Mercedes-AMG-Customer-Racing-Leiter Stefan Wendl im Interview: "Der Unterschied zur Realität ist fast nichtig"

Von Andreas Reiners
Stefan Wendl ist Leiter der Abteilung für Kundensport bei Mercedes-AMG.
© Daimler
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Mehr als 390 Rennfahrzeuge wurden an Kundenteams verkauft. In über 120 Serien errangen diese Teams 418 Gesamtsiege, 788 Klassensiege und 171 Titel. Was ist denn das Erfolgsgeheimnis?

Wendl: Die erreichten Erfolge basieren auf einem performanten zuverlässigen Fahrzeug, einem weltweit verfügbaren Support-System für Ersatzteile und Ingenieursservice, siegeshungrigen Fahrern und Teams, sowie einem hoch motivierten Team bei Mercedes-AMG und unserem Entwicklungspartner HWA.

Wie wichtig war DTM-Legende Bernd Schneider in den Anfangsjahren für den Mercedes-Kundensport?

Wendl: Natürlich haben wir von ihm und auch Thomas Jäger als Testfahrer-Duo enorm profitiert. Sie haben den SLS mit ihrer Erfahrung zu einem sehr erfolgreichen GT3-Rennwagen entwickelt. Testfahrer sind generell enorm wichtig, und vor allem die älteren Testfahrer bringen extrem viel Erfahrung mit und haben den Blick für Details, die für den Kunden wichtig sein könnte. Doch auch die Kunden werden bei der Entwicklung mit involviert, um frühzeitig ein Feedback zu bekommen.

Gibt es Fahrer, die Sie in der Zeit überrascht haben?

Wendl: Ja, das kommt bei den Kunden öfter vor. Ohne Namen zu nennen, sind immer wieder Fahrer dabei, die erst im fortgeschrittenen Alter in den Motorsport eingestiegen sind und dann sehr nah an unsere Profis heranreichen. Wo ich mich frage: "Ist da ein Profi verloren gegangen?"

Der Kundensport kann aber auch eine Karriere-Sprungbrett sein ...

Wendl: Wir sehen uns auch als Junior-Programm. Wir bieten die Plattform für Gentlemen, die den Sport selbständig finanzieren. Es gibt aber auch einen Anteil an aufstrebenden, jungen Fahrern. Sie sind meistens zwischen 18 und 22 Jahre alt, kommen aus dem Kart- oder Formelsport, wo sie mit ihren Partnern und Sponsoren an Grenzen geraten sind und nun im Kundensportbereich noch einmal durchstarten und sich empfehlen wollen.

Ihre aktuellen Fahrer überbrücken die Coronakrise mit Sim-Racing. Fahren Sie selbst auch?

Wendl: Leider nicht, weil mir die Hardware noch fehlt. Ich würde es aber gerne mal probieren, denn ich bin sehr fasziniert davon, wie realitätsnah Sim-Racing ist. Wie präzise die Teams vorgehen müssen, um das Auto auf den Punkt zu bringen, um erfolgreich zu sein.

Wie wichtig ist das Sim-Racing für Mercedes-AMG Customer Racing?

Wendl: Ich würde es in drei Kategorien einteilen. Privat ist es eine willkommene Abwechslung, um Rennaction zu sehen, Sektorendaten, Zweikämpfe. Grafisch bieten die Plattformen so viel, dass der Unterschied zur Realität fast nichtig ist. Zweitens: Für den AMG-Kundensport haben wir noch keine Abteilung, die sich explizit mit Sim-Racing beschäftigt. Aber für viele Kundensport-Teams und -Fahrer ist es die Chance auf Abwechslung und dazu, fit zu bleiben, Skills zu trainieren und sich zu fokussieren. Für uns als Marke nutzen wir Sim-Racing, um den Fans Content zu bieten.

Stefan Wendl ist für den Kundensport bei Mercedes-AMG verantwortlich.
© Daimler
Stefan Wendl ist für den Kundensport bei Mercedes-AMG verantwortlich.

Sie sind ja erfolgsverwöhnt: Wie viel Ehrgeiz haben Sie beim Sim-Racing? Oder ist das nur pure Unterhaltung?

