formel 3 im Rahmenprogramm der Formel 1 fahren, damit es noch teurer wird? Das ist zu teuer und der deutsche Nachwuchs erlebt auch nicht mehr den Hype wie zu Zeiten von Michael Schumacher. Es wird sich durch Corona einiges verändern.

Was würden Sie als alter Hase einem ambitionierten Nachwuchsmann in dieser Situation mit auf den Weg geben?

Rockenfeller: Die Frage könnte ich mir bei meinen beiden Jungs vielleicht auch bald stellen. Ich würde empfehlen, Kart auf kleiner Flamme zu fahren, als Familien-Hobby. Spaß haben, die Wochenenden an der Strecke verbringen und dann schauen, wo es hinführt. Und ganz ehrlich: Parallel würde ich Sim-Racing empfehlen. Da kann man für ganz kleines Geld ganz viel lernen. Aber natürlich braucht man gleichzeitig auch das echte Racing. Und wenn es am Ende nur ein Hobby bleibt, ist es auch gut. Das Erlebte bleibt ja.

Kann das Sim-Racing in eine Lücke stoßen?

Rockenfeller: Ich glaube schon. Nicht als Ersatz, aber als parallele Disziplin. Auch für Hersteller und Sponsoren, da sehe ich eine Menge Potenzial. Es ist günstig, man kann sich präsentieren und mit Fans interagieren.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema