"Ich war von Manuel Neuer enttäuscht"

Von Interview: Alexander Maack
Benjamin Kirsten verlängerte im Juni 2012 seinen Vertrag bei Dynamo Dresden bis 2015
© Imago

Schon wegen seines Vaters Ulf ist Benjamin Kirsten eng mit Dynamo Dresden verbunden. Im Interview spricht der Torwart über Auswärtsfahrten als Dynamo-Fan, sein Fast-Karriereende und verrät, warum ihn die Wahrnehmung seines Klubs traurig macht.

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SPOX: Herr Kirsten, Dynamo Dresden hat aus den ersten drei Saisonspielen vier Punkte geholt. Dabei waren die Erwartungen nach der guten Vorbereitung riesengroß. Sind Sie zufrieden mit der Ausbeute?

Benjamin Kirsten: Wir hatten mit Manchester City und West Ham zwei Hochkaräter, die eine gewisse Klasse haben und haben die Spiele gut über die Bühne gebracht. Leider hat es dann zum Start nicht ganz so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben. Aber so ein Rückschlag ist für das Umfeld auch ein Zeichen, dass Vorbereitungsspiele kein Gradmesser für den Ligabetrieb sind. Als Spieler müssen wir realistisch bleiben.

SPOX: Hat das Transfer-Hick-Hack um Mickael Pote die Mannschaft belastet?

Kirsten: Verhandlungen um Spielerverträge und Transfers gehören im Fußball dazu. Wir sind mit einem gelernten Stürmer ins Trainingslager gefahren und wussten, dass wir nach dem Abgang von Zlatko Dedic noch einen Stürmer brauchen. Das Mickael jetzt bleibt, kann für uns nur ein Gewinn sein.

SPOX: Beim letzten SPOX-Interview standen Sie kurz vor dem Aufstieg in die 2. Liga. Erst kürzlich haben Sie Ihren Vertrag bis 2015 verlängert. Gab es auch interessante Angebote von anderen Vereinen?

Kirsten: Es gab konkrete Angebote. Aber ich habe von Anfang an klar signalisiert, dass ich in Dresden bleiben möchte. Ich habe schon ein Wahnsinnsangebot ausgeschlagen, als wir aufgestiegen sind, weil ich meinen Weg weiter führen wollte. Ich will nie den Verein verlassen, weil ich irgendwo mehr Geld verdiene.

SPOX: Ihre Verbindung zum Verein ist sehr eng. Sie haben zwischenzeitlich sogar die Jugend-Torhüter trainiert.

Kirsten: Das war nach dem Aufstieg in die 2. Liga zeitlich nicht mehr möglich. Leider ist mittlerweile auch kein einziger von ihnen mehr da. Sie spielen alle im Nachwuchs von Bundesliga-Vereinen. Man muss gucken, dass man den Jungs auch klar macht, dass Dynamo nicht irgendein Verein ist. Gerade in der Jugend.

SPOX: Ist das in der ersten Mannschaft ähnlich? Immerhin stehen mittlerweile fünf Sachsen im Kader.

Kirsten: Marcel Franke, Toni Leistner, Robert Koch, Sebastian Schuppan, ich - stimmt. Obwohl hier mehr Wert darauf gelegt wird, dass es echte Dresdner sind. Die Spieler aus der Region kennen sich natürlich gut aus, als Mannschaft geht man auch mal abends weg. Ich bin ein bisschen ruhiger geworden, war aber auch früher eher der Spieler, der in der Sportsbar ein Bier getrunken hat.

SPOX: War die Integration bei Ihnen noch schwerer?

Kirsten: Ich habe damals das Glück gehabt, dass Maik Wagefeld mir unter die Arme gegriffen hat. Ich habe sogar ein paar Mal bei ihm übernachtet. Dafür bin ich ihm unheimlich dankbar, weil ich das erste Mal außerhalb meines Elternhauses war.

SPOX: Mittlerweile sind Sie eines der Aushängeschilder des Vereins. Das erinnert an Kevin Großkreutz bei Borussia Dortmund oder Manuel Neuer in seiner Schalker Zeit. Sehen Sie da Parallelen?

Kirsten: Ich habe mit Manuel Neuer in der Jugend viel zusammen gespielt. Ich muss sagen, ich war von ihm enttäuscht, dass er den Schritt nach München gemacht hat. Er hätte auf Schalke eine Situation erreichen können wie Iker Casillas bei Real Madrid. Ich kann mich nicht in den Block reinstellen und "Scheiß irgendwas" rufen und dann später dahin wechseln. Du baust dir etwas auf und reißt es mit einem Mal ein. Deswegen muss man sich manchmal auch auf die Zunge beißen und den schwierigeren Weg gehen. Ich habe meinen Vertrag um drei Jahre verlängert, weil ich so etwas nicht darstellen wollte. Deswegen ist es auch schwer, mich mit Manuel Neuer zu identifizieren.

SPOX: Apropos Block: Da standen Sie früher selbst bei Dresdner Auswärtsspielen.

Kirsten: Der Verein hat mich in meinen Kindheitsjahren nie losgelassen. Das war schwierig, als der Verein sehr tief in der Versenkung verschwand und nur durch die Fans am Leben geblieben ist. Der K-Block, also die Stehplätze im Dresdner Stadion, ist leider von der Strecke für mich etwas zu weit gewesen. Ich bin froh, dass ich - als ich alt genug war - auf die Auswärtsfahrten mit durfte. Das hat mich geprägt.

SPOX: Wie war denn das Gefühl, als Sohn des Vereinsidols Ulf Kirsten mit den Fans herumzureisen?

