Der Absturz des FC Sevilla: Vom "Best of the rest"-Klub zum Abstiegskandidaten

Von Constantin Eckner
International, Primera Division, FC Sevilla
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Der FC Sevilla ist europaweit bekannt als mehrfacher Gewinner der Europa League und als Emporkömmling aus dem Süden Spaniens, der stets einen Weg gefunden hat, um erfolgreich zu sein. Doch diese Erfolgstage sind vorbei, denn die Andalusier versinken aktuell in einer Mischung aus institutionellem Chaos, schlechter Transferpolitik und wenig durchdachten Trainerwechseln. Es droht der Abstieg.

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Über ein Jahrzehnt hinweg war der FC Sevilla einer der prägendsten Clubs im europäischen Fußball. In der Champions League reichte es für die Andalusier nie zum großen Wurf, aber die Europa League wurde allein zwischen 2013 und 2020 viermal gewonnen. Sevilla wurde zum Inbegriff von "Best of the rest" - nicht gut genug, um Real Madrid und den FC Barcelona herauszufordern, aber bei weitem stark genug, um die zweite Liga Europas zu dominieren.

Diese Zeiten scheinen vorerst vorbei, denn Sevilla hängt aktuell in La Liga mittendrin im Abstiegskampf und könnte im schlimmsten Fall den Weg in die Segunda División antreten. Dank eines knappen 1:0-Erfolgs über den Vorletzten Cadiz am Samstag steht man nun einen Zähler über dem Strich, dennoch ist die Bilanz niederschmetternd: Von 18 Ligapartien wurden bislang ganze vier gewonnen.

Los Nervionenses wären nicht der erste große Traditionsverein in Spanien, der von einem Abstieg betroffen sein könnte. In der Vergangenheit erwischte es beispielsweise Espanyol, Celta und auch Stadtrivale Real Betis. Wenngleich die Durchlässigkeit im spanischen Spitzenfußball womöglich höher ist als anderswo, so stellt sich trotzdem jedes Mal die identische Frage: Wie konnte es dazu kommen?

Wenn wir aufs große Ganze schauen, so hat der Abgang von Unai Emery einst ein großes Loch hinterlassen und ein Trainerkarussell im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán ins Rollen gebracht.

Der Abgang konnte damals für etwas weniger als eine Saison durch die Verpflichtung von Jorge Sampaoli kompensiert werden, aber der Emery-Fußball geprägt durch starkes Pressing-Timing ging verloren und kam auch nicht wieder zurück. Darüber hinaus versank die Transferpolitik Sevillas in horrend teurer Planlosigkeit - gekrönt durch die Verpflichtung von Ganso 2016, der bedauerlicherweise seine Spielmacherqualitäten in Europa nie zur Schau stellen konnte.

International, Primera Division, FC Sevilla
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FC Sevilla Lopetegui brachte vorübergehende Stabilität

Allerdings konnte sich Sevilla mit der Ankunft von Julen Lopetegui 2019 wieder stabilisieren und ein weiteres Mal die Europa League gewinnen. Dass jedoch die Planlosigkeit innerhalb des Clubs nicht passé war, zeigte sich mit einem erneuten Trainerwechsel in der laufenden Spielzeit, denn Lopetegui wurde durch Sampaoli ersetzt - sprich: Sevilla entließ einen Cheftrainer, der für strukturierten Fußball steht, und holte dafür einen Intensitätsfanatiker. Der Kader passt allenfalls in Bruchteilen zu Sampaoli, der im Übrigen einst nicht im Guten den Club verließ, um den Cheftrainerposten der argentinischen Nationalmannschaft zu übernehmen.

In jedem Fall hat Sampaoli bislang noch keinen Erfolg und muss versuchen, zumindest den Abstieg zu verhindern, sofern er denn überhaupt bis zum Mai weiterwerkeln darf. Lopetegui hat es derweil in eine portugiesische Enklave - besser bekannt als Wolverhampton Wanderers - verschlagen, von wo aus er sich wohl nicht darüber wundern wird, was sich an seiner alten Wirkungsstätte in Andalusien zuträgt.

