AC Parma in den 1990er-Jahren: Als Buffon, Thuram, Crespo und Co. Europa aufmischten

Im Höhenrausch: Fabio Cannavaro (oben) feierte in den 1990er Jahren seine ersten großen Erfolge mit dem AC Parma, ehe er bei Juventus und Real Madrid zum besten Innenverteidiger der Welt wurde.
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Bevor es Hipster gab, war die Associazione Calcio Parma sowas wie die Mutter aller Hipsterklubs: Vom Aufstieg und Fall eines der spannendsten - und erfolgreichsten - Teams der 1990er-Jahre.

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Vielleicht eine kleine Rubrik für das nächste Fußball-Kneipenquiz: Ich sage Dir, wo und wann ich geboren bin - und Du sagst mir, wer mein Vater ist und wo er damals kickte. Die schwerste Frage zuerst:

  • Leroy Sane, geboren 1996 in Essen: Vater Souleymane Sane, FC Lausanne-Sport.
  • Thiago, geboren 1991 in San Pietro Vernotico, Zusatzinfo Region Apulien: Vater Mazinho, US Lecce.
  • Marcus Thuram, geboren 1997 in Parma: Vater Lilian Thuram, AC Parma.

Nur wenige Wochen vor der Geburt seines Ältesten, heute spannender Bundesligastürmer in Diensten von Borussia Mönchengladbach, war Lilian Thuram von der AS Monaco in die norditalienische Genießerstadt Parma gewechselt. Zu einem Verein, der sich in einem ähnlichen Karrierestadium befand wie er selbst: Auf dem Weg zur absoluten Weltklasse.

Thuram war 1996 schon seit zwei Jahren Nationalspieler, ein präzise grätschender, geschmeidiger Innenverteidiger mit viel Gefühl in den flinken Füßen, aber er war eben noch lange nicht der Rekordspieler der Equipe Tricolore, der er später werden sollte - und auch noch nicht Welt- und Europameister. Das wurde er in Parma. Bei einem dieser aufregenderen Klubs jenes Jahrzehnts. Einem Klub, in dem der Fußball noch irgendwie romantisch und spektakulär war, in dem er aber eben auch endgültig seine Unschuld verlor.

Noch bevor es Hipster gab, war die Associazione Calcio Parma die Mutter aller Hipsterklubs. Ein Verein mit langer Tradition, aber ohne die großen Erfolge der Vergangenheit. Diese rufen ja gemeinhin auch Missgunst und historische Rivaliäten hervor. Auf den AC Parma konnten sich aber selbst eher flüchtige Fußball-Aficionados einigen, die zwar an den Goldenen Jahren der Serie A teilhaben, sich aber auch einfach aus Prinzip von der Heerschar der üblichen JuventusMilanInterNapoliRoma-Fans abgrenzen wollten.

AC Parma: Das Stadion Ennio Tardini war schon damals Vintage

Parma hatte ein Stadion, das schon damals als Vintage durchging (heute ist das Ennio Tardini eher Ruine). Die Boys´77, eine der ältesten und kreativsten Ultragruppen Italiens, sorgten auch auswärts für Stimmung und unterhielten sogar in Mailand eine Sektion. Die "Gialloblu" (Gelbblauen) trugen Trikots mit Querstreifen wie Celtic, als alle anderen auf Längsstreifen setzten.

In diesen übergroßen Leibchen von Umbro, Lotto, Puma oder Champion steckten Spieler wie beispielsweise Claudio Taffarell, Gigi Buffon, Fabio Cannavaro, Hristo Stoichkow, Filippo Inzaghi, Hernan Crespo, Lilian Thuram, Gianfranco Zola, Juan Sebastian Veron, Marcio Amoroso, Johan Micoud, Alberto Gilardino, Adriano. Spieler, die wirklich zu Weltstars wurden oder deren Namen zumindest danach klangen.

Schon in den 1990er-Jahren ein Vintage-Stadion: Das Stadio Ennio Tardini, Heimspielstätte des AC Parma.
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Schon in den 1990er-Jahren ein Vintage-Stadion: Das Stadio Ennio Tardini, Heimspielstätte des AC Parma.

Auch Arrigo Sacchi trainierte den AC Parma

In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre war der AC Parma noch in der Serie B, unterstützt vor allem von mehreren lokalen Gönnern. Eine Art Versuchslabor des modernen Calcio. Zdenek Zeman und Arrigo Sacchi, die Apologeten jenes modernen Calcio, durften dort der Welt ihre Raumdeckung, ihre Viererketten, ihr Forechecking, ihr 4-3-3 und 4-4-2 nahebringen.

Die Stars und das große Geld kamen erst nach dem Aufstieg. Calisto Tanzi, einer der reichsten Männer Italiens, Selfmade-Milliardär und Eigner des Milchgiganten Parmalat, übernahm 1990 45 Prozent des Klubs. Lange vor Red-Bull-Eigner Dietrich Mateschitz hatte Tanzi begriffen, dass er seine Marke mit Sport und Sportlern größer machen konnte.

In den 1970ern war Parmalat groß in die Formel 1 eingestiegen, als Hauptsponsor von Brabham, als persönlicher Kapperlsponsor von Niki Lauda und als Finanzier von Nelson Piquet. Die drei WM-Titel des Brasilianers hatten Parmalat auch in Südamerika groß gemacht. Im Fußball war das Unternehmen Mitte der 1980er schon als Hauptsponsor von Real Madrid aktiv.

Von 1985 bis 1987 Trainer des AC Parma: Arrigo Sacchi.
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Von 1985 bis 1987 Trainer des AC Parma: Arrigo Sacchi.

AC Parma: "Wie viel Milch verkaufen wir in Bogota?"

