Mit 35 "König" in Frankreich: Wie Burak Yilmaz die türkische Fraktion beim OSC Lille anführt

Von Oliver Maywurm
Burak Yilmaz mischt mit Lille die Ligue 1 auf.
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Burak Yilmaz wechselte mit 35 erstmals in eine europäische Top-Liga - und mauserte sich beim OSC Lille zum Anführer einer türkischen Fraktion.

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Vor einigen Jahren hätte man es erwartet, dass sich Burak Yilmaz mal in einer der Top-5-Ligen Europas ausprobiert. 2012 und 2013 zum Beispiel, als er jeweils Torschützenkönig der Süper Lig wurde und im allerbesten Fußballer-Alter war. Aber jetzt, mit 35? Zumal er bei Besiktas Kapitän war, seine Familie und Freunde in Istanbul hat. Eigentlich nicht.

"Ich hatte ein ordentliches Leben. Aber ich wollte mich noch ein letztes Mal unter Beweis stellen", erklärte Yilmaz vor einigen Wochen auf einer Pressekonferenz seinen Wechsel in die Ligue 1 zum OSC Lille. "Es ist eine Schande, dass er erst so spät in eine europäische Top-Liga gewechselt ist", sagt Cihan Cinar von Goal Türkei.

Es sich selbst und allen anderen noch einmal zu beweisen, das ist Yilmaz bis dato aber immerhin eindrucksvoll gelungen. Mit sechs Treffern ist er aktuell geteilter viertbester Torjäger der Ligue 1, hat zudem schon vier Assists geliefert und zuletzt in der Europa League per Doppelpack den 2:1-Sieg gegen Sparta Prag gesichert - obwohl er erst 13 Minuten vor Schluss eingewechselt wurde. Statt Top-Talent Jonathan David, der für 27 Millionen Euro aus Gent kam, ist es also Routinier Yilmaz, der die Lücke schließt, die im Sturmzentrum des LOSC nach dem Abgang von Victor Osimhen nach Neapel entstanden war.

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Burak Yilmaz in Lille: Nach einem Monat platzte der Knoten

Auf Anhieb lief es in Lille jedoch nicht für den türkischen Nationalspieler. "Ich muss zugeben, dass der erste Monat nicht einfach war", betonte er. "Es gibt zentrale Unterschiede zwischen dem Fußball in Frankreich und dem in der Türkei." So erklärte auch Lilles Trainer Christophe Galtier Ende September, dass man mit Yilmaz zunächst noch viele Video-Analysen machen musste, um ihn vermehrt ins Spiel zu integrieren. "Wie bei jedem Torjäger wird es besser werden, wenn er dann mal getroffen hat."

Bis dato war Yilmaz nämlich noch ohne Treffer für seinen neuen Klub aus dem Norden Frankreichs geblieben, bei dem er einen Vertrag bis 2022 unterschrieben hat. Am 5. Spieltag gegen Nantes platzte dann jedoch der Knoten, seitdem hat er sich in fünf von acht Liga-Partien in die Torschützenliste eingetragen.

Burak Yilmaz: Statistiken in Lille 2020/21

EinsätzeStartelfToreVorlagenSpielminuten
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Eine große Hilfe für die Eingewöhnung in Lille war für Yilmaz, dass er mit Rechtsverteidiger Zeki Celik und Spielmacher Yusuf Yazici auf zwei Landsmänner traf. "Natürlich habe ich mich im Vorfeld mit ihnen ausgetauscht", sagt er. "Sie haben nur Positives über den Verein berichtet. Ihre Aussagen haben meinen Wunsch nach einem Wechsel zu Lille bekräftigt."

In den vergangenen beiden Jahren haben Sportdirektor Luis Campos und Trainer Galtier also eine kleine türkische Fraktion in Lille aufgebaut. Eine, die entscheidenden Anteil daran hat, dass der LOSC nach 13 Spieltagen mit nur zwei Punkten Rückstand auf PSG auf Platz zwei steht. "Die Fußball-Fans in der Türkei sind sehr stolz auf diese Jungs. Das kann man allein schon an den Interaktionen bei Lilles Social-Media-Beiträgen über sie sehen", sagt Cihan Cinar.

OSC Lille: Schnäppchen Zeki Celic - Yusuf Yazici glänzt nach langem Anlauf

Celik kam 2018 als 2,5-Millionen-Schnäppchen vom Zweitligisten Istanbulspor. "Die vier großen türkischen Klubs (Fenerbahce, Galatasaray, Besiktas und Trabzonspor) hätten sich seine Dienste locker auch sichern können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich immer noch an den Kopf fassen, wenn sie daran denken, dass ein ausländischer Klub ihnen dieses Talent vor der Nase weggeschnappt hat", sagt Cihan Cinar.

