Handball - Marcel Schiller im Interview: "Kobe Bryant war eine riesengroße Inspiration"

Marcel Schiller ist in der aktuellen Form Deutschlands bester Linksaußen.
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Spieler des Monats in der Bundesliga, Spieler des Turniers bei der Olympia-Qualifikation am vergangenen Wochenende in Berlin: Marcel Schiller ist der Mann der Stunde im deutschen Handball. Im Interview mit SPOX spricht der Linksaußen von Frisch Auf Göppingen über seinen so wichtigen Buzzerbeater gegen Schweden, Nervenkitzel und sein Idol Kobe Bryant.

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Außerdem erklärt der 29-Jährige, warum Bundestrainer Alfred Gislason für das DHB-Team ein Segen ist, wo Deutschland im internationalen Vergleich aktuell steht und warum er Uwe Gensheimer einmal nach Tipps gefragt hat.

Herr Schiller, die Olympia-Qualifikation ist geschafft und damit der Worst Case für den deutschen Handball abgewendet. War das der größte Druck, den Sie bislang in Ihrer Karriere verspürt haben?

Marcel Schiller: Schwer zu sagen. Wenn ich in meinem Fokus drin bin vor einem Spiel, ist es mir egal, ob es ein Bundesliga-Spiel ist oder jetzt die Olympia-Quali. Ich weiß nicht, ob es anders ist, wenn ich mal ein Spiel um eine Goldmedaille bestreite, aber ich sehe es in erster Linie als ein Handballspiel, das Spaß machen sollte. Du musst dir unbedingt eine gewisse Lockerheit bewahren, sonst kannst du keine gute Leistung bringen. Das gelingt mir eigentlich ganz gut. Dennoch wurden wir natürlich oft genug an die Bedeutung dieses Wochenendes erinnert und uns allen war klar, was für eine Katastrophe es wäre, wenn wir das nicht schaffen würden.

Für Sie als Sportler, aber auch für Handball-Deutschland insgesamt.

Schiller: Für einen Sportler gibt es nichts Größeres als die Olympischen Spiele, aber in diesem Fall wäre die Bedeutung ja weit darüber hinaus gegangen. Ein Scheitern hätte einen enorm negativen Effekt auf unsere ganze Sportart gehabt. Wir müssen darum kämpfen, unsere Sportart am Leben zu halten. Deshalb war es so wichtig, dass die WM stattgefunden hat und deshalb ist es so wichtig, dass wir in Tokio dabei sind. Auch für den Amateursport und die Jugend - die müssen wir bei der Stange halten. Wenn ich mir vorstelle, dass ich gerade an der Grenze zwischen der Jugend und dem Beginn des aktiven Sports stehen würde - das wäre eine Katastrophe. Aktuell ist es so, dass die Jungs kaum zum Trainieren kommen. Sobald es einen Coronafall gibt, muss die ganze Mannschaft richtigerweise ja gleich in Quarantäne. Zwei Wochen später geht es weiter, dann kommt vielleicht der nächste Fall. Im Moment überlegen es sich viele sicher zweimal, ob das alles noch so viel Sinn ergibt. Auch deshalb ist es so wichtig, dass wir den Handball hochhalten.

Schiller: "Ich scheue mich nicht, den letzten Wurf zu nehmen"

Wenn Sie gegen Schweden nicht kurz vor Schluss den Ausgleich machen, würden wir jetzt vielleicht ganz anders sprechen ...

Schiller: Das kann gut sein. Ich bin heilfroh, dass der Ball drin war. (lacht) Insgesamt glaube ich, dass wir uns im Vergleich zur WM vor allem in der Abwehr klar gesteigert haben. Wir haben eine deutlich bessere Abwehr gestellt und hatten in der Kombination dann auch bessere Torhüter-Leistungen - das hat bei der WM nicht so gut gepasst und war jetzt der Schlüssel zum Erfolg. Man sagt ja nicht umsonst, dass die Schlachten in der Abwehr entschieden werden. Wir haben auch bei der WM gute Leistungen im Angriff gezeigt, aber dort hatten wir vorne immer einen brutalen Druck, die Tore machen zu müssen, weil wir hinten so schlecht standen. Das war jetzt anders. Gerade gegen Schweden haben wir extrem stark verteidigt, als wir in Rückstand lagen. Jogi Bitter hat dann noch ein paar freie Würfe weggenommen und uns einen extra Push gegeben, das war am Ende entscheidend für das Comeback gegen Schweden und die erfolgreiche Qualifikation insgesamt.