Als der AC Parma 1990 aufstieg, ging Tanzi in die Vollen. Zu Beginn schienen noch Marketinginteressen die Transferstrategie zu bestimmen. Den Wechsel des 1994 ermordeten Kolumbianers Andres Escobar soll Tanzi 1990 etwa noch mit der Frage "Wie viel Milch verkaufen wir in Bogota?" verhindert haben.

Stattdessen kam Torwart Claudio Taffarel aus dem Parmalat-Kernmarkt Brasilien. Doch je größer die Erfolge, desto mehr vertraute Tanzi den Fachleuten auf der Trainerbank und in der Scoutingabteilung.

Zeman und Sacchi hatten Jahre zuvor experimentieren dürfen, doch die Titel mit Parma gewannen andere: Nevio Scala beispielsweise, der mit einem deutlich konservativeren 3-5-2 mit Libero den ersten Aufstieg in die Serie A schaffte und die erste Coppa Italia gewann. Oder Sacchis Schüler und Ex-Parma-Profi Carlo Ancelotti bei seiner ersten Trainerstation. Alberto Malesani, ein Cruyff-Jünger, unter dem Parma 1998/1999 den spektakulärsten Fußball seiner Geschichte spielte und der nach seiner Zeit in der Emilia Romagna nie mehr etwas gewinnen sollte.

Mit Buffon, Thuram und Co.: Der AC Parma anno 2001.
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Mit Buffon, Thuram und Co.: Der AC Parma anno 2001.

AC Parma: Sieben Titel in den 1990er-Jahren

Sieben Pokale gewann der AC Parma nach dem Aufstieg im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrtausends. Über die gesamte Dekade stellte der Verein mit die besten und erfolgreichsten Mannschaften Europas. Parma gewann in diesem Jahrzehnt zweimal die Coppa Italia (1992, 1999 und dann 2002 noch einmal), den Europapokal der Pokalsieger (1993), zweimal den UEFA Cup (1995, 1999), jeweils einmal den italienischen (2000) und den europäischen Super Cup (1994).

"Wir haben diese kleine italienische Stadt von 200.000 Einwohnern auf die Weltkarten gesetzt", sagte Stürmer Hernan Crespo, der mit seinem 56-Millionen-Euro-Transfer zu Lazio Rom 2000 kurzzeitig zum teuersten Spieler der Welt avancierte.

Parma hätte mit etwas weniger Bewegung im Kader womöglich einige Titel mehr gewinnen können; Stoichkow oder Inzaghi blieben etwa nur eine Saison, Asprilla brachte irgendwann seine Trainer in Newcastle zur Verzweiflung, Zola wurde bei Chelsea zur Lichtgestalt. Thuram, Cannavaro und Buffon wurden später zu Stützen von Juventus und auf ihren jeweiligen Positionen als die besten ihres Fachs betitelt.

Zum Scudetto fehlte dem AC Parma die Konstanz

Doch gemeinsam war allen Mannschaften im Zeichen des Kreuzes (die "Crociati" ist ein weiterer Spitzname Parmas) der Hang zum Drama. Parma spielte in den goldenen Neunzigern meist einen direkten und schnellen, so gut wie nie langweiligen, herrlich unkonstanten Herzanfallfußball. Auf triumphale Siege gegen Milan und Juventus folgten oft uninspirierte Unentschieden gegen Bari und Piacenza oder vermeidbare Niederlagen gegen Sampdoria Genua und die Fiorentina.

In der Serie A ging der Dramaqueen so auf der Langstrecke irgendwann immer die Puste aus. Doch in den K.o.-Spielen - in den Partien, in denen Helden geboren werden - liefen die Spieler regelmäßig zur Höchstform auf. "Uns fehlte die mentale Ausdauer und die Durchhaltefähigkeit, um den Scudetto zu gewinnen. Aber in einem Spiel waren wir in der Lage, wirklich jede Mannschaft auf diesem Planeten zu schlagen", erinnerte sich Nevio Scala einmal.

Der Trainer mit dem schon damals lichten weißen Haarschopf führte Parma zum Aufstieg und zu den ersten Pokalen, ehe er sich nach einer Zwischenstation in Perugia zu seiner desaströsen Dortmunder Episode in der Saison 1997/1998 aufmachte. 2015 wurde Scala noch einmal Präsident von Parma Calcio. Dem zweiten Nachfolgeverein des AC Parma, das nach zwei Umbenennungen, einem Lizenzentzug und dem Absturz in die viertklassige Serie D nun wieder in der Serie A spielt. Dass die Geschichte des AC Parma nicht ohne Wirtschaftskrimi auskommt, versteht sich beinahe von selbst.

War Teil der besten Parma-Mannschaft aller Zeiten: Juan Sebastian Veron.
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War Teil der besten Parma-Mannschaft aller Zeiten: Juan Sebastian Veron.

Am Ende fehlen acht Milliarden Euro in der Parmalat-Bilanz

Als 2003 Calisto Tanzis multinationaler Konzern Parmalat mit dem größtmöglichen Knall pleiteging, schwante auch dem letzten Fußballfan, dass in der Stadt des Parmesans auch das Geld für die Stars zwar nicht auf Bäumen, aber höchstwahrscheinlich in den Bilanzen von Parmalat wuchs. Die Manager hatten über Jahre die Bilanzen frisiert, zum Zeitpunkt des Konkurses fehlten acht Milliarden Euro.

Tanzi wurde zu mehr als neun Jahren Haft verurteilt, doch der damalige italienische Industrieminister Antonio Marzano erwies dem Patron noch einen letzten Freundschaftsdienst: Per Gesetz wurde der Klub aus der Parmalat-Konkursmasse herausgelöst, nach einer Umbenennung in FC Parma ging es weiter. Doch die goldenen 1990er waren da schon längst vorbei.

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