Joao Felix und seine absehbaren Probleme bei Atletico Madrid: Für Flop-Schlagzeilen dennoch zu früh

Von Oliver Maywurm
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© getty

Plakative Schlagzeilen sprechen nach Joao Felix' schleppendem Start bei Atletico Madrid schon vom Flop. Vollkommen verfrüht - aber es könnte so kommen.

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Natürlich kommen solche Aussagen a la "Das war doch klar" zwangsläufig ein bisschen scheinheilig daher. "Jetzt kann das ja jeder sagen", ist eine der allgemeingültigen Antworten, die man darauf erhält. Aber es ist eben schlichtweg so, dass man nach dem 126-Millionen-Megatransfer letzten Sommer leicht voraussagen konnte, dass das mit Joao Felix und Atletico Madrid wohl eher nicht klappen wird. Zumindest nicht auf Anhieb.

Warum wechselt ein so hoch veranlagter Kicker wie der damals 19- und inzwischen 20-jährige Portugiese ausgerechnet zu Atletico Madrid? An den fehlenden Alternativen kann es nicht gelegen haben, buhlte doch wahrscheinlich so gut wie jeder der Großen um ihn.

Klar, bei Atleti war die Aussicht auf einen sofortigen Stammplatz nach dem Abgang Antoine Griezmanns in Richtung Barcelona so rosig wie bei kaum einem anderen Top-Klub. Aber trotzdem: Warum zu Atletico? Warum zu Diego Simeone, bei dem defensive Disziplin auch für die Offensivspieler über allem steht? Bei dem Spielkultur und individuelles Können ganz, ganz weit zurückstehen hinter dem ergebnisorientierten Erfolg des Kollektivs.

Rafael van der Vaart, früherer Weltklasse-Mittelfeldspieler unter anderem in Diensten von Real Madrid und wie Felix fußballerisch herausragend, sagte in der AS zuletzt etwas Schlaues zur Situation des Top-Talents: "Felix ist beim falschen Klub und spielt unter dem falschen Trainer." Er führte aus: "Als sie ihn geholt haben, hatte ich das Gefühl, dass Simeone versuchen würde, es mit einem anderen Spielstil zu versuchen. Aber er ist weit davon entfernt. Ich verstehe, dass es wichtig ist, zu gewinnen. Aber wenn du so einen talentierten Stürmer wie ihn hast, musst du deinen Spielstil ein wenig seinen Bedürfnissen anpassen."

Joao Felix: Diego Simeone (noch) der falsche Trainer

Genau das kommt für Simeone eben nicht infrage. Logischerweise ist er deswegen kein schlechter Trainer - vielmehr machen ihn die Erfolge, zu denen er Atletico geführt hat, zu einem der zurecht angesehensten Coaches weltweit. Aber, wie van der Vaart auch betonte, er ist für Felix zum aktuellen Zeitpunkt (noch) der falsche Trainer.

Dass Felix das Potenzial hätte, auch einem Verein wie Atletico weiterzuhelfen, hat er ja durchaus angedeutet. In der Sommer-Vorbereitung etwa, als er beim 7:3 gegen Real oder beim Test gegen Juventus starke Leistungen zeigte. Oder zu Saisonbeginn, als ihm in seinen ersten sechs LaLiga-Spielen immerhin zwei Tore und ein Assist gelangen.

Mehr Zählbares - ihm sei natürlich zugutegehalten, dass er von Ende Oktober bis Ende November mit einem verstauchten Knöchel ausfiel und auch in den jüngsten beiden Pflichtspielen verletzt fehlte - kam seither außer den zwei Treffern bei den beiden 2:0-Siegen gegen Lok Moskau in der Champions League in 16 Einsätzen nicht mehr hinzu. Lässt man Felix' junge Jahre außer Acht und schaut nur auf die Zahlen, ist das für einen solch teuren Neuzugang natürlich zu wenig.

Felix mental noch nicht angekommen

Hat man die erst 20 Lenzen des Offensivmannes aber im Hinterkopf und zieht vor allem Vergleiche zu seinem Vorgänger Griezmann, relativiert das die Sache natürlich. "Die Position von Griezmann ist die, die am schwierigsten neu zu besetzen ist", betonte Anfang des Jahres auch Simeone.

Der Franzose kam zu Atletico, nachdem er schon vier erfolgreiche Erstligajahre bei Real Sociedad verbracht hatte, nachdem er mit Frankreich eine WM gespielt hatte. Griezmann war bereits 23, kannte das Land bestens, kannte die Liga. Und dennoch hatte selbst er, vom Spielertyp her Felix sehr ähnlich, seine Startschwierigkeiten in Madrid, blieb in seinen ersten neun Liga-Einsätzen für die Colchoneros torlos und kam auf lediglich einen Assist. So richtig in Fahrt war er dann erst in der zweiten Saisonhälfte.