Celik fand sich in Lille auf Anhieb zurecht, er verteidigt aggressiv nach vorne, hat ein herausragendes Tackling und ist auch fußballerisch stark, setzt mit klugen Pässen auch offensiv Akzente und schlägt präzise Flanken. Nicht umsonst waren im vergangenen Sommer Tottenham und Sevilla an dem 23-Jährigen interessiert, nicht umsonst ist er in der Nationalmannschaft die Stammbesetzung rechts hinten. "Luis Campos hat ihn schon sehr lange beobachtet", sagte Coach Galtier Ende 2018 über Celik, nachdem jener sich in kürzester Zeit unverzichtbar gemacht hatte. "Er redet zwar nicht allzu viel, aber er hat sehr hohe Ambitionen."

Bei Yazici lief der Start in Lille indes alles andere als reibungslos. Für 17,5 Millionen Euro holten die Franzosen den technisch hochbegabten Linksfuß im Sommer 2019 von Trabzonspor. Nach einem durchwachsenen ersten Halbjahr riss das Kreuzband, Yazici fiel lange aus.

Auch zu Beginn der laufenden Saison kam der 23-Jährige daher nur schleppend in Fahrt, spielte sich zuletzt aber immer mehr in den Fokus, schnürte in der Europa League gegen Sparta Prag und Milan gleich zwei Dreierpacks und traf in der Liga gegen Lorient doppelt. "Ich denke, Lille ist perfekt als Sprungbrett für ihn", sagt Cihan Cinar von Goal Türkei. "Wenn er gesund bleibt und seine Chancen bekommt, kann ihn nichts aufhalten."

OSC Lille: Top-Talent Mustafa Kapi komplettiert die Türkei-Fraktion

Trainer Galtier sagte kürzlich über Yazici: "Letztes Jahr haben wir viel mit ihm gearbeitet, fanden aber noch nicht so recht zusammen. Dann kam seine schwere Verletzung, die Corona-Pause und in der neuen Spielzeit startete das Team auch ohne ihn gut. Aber inzwischen hat er mir die optimale Antwort gegeben und gezeigt, dass ich auf ihn zählen kann." Und Burak Yilmaz ist sicher: "In den kommenden Wochen wird er sicherlich noch bessere Leistungen an den Tag legen."

Mit Mustafa Kapi hat Lille neben Yilmaz, Celik und Yazici sogar noch ein weiteres Mosaiksteinchen in seinem Türkei-Portfolio. Der Mittelfeldspieler gilt als eines der veranlagtesten Talente seines Landes, im Herbst 2016 sorgte er für Schlagzeilen, als er mit 14 Jahren in einem Testspiel für die erste Mannschaft von Galatasaray auflief.

Mit 16 durfte Kapi dann auch in der Süper Lig debütieren, letzten Sommer gab es zwischen dem mittlerweile 18-Jährigen und Galatasaray jedoch Unstimmigkeiten, weshalb er nach Lille wechselte. Cihan Cinar ist einerseits skeptisch: "Klar, er hat Geschichte geschrieben, als er mit 14 für Galas erste Mannschaft spielte und zeigte damit, dass er viel weiter war als andere Top-Talente in seinem Alter. Aber seitdem haben wir nicht mehr viel von ihm gehört."

Andererseits glaubt er, dass der Schritt nach Lille, wo er bis dato lediglich für die zweite Mannschaft zum Einsatz kam, der richtige sein könnte: "Bei Lille arbeitet man deutlich besser und lieber mit jungen Spielern als bei den vier großen türkischen Klubs. Teams wie Galatasaray oder Fenerbahce geben Talenten nur selten echte Chancen, weil es ihre Priorität ist, jedes Jahr die Meisterschaft zu gewinnen. Die Entscheidung, nach Lille zu gehen, könnte sich für Kapi also auszahlen. Aber er hat noch einen weiten Weg vor sich."

Burak Yilmaz würde es mit Sicherheit freuen, sollte auch Kapi bei Lille seine Spuren hinterlassen. Ihn, den Angreifer mit so enorm viel Erfahrung, der die Türkei zuvor nur für ein eineinhalbjähriges China-Abenteuer bei Beijing Guoan verlassen hatte, sich mit 35 nun doch noch in einer Top-5-Liga probiert. Und auch von Lilles Fans schon als "Kral", zu deutsch "König", gefeiert wird.

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