Vom Mourinho-Juwel zum Provinzkicker: Die wundersame Reise des Gedson Fernandes

Von Fatih Demireli
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Gedson Fernandes (23) spielte einst mit Joao Felix und Co. bei Benfica und war Jose Mourinhos erster Transfer bei Tottenham Hotspur. Heute spielt der Portugiese in der türkischen Provinz. Das Ergebnis einer höchst wirren Transfergeschichte.

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Es gibt die eine oder andere interessante Ablösesumme, die sich in den Fußball-Geschichtsbüchern verewigt haben. Da sind die 15 Kilo Wurst, die der rumänische Viertligist Regal Hornia dem Erstligisten UT Arad versprach, wenn sie dafür Stürmer Marius Cioara bekommen. Arad ging das Geschäft ein.

Für 75 Kilo Schrimps wechselte Kenneth Kristensen einst vom norwegischen Drittligisten Vindbjart zu Flekkeroy IL. Kristensen liebte die Meeresfrüchte aus Flekkeroy und setzte seinen Wechsel dorthin durch. Vindbjart verlangte als Ablöse so viele Schrimps wie das Körpergewicht des Stürmers. Das war für Flekkeroy kein Problem.

Es gibt auch Pizza, Melonen oder andere Lebensmittel, die den Besitzer wechselten, wenn es um Spielerwechsel ging und Mittel für eine monetäre Ablöse nicht zur Verfügung standen. Doch bei all diesen Transfers ging es nicht um Spieler, bei denen man absehen konnte, dass sie eines Tages eine Megakarriere hinlegen werden.

Der Wurst-Deal in Rumänien hatte beispielsweise zu Folge, dass Cioara aufgrund der ganzen Hänseleien nicht nur den Fußball hinter sich ließ, sondern auch gleich das Land. Er wanderte nach Spanien aus und wurde angeblich Landwirt.

250 Euro und 250 Bälle für Gedson Fernandes

Für Gedson Fernandes gab es beim Wettbieten zwischen den Lissaboner Topklubs Sporting und Benfica im Jahr 2009 auch nicht viel Geld. 250 Euro war das letzte Gebot an den SC Frielas, der aber nicht ganz zufrieden war. Also legte Benfica noch 250 Fußbälle drauf, damit die Jungs aus dem Outback Lissabons vernünftig trainieren können. Der Deal stand.

Wahrscheinlich werden sie sich in Frielas spätestens zehn Jahre später in den Hintern gebissen haben. Denn der Junge, der einst mit seiner Familie aus Sao Tome und Principe, einem Inselstaat im Golf von Guinea, nach Portugal auswanderte und in Frielas das Kicken lernte, spielte Champions League, Nationalmannschaft und bald dann auch Premier League.

Im Winter 2020 kontaktierten nachweislich gleich mehrere Klubs Benfica, um sich die Dienste des damals 19 Jahre alten Gedson zu sichern. Chelsea, Manchester United, West Ham United, wohl auch Arsenal. Das Rennen machte dann Tottenham Hotspur.

Gedson Fernandes war der erste Transfer Jose Mourinhos als Spurs-Trainer. 18 Monate Leihe und eine Kaufoption über 50 Millionen Euro. Dass Gedson gerade von Pini Zahavi zu Jorge Mendes wechselte, half Mourinho sicherlich beim Zuschlag. Daniel Levy, der ja sonst etwas knauserig daherkommt, gefielen die Konditionen.

Jose Mourinhos erster Tottenham-Transfer: Gedson Fernandes
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Jose Mourinhos erster Tottenham-Transfer: Gedson Fernandes

Die Kollegen heißen nicht mehr Harry Kane und Heung-Min Son

"Er ist genauso hochgeschätzt wie Joao Felix", schrieb die Times damals über Gedson, der an der Seite von Wunderknabe Felix, der später für viel Geld zu Atletico Madrid wechselte, bei Benfica die Herzen höher schlugen ließ. Die Experten gratulierten Mou für dessen Riecher.

Heute, im Februar 2022, hat Gedson Fernandes die Arme verschränkt und schaut zu, wie die Kollegen ihre Übungen im Training machen, um es ihnen gleich nachzumachen.

Die Kollegen heißen aber nicht Harry Kane, Heung-Min Son oder Lucas Moura und auch nicht Joao Felix, Salvio oder Ruben Dias, sondern Joel Pohjanpalo, Bryan Dabo oder Eren Albayrak. Es sind seine Kollegen bei Caykur Rizespor, dem Tabellenachtzehnten der türkischen Süper Lig.

Caykur, wer?

Was macht ein ehemaliger Spieler aus der Benfica-Schule, um den sich vor zwei Jahren die englischen Topklubs sowie Milan und Co. bemühten, in der nordöstlich-türkischen Provinz?

Berater ruft in Rize an: "Willst du Gedson Fernandes haben?"

Bevor zu viel Drama aufkommt und man Mitleid wie beim Wurst-Mann Cioara hat, muss man wissen, dass der Aufenthalt am östlichen Schwarzen Meer für Gedson zeitlich begrenzt ist. Es ist das Ergebnis einer höchst wirren Transfer-Geschichte, die einen 23 Jahre alten, immer noch hochveranlagten Spieler zu einem Klub führte, der selbst sein Glück kaum fassen kann.

Hamza Hamzaoglu, vor wenigen Tagen noch Trainer in Rize, fragte den Klub-Präsidenten Tahir Kiran, ob es sich wirklich um Gedson Fernandes handelt, der da angeflogen kommt. Sämtlichen Fußball-Interessierten erging es in der Türkei nicht anders.

