Real Madrid in der Formkrise: Von Casemiros Abschied bis zum WM-Trauma von Vinícius Jr.

Von Thomas Hindle
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Bei Real Madrid schrillen die Alarmglocken. Im Sommer wurde offenbar der falsche Mittelfeldspieler verkauft - und auch die WM hinterlässt Spuren.

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"Wir sind Real Madrid", erklärte Carlo Ancelotti trotzig, nachdem seine Mannschaft am Sonntag das Finale des spanischen Supercups gegen den FC Barcelona verloren hatte. Gegen den größten Rivalen zog Real mit 1:3 den Kürzeren und war in einem Clasico, der eine Machtverschiebung zu signalisieren schien, völlig unterlegen.

Die Aussage des erfahrenen Trainers war eine Bestätigung, ja sogar eine Gewissheit. Und in gewisser Weise hat Ancelotti recht. Real Madrid ist so sehr an den Erfolg gewöhnt, dass selbst die kleinsten Ausrutscher als katastrophal empfunden werden.

Allerdings sehen die Königlichen seit der Weltmeisterschaft seltsam besiegbar aus. Tatsächlich hat Madrid nur zwei seiner letzten fünf Spiele in der regulären Spielzeit gewonnen und selbst bei einem Sieg war man alles andere als überzeugend. Müdigkeit ist sicherlich ein Faktor, aber nicht die einzige Erklärung. Es gibt noch andere Gründe.

Madrid hat im vergangenen Sommer den defensiven Mittelfeldspieler Casemiro gehen lassen, dessen Schnelligkeit und Biss man vermisst. Karim Benzema hat seit seinem Rücktritt aus der französischen Nationalmannschaft in Katar mit seiner Form und Fitness zu kämpfen.

Aber es ist nicht nur eine Frage des Personals. Einige von Madrids Problemen gehen tiefer, wie SPOX im Folgenden darlegt.

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Real Madrid und die Formkrise: Mittelfeldprobleme

Es war einfach verblüffend, wie viel Luka Modric bei der Weltmeisterschaft gelaufen ist. Der kroatische Kapitän schien nie aufzuhören, seine 37 Jahre alten Beine tuckerten noch bis tief in die hochintensiven K.o.-Spiele hinein.

Nach seiner Rückkehr in die spanische Hauptstadt sind diese Beine jedoch langsamer geworden. Stattdessen war der Kapitän zuletzt unsicher, ja sogar etwas neben der Spur.

Und da ist er nicht der Einzige. Modric und Toni Kroos, die beiden älteren Herren des Madrider Mittelfeldtrios, waren in den letzten Wochen weit von ihrer Bestform entfernt. Letzterer konnte zwar die kompletten Spiele bestreiten, ihm fehlte aber die entscheidende Qualität im Ballbesitz, die ihn für Los Blancos normalerweise so wertvoll macht.

Im Moment sieht es also so aus, als hätte Madrid im letzten Sommer den falschen Mittelfeldspieler verkauft. Casemiro blüht bei Manchester United auf, während sein Ersatz im Santiago Bernabéu, Aurélien Tchouaméni, genau das zu sein scheint, was er ist: ein vielversprechender Kandidat, der sein Handwerk aber noch lernen muss, wie 64 schwache Minuten bei der Niederlage Madrids gegen Villarreal in La Liga zeigten.

Auch der Franzose Eduardo Camavinga zeigte im Supercup keine gute Leistung und trug mit seinen Fehlern zu den beiden Toren von Barça in der ersten Halbzeit bei.

Fede Valverde war ebenfalls Teil der Mannschaft, wobei sein Aufstieg wahrscheinlich ein Grund für den Verkauf von Casermiro war. Er wurde hauptsächlich auf der rechten Seite der offensiven Dreierreihe eingesetzt, aber seine Zukunft liegt sicherlich im Mittelfeld. Und es gab einige vielversprechende Momente, aber der Uruguayer hat die Angewohnheit, über weite Strecken abzutauchen.

Natürlich gibt es noch andere Möglichkeiten. Dani Ceballos und Nacho Fernández könnten ihn ersetzen, aber beide haben nicht die nötige Qualität.

Madrid hat also ernsthaften Grund zur Sorge. Modric und Kroos haben sich in der Vergangenheit dank ihres Talents, ihrer Arbeitsmoral und ihrer mentalen Stärke von schlechten Phasen erholt und wieder in Form gebracht. Da Casemiro jedoch nicht mehr zur Verfügung steht, ist Reals Mittelfeld ins Wanken geraten.

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Real Madrid: Der Ansatz von Carlo Ancelotti

Am Tag vor dem Champions-League-Finale 2022 hatte sich Real auf das anstehende Highlight nur wenig vorbereitet. Ancelotti hielt eine kurze Ansprache an die Mannschaft, bevor er ihr erlaubte, sich mit ihren Familien auf dem Spielfeld auszutoben.

Madrid gewann das Finale schließlich mit 1:0 gegen Liverpool, obwohl man über weite Strecken des Spiels unter Druck stand. Es war eine Werbung für Ancelottis entspannte Art des Managements. Nach einer so ruhigen Vorbereitung zeigten die Blancos eine souveräne Leistung und kontrollierten das Spiel, auch wenn sie nicht im Ballbesitz waren.

Darin liegt der Reiz von Ancelotti. Er ist ein Trainer, der mit einer Gruppe von Spielern arbeitet, denen er vertrauen kann und deren Kreativität und taktisches Geschick er nutzt, um einen beinahe schon als laissez-faire zu bezeichnenden Ansatz beim Coaching zu verfolgen. Alles, was er tun muss, ist, das richtige Umfeld zu schaffen.