Wendl: Das ist purer Ehrgeiz. Ich kann gar nicht so viel umsetzen, wie ich möchte. Ich begleite die Entwicklungen, bin täglich mit mindestens einem Fahrer in Kontakt, oder auch mit den Teams, um sie zu pushen. Wir verhandeln auch mit Partnern, die das Thema unterstützen wollen. Klar ist: Sobald man mit einem Mercedes-AMG im Sim-Racing antritt, präsentiert man auch die Marke. Deswegen ist es ein großes Anliegen von uns, dass wir auch in der virtuellen Welt und in Serien wie der Digitalen Langstrecken-Serie DLNS erfolgreich sind. Wir als AMG Customer Racing organisieren zum Beispiel für die in der DNLS involvierten Fahrer und Teams Trainingssessions, um stetig besser zu werden. Es ist ein auch von mir anfangs unterschätzter Anteil an intensiver und koordinierter Arbeit nötig, um das Auto im Detail für Zehntelsekunden zu verbessern.

Ist Ihr Aufwand denn ähnlich groß wie in der Realität?

Wendl: Der Aufwand verschiebt sich. Die Fahrzeuge sind natürlich nicht zu 100 Prozent original und entsprechen auch nicht ganz dem originalen Fahrverhalten. Die Setups, die man sich erarbeiten muss, sind deshalb andere als im realen Leben. Heißt: Die Fahrbarkeit spielt im Sim-Racing eine geringere Rolle, weil es einzig und alleine darum geht, so schnell wie möglich um die Nordschleife zu kommen. Im Sim-Racing ist die Verletzungsgefahr bei Unfällen natürlich nicht wirklich gegeben. Man kann stundenlang andauernd zwei Runden am Maximum fahren, bis man einschlägt und das Setup im Griff hat. In der Realität ist das natürlich nicht möglich. Da wird sehr viel in die Vorbereitung gesteckt, um Strategien auszuarbeiten, die in der geringen Testzeit, die man zur Verfügung hat, schnell Anwendung finden. Deswegen verschiebt sich die Arbeit koordinativ: Wie teile ich meine Arbeit auf, um gezielt zu Ergebnissen zu kommen? Relativ identisch zur Realität ist die grundsätzliche Arbeit, wie man das Auto schneller bekommt.

Wo sehen Sie in dem Bereich Sim-Racing noch Potenzial?

Wendl: Zum einen im sportlichen Reglement. Dabei geht es um den Respekt voreinander, wie Fahrer mit dem Thema Seriosität umgehen. Dass zum Beispiel Überholmanöver nicht mit der Brechstange durchgeführt werden. Zum anderen möchte ich mich zusammen mit den anderen Herstellern noch intensiver damit beschäftigen, die Fahrzeug-Modelle noch realistischer zu entwickeln. Sie sind auf einem hervorragenden Niveau, aber da geht immer noch etwas.

Was können Sie für das reale Leben mitnehmen?

Wendl: Dass es ein ernst zu nehmender Sport ist. So sehr, dass im Moment diskutiert wird, wie wir eine Lücke im Kundensport-Zeitplan finden können, damit man sicherstellen kann, dass wir die Mercedes-AMG-Produkte vernünftig darstellen können.

Der Fall Daniel Abt zeigt, dass das Thema auch nach hinten losgehen kann. Hat Sie das überrascht?

Wendl: Dass so etwas irgendwann mal passiert, war nicht so überraschend. Die Branche muss sich mit der Frage, wie man die Identifizierung der Fahrer gewährleisten kann, beschäftigen.

Wie sehen Sie Sim-Racing grundsätzlich: eher als Spaß oder als Ernst? Oder etwas dazwischen?

Wendl: Jeder, der sich in einem Sport betätigt und misst, möchte ihn mit integren und fairen sportlichen Mitteln und nach einem bestehenden Reglement ausüben. Ob es nun ein Hobby-oder ein Profisportler ist. Es gibt Grundsätze, an die man sich halten sollte, damit man einen fairen sportlichen Wettkampf ermöglichen kann.

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