Kiran, ein recht erfolgreicher und extrovertierter Geschäftsmann, bekommt das Grinsen nicht aus dem Gesicht, wenn er über den Gedson-Deal spricht: "Wir haben einen der größten Transfers der Saison perfekt gemacht." Eines Abends war Ahmet Bulut am Telefon und fragte Kiran: "Willst du Gedson Fernandes haben?" "Ich sagte natürlich zu", so Kiran.

Ahmet Bulut ist einer der erfolgreichsten Spielervermittler im türkischen Fußball. Fast jeder große Deal in- und oder aus der Türkei läuft über seinen Tisch. Der Mann, der mit drei Jahren nach Villingen-Schwenningen zog und dort aufwuchs, ist der Partner von Jorge Mendes. Eigentlich wollte er im Winter den Wechsel Gedsons zu Galatasaray perfekt machen.

Bei Galatasaray wurde er zum Liebling

Nachdem der Mittelfeldspieler bei Tottenham den Durchbruch nicht schaffte, brach Benfica die Leihe ein Jahr später ab und verlieh den Mittelfeldspieler weiter zu Galatasaray. Unter Fatih Terim trumpfte Gedson auf, spielte eine beeindruckende Rückserie und wurde in kürzester Zeit zum Liebling eines sonst sehr kritischen Publikums.

Als Galatasaray im Sommer wegen einer weiteren Leihe anklopfte, verlangte Benfica fast 20 Millionen Euro Ablöse. Ein Ding der Unmöglichkeit für die Türken. Gedson blieb in Lissabon, spielte dort aber so gut wie nie und ließ sich, um seinen Wechsel zu Galatasaray zu forcieren, in Gala-Klamotten ablichten und postete diese bei Instagram.

Im Winter startete Galatasaray einen neuen Versuch, aber diesmal fehlte in Fatih Terim die treibende Kraft hinter dem Transfer. Nicht nur, dass Gedson ein Wunschspieler des inzwischen entlassenen Terims war, sondern auch dessen hervorragendes Verhältnis zu Benfica-Boss Rui Costa machten den Wechsel nun kompliziert. Galatasaray bot zwar inzwischen auch eine Ablöse, aber immer noch zu wenig für Benfica.

Bulut sagte Ende Januar: "Die Gespräche mit Galatasaray sind zum Erliegen gekommen. Wir reden jetzt mit anderen Klubs." Er rief bei Besiktas an, das schon im Sommer Interesse hatte.

Das Problem: Besiktas hat weder Platz für einen weiteren Ausländer im Kader, weil nur 14 gemeldet werden dürfen. Noch hat der aktuelle Meister keine Kapazitäten in der vom Verband festgelegten Ausgabelimits für Transfers. Aber Besiktas präsentierte eine Lösung: Der Klub zahlt sechs Millionen Euro Ablöse für 50 Prozent der Transferrechte ab Sommer. Benfica ging den Deal ein, hatte aber Gedson immer noch auf der Gehaltsliste.

Auch dafür gab es eine Lösung. Ein türkischer Klub, der Geld für das Gehalt Gedsons bis Sommer und einen Ausländerplatz frei hat, springt ein und hält den Jungen fit. Da kam Caykur Rizespor ins Spiel.

"Wir werden aus Gedson das Wasser rauspressen"

"Wir haben mit dem Besiktas-Deal nichts zu tun, wir haben direkt mit Benfica gesprochen, dann Gedson gefragt und uns mit beiden geeinigt", sagt Präsident Kiran. Am nächsten Morgen schickte er einen Privatjet samt Vorstandsmitglieder nach Lissabon, um Gedson abzuholen. Gedson wurde mit einem Glas Çay, dem türkischen Tee, der vornehmlich in Rize wächst, präsentiert. "Rize-Fans, ich komme", schickte Gedson voraus.

Doch warum machte er da mit? Er hätte bei so vielen ordentlichen Ligen und Klubs mit einem bestimmten Niveau genauso Spielpraxis sammeln können. Warum also Rize, wo bei allem Respekt Spielniveau und Infrastruktur nicht als große Prunkstücke gelten.

Gedson versteht die Aufregung nicht: "Ich bin jetzt ein Spieler von Rizespor. Sie haben das beste Angebot gemacht. Ich möchte mich beim Präsidenten bedanken, der sich um mich besonders gekümmert hat." Und sonst? "Ich mag die Farben des Rize-Trikots." Irgendeine Nachricht an die Besiktas-Fans? "Nein, ich habe keine Nachricht."

Dass er seit einem halben Jahr nicht spielt, lässt sich Gedson bei seinen ersten Einsätzen kaum anmerken. Die beste Laufleistung, die meisten Zweikämpfe gewonnen, ein Assist hat er auch schon geliefert. Am kommenden Wochenende kommt es nun zum Duell mit Galatasaray. Mit dem Klub, zu dem er eigentlich gerne gewechselt wäre.

Gala-Präsident Burak Elmas erklärte, dass man im Mittelfeld keinen allzu großen Bedarf hatte und daher aus den Gesprächen früh ausgestiegen sei. Dennoch sickerte durch, dass - als erste Informationen zum Besiktas-Angebot auftauchten - Galatasaray-Funktionäre bei Besiktas mitternachts anriefen, um nachzufragen, ob die Rivalen wirklich interessiert seien. Da war der Transfers aber schon längst unter Dach und Fach.

Bei Besiktas will sich Gedson im Sommer wieder ins Rampenlicht bringen. Um ihn herum wollen die Schwarzen Adler eine Mannschaft aufbauen.

Bis dahin spielt er aber in Rize. "15 Spiele gehört er uns. Wir werden aus Gedson das Wasser rauspressen", sagt Rize-Boss Kiran und fügt an: "Wer weiß, vielleicht bleibt er ja länger." Dafür braucht es dann aber mehr als 250 Bälle oder 15 Kilo Wurst.