Kommentar zu Carlo Ancelottis Rückkehr zu Real Madrid: Gemütlichkeit statt Aufbruch

Von Dennis Melzer
Carlo Ancelotti kehrt im Sommer zu Real Madrid zurück.
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Nach Zidanes Rücktritt holt Real Madrid Wohlfühlpapa Carlo Ancelotti zurück. Für einen Umbruch ist der Italiener nicht der Richtige. Ein Kommentar.

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Der 19. April dieses Jahres war für Carlo Ancelotti eigenen Angaben zufolge ein "seltsamer Tag". Der Grund: Zwölf Klubs hatten in jener Nacht offiziell vermeldet, sich künftig in einer so genannten Super League untereinander messen zu wollen. Er habe dies zunächst für einen "Scherz" gehalten sagte Ancelotti, seinerzeit als Everton-Trainer in Amt und Würden, einige Tage später, als der elitäre Wettbewerb schon wieder Geschichte war. "Diese zwölf Klubs lagen falsch. Die haben nicht nachgedacht", so das deutliche Ancelotti-Fazit.

Wenige Wochen später heuert Ancelotti ausgerechnet bei Real Madrid, einem der drei Hauptantreiber, an. Als sich die Anzeichen für eine Rückkehr des Italieners zu den Königlichen, die ihn 2015 erbarmungslos vor die Tür gesetzt hatten, verdichteten, mutete dies zunächst ebenfalls wie ein Scherz an. Ancelotti, der nette Papa Carlo, soll dem wankenden Weltklub wieder zu Ruhm verhelfen? Ein schwer vorstellbares Szenario.

Die Verpflichtung des Trainer-Routiniers erweckt den Anschein, als beschreite Präsident Florentino Perez den leichtesten aller Wege. Anstatt einen frischen, erfolgshungrigen Coach ans Ruder zu lassen, setzt er auf den alten, gemütlichen Seebär, der in den vergangenen Jahren nicht unbedingt als großer Modernisierer oder Erneuerer in Erscheinung getreten ist. Für Aufbruch oder Umbruch steht Ancelotti längst nicht mehr.

Genau dies wäre in Madrid aber vonnöten. Die Leistungsträger der goldenen Ära sind in die Jahre gekommen, in der jüngeren Vergangenheit wurde viel Geld für teure Spieler wie Eden Hazard in die Hand genommen, die sich später nicht selten als maßlos überteuerte Komparsen entpuppten. Für Kylian Mbappe oder Erling Haaland, zwei verheißungsvolle Stars, die immer wieder mit einem Wechsel zu Real in Verbindung gebracht werden, fehlt das nötige Geld.

Carlo Ancelotti kehrt im Sommer zu Real Madrid zurück.
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Carlo Ancelotti kehrt im Sommer zu Real Madrid zurück.

Real Madrid: Ancelotti schafft liebliches Wohlfühlklima

Wie Ancelotti, der Everton jüngst auf einen durchschnittlichen, wenn nicht sogar enttäuschenden zehnten Platz in der Premier League geführt hat, bei diesen Rahmenbedingungen Glanz und Gloria zurückbringen soll, erscheint völlig schleierhaft. Die Mannschaft hat einen Tritt in den Hintern nötig, braucht einen meinungsstarken, unliebsamen Schleifer mit neuen Ideen. Der 61-Jährige, der während seiner Laufbahn unbestritten Großes vollbracht hat, steht für das Gegenteil, schafft mit seiner Schlurfigkeit und besonnenen Art ein liebliches Wohlfühlklima.

Dieser Charakterzug mag 2013, als er seine erste Amtszeit bei den Blancos antrat, hilfreich gewesen sein, nachdem der spezielle, polarisierende Jose Mourinho von dannen gezogen war. Seinerzeit verfügte Real jedoch noch über die individuelle Klasse eines Cristiano Ronaldos oder eines Gareth Bales. In München, wo er 2016 auf Pep Guardiola gefolgt war, wurde ihm seine Lockerheit hingegen eher zum Verhängnis. Lasche Trainingseinheiten sorgten bei den Bayern-Akteuren für Unmut, vor allem die Führungsspieler stellten sich gegen ihn.

Perez hätte anstelle Ancelottis wohl lieber Inter-Meistertrainer Antonio Conte oder PSG-Coach Mauricio Pochettino ins Bernabeu gelotst, auch Klub-Legende Raul wurde als Zizou-Nachfolger gehandelt. Angeblich habe Conte aber zu hohe Forderungen gestellt, Pochettino scheint nun doch in Paris bleiben zu wollen, Raul traute man die große Aufgabe offensichtlich (noch) nicht zu. Großartige Forderungen wird Ancelotti nicht stellen, das passt Perez, der gerne den Alleinherrscher mimt und für fordernde, starke Nebenbuhler nicht viel übrighat, sicherlich gut in den Kram. Sehr bequem.

Der 1. Juni dieses Jahres war ein seltsamer Tag. Es war der Tag, an dem Real völlig überraschend einen Trainer zurückholte, der für Gemütlichkeit statt Aufbruch steht.

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