Kirsten: Es gab immer einen Unterschied zwischen Leverkusener und Dresdner Fans. In Leverkusen dachten die Leute immer: "Der macht das nur, weil sein Vater hier spielt." Bei den Dynamo-Fans habe ich mich gefühlt wie einer von ihnen. Man geht in den Block rein und all das, was immer negativ dargestellt wird, deckt sich nicht mit dem, was man da erlebt.

SPOX: Also ärgern Sie sich über die öffentliche Wahrnehmung Ihres Klubs?

Kirsten: Was heißt ärgern? Es macht mich traurig. Jeder Verein in ganz Deutschland hat Probleme damit. Ich kann mich an ein A-Jugend-Spiel von Dortmund erinnern, da gab es 100 Festnahmen. Fakt ist eins: Es gibt keinen Zweitligisten, der auswärts so viele Fans mitbringt wie wir. Vielleicht sollte man sich auf die schönen Dinge ein bisschen mehr konzentrieren als immer auf die negativen.

SPOX: Ein positives Erlebnis dürfte für Sie gewesen sein, als Sie der Capo in die Kurve gerufen hat.

Kirsten: Das war Balsam nach meiner langen Verletzungsphase. Natürlich hat der Trainer das nicht ganz so euphorisch aufgefasst, unsere beiden anderen Torhüter waren verletzt. Ich hätte mir das aber nicht nehmen lassen. Das stellt für mich die Verbindung zwischen Fans und Mannschaft dar. Wenn ich das verlieren würde, könnte ich nicht mehr Fußball spielen.

SPOX: Sie hatten im Sommer zuvor Ihren Vertrag verlängert, waren aufgestiegen und fielen dann lange aus. Wie schwer war die Zeit für Sie?

Kirsten: Wichtig war zu der Zeit, wieder schmerzfrei spielen zu können. Die Schambeinentzündung war so weit fortgeschritten, dass ich ernsthafte Bedenken hatte, sie nie mehr loszuwerden. Es war die Hölle. Jeder Ball wie ein Blitzschlag, da kriegt man einfach Angst. Ich war sieben Wochen in der Reha und hatte nicht den kleinsten Fortschritt.

SPOX: Nach vierzehn Wochen konnten Sie dann endlich die Reha verlassen.

Kirsten: Meine Frau hat mir unheimlich geholfen in der Zeit. Ohne sie hätte ich das nicht so gut überstanden. Schon im Oktober 2010 hätte ich fast aufgehört. Ich war in einem Loch, nachdem ich gegen Sandhausen die große Chance hatte, Nummer eins zu werden und zwei Fehler gemacht habe, die zum Tor führten. Wir haben 1:4 verloren. Ich habe auf ihren Rat hin viele Sachen geändert. Ich habe angefangen, anders über Training und Einstellung zu denken.

SPOX: Mittlerweile haben Sie auch eine Tochter. Hat Sie das zusätzlich verändert?

Kirsten: Ich bin fokussierter. Das ist eine unheimliche Verantwortung, die ich aber sehr gerne habe. Ich bin froh, dass sie nach meiner Frau kommt und ruhig ist. Ich war ein brutales Schreikind. Die Kleine ist morgens oft wach und haut mir ins Gesicht, damit ich auch wach werde. Außerdem freue ich mich, dass ich ein Mädchen bekommen habe. Wenn ich mit dem Sohn anfangen müsste, Fußball zu spielen - das würde mich komplett aus dem Ruder werfen.

SPOX: Weil der Sohn dann auch in die Fußstapfen Ihres Vaters treten müsste?

Kirsten: Man muss sagen, dass mein Vater nicht nur in Dresden, sondern im gesamtdeutschen Fußball eine Lücke hinterlassen hat, die nicht zu schließen ist. Mein Vater wird überall herzlich empfangen - selbst bei Spielen vom 1. FC Köln. Das finde ich super. Wenn die Leute nach meiner Karriere mit mir so umgehen wie mit ihm, dann wüsste ich, dass ich alles richtig gemacht habe.

SPOX: Und sportlich?

Kirsten: Sportlich sind die Fußstapfen enorm groß. Ich habe versucht, die Erwartungen anders zu erfüllen. Das war in Dresden einfacher als in Leverkusen. Da war es automatisch so: Wenn du der Sohn von Ulf Kirsten bist, bist du automatisch superstark und der Beste und musst Stürmer werden. Alle Sachen zu erfüllen war nicht möglich.

SPOX: Sie...

Kirsten: Eins muss ich noch sagen: Was mir immer unheimlich leid für meinen Vater tut, ist, dass er nie Deutscher Meister geworden ist. Ich habe meinen Vater zweimal weinen sehen: Einmal nach Unterhaching und einmal nach seinem Abschiedsspiel. Wenn ich's könnte, würde ich meine Karriere dafür hinschmeißen, dass Papa Deutscher Meister wird.

SPOX: Ein Erfolg des Sohnes würde Ihren Vater sicher auch glücklich machen. Welche Schlagzeilen würden Sie gerne mal über sich selbst lesen?

Kirsten: Ich habe so viele Ziele, die ich gerne noch in der Zeitung lesen würde. Jetzt bin ich 25, bis 37 will ich spielen. Heißt: "2024 - Benjamin Kirsten ist Rekordspieler von Dynamo Dresden". Die zweite: "Benjamin Kirsten unterschreibt Rentenvertrag", und "SG Dynamo Dresden steigt in die erste Liga auf".

Benjamin Kirsten im Steckbrief

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