Sie sind ja ein großer NBA-Fan, Ihr Treffer gegen Schweden war eine Art Buzzerbeater. Woher nehmen Sie die Ruhe für diese Situationen in der Crunchtime?

Schiller: Ich stehe auf diesen Nervenkitzel. Mir ist es auch egal, was bei meinem Wurf auf der Anzeigetafel steht. Ob es die erste, zehnte oder 60. Minute ist. Früher habe ich mir da vielleicht mehr Gedanken gemacht. So nach dem Motto: Oh, nein, den muss ich jetzt aber machen. Das ist heute anders. Ich verspüre da keine Angst. Wenn ich auf den Torwart zuspringe, will ich einfach nur das Tor machen. Ich habe mal in der A-Jugend einen wichtigen Siebenmeter verworfen in einem Halbfinale. Im Finale ging es wieder ins Siebenmeterwerfen und mein Trainer wollte nicht, dass ich nochmal werfe. Aber ich habe gesagt: Lass mich werfen, ich hau den rein. Aber manchmal geht es auch schief und daran kann man auch wieder wachsen. Eine Woche vor der Olympia-Quali haben wir mit Göppingen bei den Löwen gespielt und ich habe kurz vor Ende einen Konter verworfen, der uns fast noch den Sieg gekostet hätte. Aber das passiert. Dann analysiere ich, was ich falsch gemacht habe und versuche, es beim nächsten Mal besser zu machen. Ich würde mich aber nie scheuen, den letzten Wurf wieder zu nehmen.

Marcel Schiller hat sich mit dem DHB-Team für die Olympischen Spiele qualifiziert.
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Marcel Schiller hat sich mit dem DHB-Team für die Olympischen Spiele qualifiziert.

Schiller: "Steph Curry ist mein absoluter Lieblingsspieler"

So wie es Ihr großes Idol, wegen dem Sie in Göppingen sogar die 24 tragen, auch immer gemacht hat.

Schiller: Richtig. Kobe Bryant war mein großes Idol und eine riesengroße Inspiration. Kobe war jemand, der das Spiel so sehr geliebt und alles dafür getan hat, um erfolgreich zu sein. Und in der Crunchtime hat er die entscheidenden Würfe genommen und oft getroffen, auch wenn er vorher 0/10 aus dem Feld war. Ich verliere erst, wenn ich aufhöre, zu werfen. Das war sein Motto.

Ganz lässt es sich aber nicht auf den Handball übertragen.

Schiller: Wenn ich eine 0/10-Quote habe, stehe ich nicht mehr auf dem Feld, schon gar nicht als Außen. (lacht) Aber Kobe hatte diesen Killerinstinkt und ich habe versucht, mir etwas Ähnliches für mein Spiel über die Jahre zu erarbeiten. Selbst wenn ich ein paar Siebenmeter verworfen habe, habe ich so viel Erfahrung und Selbstbewusstsein, um mich sicher zu fühlen und den Siebenmeter in der letzten Sekunde wieder zu nehmen. Und wenn er nicht drin ist, muss ich das eben dann auf meine Kappe nehmen, das ist einfach so.

Sind Sie eigentlich immer noch Lakers-Fan aus alter Kobe-Verbundenheit?

Schiller: Nein, das hat schon in der Endphase von Kobe, als er mit seinem Achillessehnenriss lange raus war, abgenommen. Zu Kobes Hochzeiten war ich absoluter Lakers-Fan, aber bei mir hängt das sehr mit Spielern zusammen, mit denen ich mich identifizieren kann. Und in den letzten Kobe-Jahren kam dann schon ein Mann namens Steph Curry ums Eck. Wie er Basketball spielt, hat mich vom ersten Moment an fasziniert. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich so eine gewisse Verbindung zu mir und dem Handball herstellen kann, wenn ich an die Geschwindigkeit oder an seine Trickwürfe denke. Seine Zirkus-Layups oder auch seine tiefen Dreier waren ja im Endeffekt alles Trickshots. Wie er mit seinem Stil den Basketball verändert hat, ist Wahnsinn. Steph ist mein absoluter Lieblingsspieler.

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