FC Sevilla: Monchi und Pepe Castro unter Druck

Die Krise des FC Sevilla vornehmlich auf die Trainer zu schieben, wäre in jedem Fall zu einfach. Der Club leidet unter institutionellen Schwächen auf allen Ebenen - angefangen beim zuletzt glücklosen Sportdirektor Monchi, der nach einer grausamen Transferperiode im Sommer viel Kredit verspielt hat. Die Erwartung war, dass der ehemalige Torwart Sevillas versuchen würde, im Januar die Fehler der jüngeren Vergangenheit so gut es geht zu bereinigen. Aber bislang blieben die wirklich großen Schritte aus - die Leihe von Loïc Badé ist alles, was zu Buche steht.

Das hat sehr wohl auch mit der Ebene über Monchi zu tun. Präsident Pepe Castro ist in interne Auseinandersetzungen verstrickt und konzentriert sich vor allem darauf, seinen Herausforderer José María del Nido abzuwehren. Dieser war bereits von 2002 bis 2013 Club-Boss und möchte im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán wieder das Sagen haben. Bei der Hauptversammlung am 29. Dezember wurde deutlich, dass Castro im Vergleich zu seinem Widersacher über keinen großen Rückhalt mehr verfügt. Unter diesen Vorzeichen lässt sich in den seltensten Fällen ein wankendes Schiff auf Kurs bringen, selbst wenn Castro schon aus politischem Selbsterhaltungstrieb nun Dialogbereitschaft gegenüber Del Nido signalisiert hat.

Zu allem Überfluss ist Sampaoli der womöglich am schlechtesten geeignete Trainer, um in einer solchen Situation auf dem Platz für Erfolgsstabilität zu sorgen. Der oftmals erratisch wirkende 62-Jährige hat in den ersten Wochen nach seiner Rückkehr im Oktober so gut wie jede taktische Variante ausprobiert, die ihm in den Sinn kam. Teils warf er in den Partien bereits nach 20 oder 30 Minuten taktisch wieder Vieles über den Haufen.

Jorge Sampaoli
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FC Sevilla: Kein klassischer Sampaoli-Underdog

Sampaoli feierte seine größten Erfolge - allen voran den Gewinn der Copa América mit Chile im Jahr 2015 - als Trainer von Underdog-Teams, die zu einhundert Prozent bereit waren, den Pressingfußball des Argentiniers umzusetzen. Dieser wellenartige Pressingstil, in welchem die zweite und dritte Linie frühzeitig nachschiebt und Momente des Durchpressens gang und gäbe sind, passt nicht zu jedem Team.

Sevilla trat jahrelang recht dominant auf, wenn wir mal ein paar Partien in der Champions League und gegen Madrid sowie Barça ausklammern. Deshalb passte Emery mit seiner Philosophie so gut zu den Andalusiern. Und selbst der kalkulierte Lopetegui-Fußball war phasenweise kompatibel mit der jahrelangen Identität Sevilla.

Sampaoli hingegen versucht nun etwas, das eigentlich sogar zu einem Abstiegskandidaten passen könnte - jedoch nicht zu Sevilla. Die angesprochene Durchlässigkeit im spanischen Spitzenfußball erlaubt es intelligent operierenden Vereinen wie Sevilla oder auch finanzkräftigen Clubs wie Atlético unter Federführung von charismatischen Cheftrainern, sich im Windschatten der beiden Giganten aus Madrid und Barcelona festzusetzen.

Aber diese Durchlässigkeit führt eben auch dazu, dass institutionelle Instabilitäten und Fehlentscheidungen im sportlichen Bereich ganz schnell dafür sorgen, dass ein Verein nach unten durchgereicht wird. Der FC Valencia kann ein Lied davon singen und der FC Sevilla erlebt es in diesen Tagen hautnah.

La Liga: Die aktuelle Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Barcelona1736:63044
2.Real Madrid1738:162241
3.Real Sociedad1828:181038
4.Atlético Madrid1827:161131
5.Villarreal1821:13831
6.Real Betis1719:14528
7.Osasuna1818:17128
8.Athletic Club1825:19626
9.Rayo Vallecano1824:22226
10.Mallorca1815:16-125
11.Girona1826:28-221
12.Valencia1725:20520
13.Espanyol1822:26-420
14.Almería1820:28-819
15.Sevilla1818:26-818
16.Getafe1816:25-917
17.Celta de Vigo1817:29-1217
18.Real Valladolid1813:28-1517
19.Cádiz1812:29-1716
20.Elche1812:36-246
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