Felix hat neben der Bürde der immensen Ablöse zudem das Problem, mental noch gar nicht wirklich angekommen zu sein im Erwachsenenfußball. Wie auch? Er hat noch keine WM gespielt, war bei seiner Ankunft in Madrid vier Jahre jünger als Griezmann. Felix mauserte sich erst vor gut einem Jahr überhaupt zum Stammspieler bei Benfica, hatte also erst eine halbe Saison Profifußball in den Knochen. Und wo er in seiner Heimat, in seinem gewohnten Umfeld, getragen von der Unbekümmertheit des Jüngsten, glänzen konnte, muss er sich anderswo natürlich erst zurechtfinden. Zumal das Niveau in LaLiga deutlich höher und gedrängter ist als in Portugal.

Joao Felix bei Atletico Madrid: Seine Rolle noch nicht gefunden

Seine Rolle im 4-4-2 von Simeone hat er noch keineswegs gefunden. Die hängende der beiden Spitzen zu sein, Angriffe in die gefährlichen Räume weiterzuleiten, trotzdem auch selbst torgefährlich zu sein und gleichzeitig immer das defensive Denken über alles zu stellen, immer nach hinten mitzuarbeiten - ganz schön viel Stoff, den er umsetzen muss. Und bis dato gelingt ihm das eben noch kaum, wohl auch wegen körperlicher Defizite.

Nun bereits Panikmache zu betreiben oder Felix - wie geschehen - in eine Flop-Elf der LaLiga-Hinrunde zu wählen, ist vollkommen unreflektiert und verfrüht. Dennoch sind die Zweifel daran, dass er wie Griezmann die Kurve kriegen und künftig ein wichtiger Spieler für Atletico werden kann, vollauf berechtigt.

Da wäre zum einen der Blick auf den grünen Rasen: Felix ist sicherlich sogar noch etwas veranlagter als Griezmann, hat ein wenig mehr Potenzial. Wie gesagt, sie ähneln sich, was ihre spielerische Intelligenz, was ihre Laufwege und Auffassung vom Spiel angeht. Aber der Portugiese ist wahrscheinlich der feinere Fußballer, derjenige der beiden, der noch mehr von diesem gewissen Etwas hat, das Offensivspieler auf höchstem Niveau auszeichnet.

Gleichzeitig ist Griezmann aber wohl der mannschaftsdienlichere Spieler. Oder besser formuliert: Er hat gelernt, die Möglichkeiten, sein Können in den Dienst des Teams zu stellen, besser auszuschöpfen. Eine Fähigkeit, die unter Simeone unabdingbar ist.

Joao Felix und Antoine Griezmann: Schüchtern vs. zugänglich

Und dann wäre da ja noch das Naturell außerhalb des Platzes. Griezmann ist zwar kein extrovertierter Lautsprecher, aber sehr zugänglich, offen, lebt sich in einer neuen Umgebung schnell ein. Ihm fiel es mutmaßlich leichter, sich mit Atletico zu identifizieren, weil er sich gut darauf einlassen konnte. Felix, ein introvertierter, sehr zurückhaltender Charakter, ist darin eben nicht so gut.

Zumal er mit seinen jüngsten Aussagen die Vermutung nahelegt, dass er Geborgenheit vermisst: "Ich sehe jetzt, wie glücklich ich bei Benfica war", sagte er Anfang Januar zu BenficaPlay und formulierte nur ein halbes Jahr nach seinem Weggang schon Gedanken an eine Rückkehr: "Ich plane, eines Tages zurückzukehren und meine Spuren im Klub zu hinterlassen."

Vom sportlichen Potenzial her könnte Felix bei Atletico ganz sicher in Griezmanns Fußstapfen treten. Aber ob er mental dazu in der Lage ist, das Ruder herumzureißen? Noch dazu unter dem für seine derzeitige Situation falschen Trainer? "Jeder Spieler hat eine andere Persönlichkeit, jeder benötigt unterschiedlich viel Zeit", warb Simeone zuletzt eher halbherzig um Geduld mit Felix. Er versuche "jedem neuen Spieler die Atletico-Erfahrung mit Enthusiasmus und Emotionen näherzubringen. Weil sie neben ihrem Talent auch Engagement brauchen. Wenn dieses Atletico-Gefühl auftaucht, kommt der Rest wie von selbst."

Ungewollt sagte Simeone damit, dass die große Zeit des Joao Felix unter ihm bei Atletico vielleicht nie kommt.

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