Handball-Geschäftsführerin Jennifer Kettemann im Interview: "Frauen können genauso hitzig mitdiskutieren wie Männer"

Jennifer Kettemann ist Geschäftsführerin der Rhein-Neckar Löwen.
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Das war also nicht der Grund dafür, dass Sie es ablehnten, als Sie das erste Mal gefragt wurden, ob Sie sich vorstellen können, als Geschäftsführerin bei den Löwen einzusteigen. Warum dann?

Kettemann: Obwohl ich mir schon gedacht habe, dass der Job bei den Löwen mein Traumjob sein könnte, habe ich ihn mir im ersten Moment nicht direkt zugetraut. Es war aber bei dem damaligen Telefonat so, dass auch ein Vorstandsmitglied von SAP mit dabei war und recht bestimmend sagte: "Jenni, sowas sagt man nicht einfach ab! Denk erst mal drüber nach." Damit hatte er natürlich vollkommen Recht. Ich habe mich dann mit dem Job sehr genau beschäftigt und mir überlegt, was ich kann und was ich nicht kann. Dabei kam letztlich heraus, dass das Profil zu vielen meiner Stärken passt, es jedoch andere Bereiche gab, in die ich erst hineinwachsen musste. Ich bin ein Paradebeispiel dafür, dass es viele Frauen gibt, die mutiger sein müssten, sich mehr zutrauen müssten. Damals war ich glücklicherweise in der Situation, dass ich Leute - u.a. unser Aufsichtsrat - um mich herum hatte, die mehr an mich geglaubt haben, als ich es selbst getan habe. Aber davon kann man nicht immer ausgehen.

Spielte auch eine möglicherweise negative Reaktion der Öffentlichkeit auf eine Geschäftsführerin eine Rolle?

Kettemann: Das waren schon Gedanken, die ich mir gemacht habe, aber letztlich war der Job an sich die Herausforderung. Es ist keine leichte Sache, einen solchen Klub zu führen, die Fäden in der Hand zu halten und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Der Job ist aber nicht leichter oder schwerer, je nachdem, ob man Mann ist oder Frau.

Die Aufmerksamkeit, die eine Geschäftsführerin erfährt, ist aber doch eine andere als bei Ihren männlichen Kollegen.

Kettemann: Es stimmt schon, dass ich gerade am Anfang mehr im Rampenlicht stand, als das bei einem Mann der Fall gewesen wäre, auch weil es in der Handball-Bundesliga damals, genau wie aktuell, keine Frau in dieser Position gab. Damit hatte ich automatisch mehr Aufmerksamkeit. Es war aber der Job an sich, vor dem ich Respekt hatte. Ob ich Mann oder Frau bin, hat für mich bei der Entscheidung keine Rolle gespielt.

Ist das Mehr an Aufmerksamkeit, von dem Sie sprechen, auch der Grund, warum Sie keine öffentlichen Accounts in den sozialen Medien betreiben?

Kettemann: Meine Accounts dort sind auf privat gestellt, das stimmt. Das liegt aber daran, dass ich das Interesse an meiner Person und wie sehr ich in der Öffentlichkeit stehen werde bei meinem Dienstantritt hier unterschätzt habe. Ich hätte damals einen Account als Person des öffentlichen Lebens einrichten müssen, habe mir aber nicht angemaßt, zu denken, dass dort viele Follower zusammenkommen. Um das jetzt umzustellen, fehlt mir ehrlich gesagt die Zeit. Im Moment ist mir das nicht wichtig genug. Ich will aber nicht ausschließen, dass das noch kommt. Generell teile ich in den sozialen Medien schon immer mal etwas, auch berufliche Dinge, und habe kein Problem damit.

Nehmen Sie es denn auch so wahr, dass es in diesem sehr emotional gesteuerten Raum der sozialen Medien nochmal schwerer ist, als Frau im Rampenlicht zu stehen?

Kettemann: Ich glaube, dass die sozialen Medien im Sport generell ein schwieriges Thema sind, weil unser Produkt so emotional ist. Natürlich machen die Emotionen den Sport aus und sind ein Grund dafür, dass wir in diesem Bereich arbeiten und lieben, was wir tun. Dennoch sehe ich die sozialen Medien in diesem Punkt kritisch, weil dort jeder ungefiltert seine Meinung sagen kann, das auch tut und oftmals tut, ohne darüber nachzudenken, wie die Protagonisten sich dabei fühlen. Konstruktive Kritik an Spielern und Verantwortlichen ist immer gut und es ist ärgerlich, wenn ein Spiel verloren geht. Aber wenn die Kritik ins Persönliche geht, halte ich das für sehr fragwürdig.