Aber das Ganze hängt von der Atmosphäre, von der Stimmung ab. Und vielleicht lässt diese langsam nach.

Madrid war in den letzten Wochen sehr berechenbar. Vinícius Jr. wird bei jeder Ballberührung von Gegenspielern umzingelt, Benzema lässt sich so tief fallen, dass Madrid nur selten mit einer offensiven Option in der Spitze spielt.

Der Stil des Managements ohne große Eingriffe, der dieser Mannschaft so gut getan hat, scheint zunehmend anfällig zu sein. Madrid sieht aus wie eine Mannschaft, die eine Systemumstellung braucht, oder zumindest einen Trainer, der mehr zupackt. Da scheint es durchaus passend, dass zuletzt über eine Rückkehr von Erfolgstrainer Zinédine Zidane spekuliert wurde.

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Real Madrid: Vinícius Junior liefert nicht

Vinícius Jr. ist 22 Jahre alt. Er hat bereits alle Trophäen des Vereinsfußballs gewonnen und gezeigt, dass er auf seiner Position zu den Besten der Welt gehört. Schon jetzt muss er nur noch sehr wenig beweisen.

Aber irgendetwas stimmt im Moment nicht. Der Flügelstürmer hat in den letzten fünf Spielen weder ein Tor noch eine Vorlage geliefert und machte in den letzten Wochen eine frustrierte Figur. Die gegnerischen Teams haben herausgefunden, dass sie seine Tricks eindämmen können, wenn sie ihn doppeln.

Wenn er gezwungen ist, das Spiel zu verlangsamen, kann der Einfluss von Vinícius auf ein Spiel begrenzt sein. Das wurde bei Madrids knappem Sieg gegen Valladolid deutlich. Vinícius wurde von dem 18-jährigen Ivan Fresneda, der den Brasilianer immer wieder in Bedrängnis brachte, aus dem Spiel genommen.

Er ist natürlich ein Produkt des Systems. Obwohl Vinícius individuell brillant ist, kann er nicht ohne die überragenden Talente um ihn herum agieren. Die schlechte Form ist also nicht unbedingt seine Schuld. Aber seit der WM-Pause ist er stark angeschlagen - und Madrid hat darunter gelitten.

Die Chancen stehen gut, dass er etwas von der Magie zurückgewinnt, die ihn letztes Jahr zu einem der besten Spieler Europas gemacht hat. Bis dahin wird es Madrid weiterhin an Durchschlagskraft im Angriff mangeln.

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Real Madrid: Dani Carvajal zeigt Mängel

Dani Carvajal hat im letztjährigen Champions-League-Finale brilliert. Liverpools Luis Díaz, der damals in glänzender Form war, wurde durch die disziplinierte Leistung des Spaniers weitgehend ausgeschaltet.

Doch seitdem hat er nicht mehr allzu viele gute Spiele gemacht. Die Entwicklung von Carvajal ist ein stetiger Prozess, bei dem seine mangelnde Schnelligkeit von Spiel zu Spiel deutlicher wird. Der Rechtsverteidiger ist 32 Jahre alt und verfügt nicht mehr über das Tempo, das nötig ist, um die Positionsschwächen auszugleichen, die bei ihm schon immer ein kleines Problem darstellten.

Am Sonntag setzte Barcelona den schnellen Álex Balde auf der linken Abwehrseite ein und ließ Gavi in den Raum zwischen Kroos und Carvajal fallen. Der Rechtsverteidiger war nicht immer klug positioniert und blieb im Raum hängen, während Barcelona einfach um ihn herum spielte.

Carvajal ist nach wie vor Stammspieler und wird noch mindestens ein weiteres Jahr in Madrid spielen. Aber es wäre keine Überraschung, wenn Real die Suche nach einem jüngeren und schnelleren Rechtsverteidiger beschleunigen würde.

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Real Madrid und die Formkrise: Kostspielige Fehler

"Die Mannschaft leidet sehr, weil sie normalerweise Endspiele gewinnt", erklärte Ancelotti, nachdem Madrid zusehen musste, wie Barça den Supercup gewann.

Das war ein guter Punkt. Dies war das erste Finale, das Real seit 2018 verloren hat. Plötzlich schienen all die Plattitüden über die Identität der Mannschaft, die Stimmung, die sie ausstrahlt, die Unfehlbarkeit von "Los Blancos" ein wenig oberflächlich.

Die Selbstsicherheit, die sie die letzten zwei Jahre ausgemacht hat, ist plötzlich verschwunden. Madrid machte drei Fehler und kassierte gegen Barcelona drei Tore, was nicht an mangelnder Qualität, sondern an mangelnder Überzeugung lag. Und das ist ungewöhnlich.

Das zweite Tor der Blaugrana entstand zum Beispiel durch einen schlechten Pass von Antonio Rüdiger und eine langsame Reaktion der Abwehr um ihn herum.

Ähnlich sah es gegen Villarreal bei der 1:2-Niederlage vor anderthalb Wochen aus, als Ferland Mendy einen einfachen Ball unterschätzte, der zu einem einfachen Tor führte.

Diese Madrider Mannschaft hat zuvor vor allem keine Fehler gemacht. Das ist der Grund, warum sie im vergangenen Jahr zahlreiche unglaubliche Comebacks in der Champions League hinlegen konnte. In großen Spielen sind die Blancos nahezu perfekt und schlagen ihre Gegner sowohl durch Solidität als auch durch Qualität.

Doch langsam häufen sich die Fehler, die zu Toren führen und damit Spiele kosten. Das muss sich ändern, und zwar schnell, wenn Real mit dem wiedererstarkten Barça im Titelrennen der Liga mithalten will.

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