Jennifer Kettemann über die Social-Media-Kanäle der Rhein-Neckar Löwen

Die Social-Media-Kanäle Ihres Klubs sind bei den Followerzahlen und anderen Statistiken im Spitzenfeld der Liga. Wie gehen die Löwen in der Moderation dieser vor?

Kettemann: Generell ist es so, dass uns die sozialen Medien sehr wichtig sind. Bei den Kommentaren unter unseren Beiträgen bin ich sehr froh, in diesem Bereich ein sehr kompetentes Team zu haben, das ein gutes Gespür dafür hat, welche Kommentare sie selbst verfassen und wie sie eventuell in Ausnahmefällen intervenieren. Unsere Strategie dabei ist, möglichst wenig einzuschreiten. Wir löschen nichts - es sei denn, es handelt sich um Spam, rassistische Kommentare oder geht ganz tief unter die Gürtellinie. Wir haben die Philosophie, das möglichst offen zu halten.

Lässt sich diese Herangehensweise aus Ihrer Sicht auch auf den gesamten gesellschaftlichen Diskurs, etwa zur Rolle der Frau, übertragen? Das würde bedeuten, emotionale Äußerungen so weit zuzulassen und eben nicht zu 'löschen', also zu diskreditieren und von vornherein als nicht akzeptabel abzustempeln, wie nur möglich - es sei denn, sie überschreiten die Grenze zum Rassismus, Sexismus oder ähnlichem.

Kettemann: Ja. Man muss offen darüber reden können. Im Moment ist die Debatte um Frauen und insbesondere Frauen im Sport schon sehr präsent. Auf der einen Seite finde ich, dass es sehr wichtig ist, dass man darüber spricht, weil es sehr große Diskrepanzen zwischen Männern und Frauen gibt. Sucht man beispielsweise in den Aufsichtsräten der Bundesligen eine Frau, wird man nur sehr wenige finden. Daran muss sich natürlich etwas ändern. Andererseits kommt es bei mir auch auf, dass mich das Thema nervt, weil es dauernd bespielt wird. Dennoch muss es bespielt werden, solange wir eine so große Diskrepanz haben.

Dazu passt, dass Sie bereits 2018 zur größeren Aufmerksamkeit, die Sie als Frau unter zahlreichen Männern in den Top-Positionen des deutschen Handballs erhalten, sagten: "Vor den Kameras muss ich bei solchen Fragen ja immer nett bleiben. Aber tatsächlich nervt mich das ein wenig."

Kettemann: Das sehe ich immer noch so. Das ist ein Thema, über das man, wie gesagt, sprechen muss. Am liebsten wäre mir aber, es wäre gar kein Thema mehr. Nur sind wir noch lange nicht an diesem Punkt. Und solange dort noch ein Defizit herrscht, bin ich gerne dazu bereit, mich dafür einzusetzen, und sehe es auch in meiner Verantwortung, mich für die Gleichberechtigung im Sport einzusetzen.

Sie haben bereits mehrmals öffentlich gesagt, dass Sie nicht gerne Tipps an junge Frauen verteilen. Welchen Tipp würden Sie denn jungen Menschen geben, damit sie mithelfen können, dass wir die Ziele, die sie in unserem Gespräch formuliert haben, erreichen?

Kettemann: Mutig sein ist für mich das A und O. Das gilt insbesondere für die Frauen, weil Männer doch oftmals selbstbewusster mit ihren Fähigkeiten umgehen. Wichtig ist außerdem, man selbst zu bleiben. Auch das geht eher in Richtung der Frauen, weil es schon die eine oder andere gibt, bei der ich das Gefühl habe, sie denkt, sie müsste besonders tough sein, um es in diesem Business nach oben zu schaffen. Ich finde aber nicht, dass das der Fall ist. Man sollte sich also selbst treu bleiben. Und: Die Kinder nicht vergessen. Das ist an Männer wie Frauen gerichtet. (lacht)

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