Boulaye Dia von Reims ist die Lebensversicherung im Abstiegskampf: Der Elektriker hat den Schalter gedrückt

Von Daniel Buse
Vom Elektriker zur Lebensversicherung von Stade Reims: Boulaye Dia.
© imago images / SPOX

Boulaye Dia ist die Lebensversicherung von Reims im Ligue-1-Abstiegskampf und aktuell sogar Führender der Torschützenliste in der Liga - vor Stars wie Kylian Mbappe oder Neymar. Das grenzt an ein Wunder, denn ein Internat eines angesehen Klubs hat Dia nie besucht. Zwei Jahre arbeitete er sogar nebenher als Elektriker. Ein Rückblick auf eine ungewöhnliche Fußballerkarriere.

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Welches Team stellt in der Ligue 1 den Torschützenkönig? Diese Frage war in den vergangenen Jahren leicht zu beantworten. Denn in sieben der letzten acht Spielzeiten hatte der Serienmeister Paris Saint-Germain den treffsichersten Akteur in seinen Reihen: Kylian Mbappe, Edinson Cavani wurden jeweils zweimal, Zlatan Ibrahimovic sogar dreimal Torschützenkönig in Frankreich.

Der Einzige, der die PSG-Phalanx durchbrechen konnte, war Lyons Alexandre Lacazette in der Saison 2014/15 - und damit auch kein kleiner Name. Aktuell aber ist es genau solch ein eher Unbekannter, der in der Ligue-1-Saison bislang die meisten Tore erzielt und damit aktuell die besten Chancen auf die Torjägerkrone hat: Boulaye Dia von Stade Reims.

Der 24-Jährige vom Abstiegskandidaten hat nach zehn Spieltagen acht Tore auf seinem persönlichen Konto - und damit mehr als Mbappe und Co. Mit seiner Ausbeute ist Dia für die Hälfte aller Reims-Tore verantwortlich und damit die personifizierte Lebensversicherung des Klubs aus dem Nordosten des Landes.

Dass es der in Frankreich geborene Senegalese überhaupt in die erste Liga geschafft hat, ist ein kleines Wunder. Und dass er nun die Torschützenliste anführt, gar ein großes.

Denn: Dia durchlief kein Jugendinternat eines angesehenen Vereins, arbeitete zwischendurch zwei Jahre lang als Elektriker und kickte noch 2018 in der vierten Liga. "Wenn man will, kann man auch", lautet sein Lebensmotto, wie sein Bruder Harouna France Football verriet.

Trifft aktuell wie am Fließband: Boulaye Dia von Stade Reims.
© PASCAL GUYOT/AFP via Getty Images
Trifft aktuell wie am Fließband: Boulaye Dia von Stade Reims.

Dia weiß schon früh, dass er Profi werden will

Dias Werdegang ist höchst ungewöhnlich. Als sechstes von sieben Kindern wuchs er nahe der Schweizer Grenze in Oyonnax in einfachen Verhältnissen auf. Genau wie seine älteren Brüder fing er auch an, Fußball zu spielen.

"Wir wussten, dass er nicht schlecht war, aber wir haben ihn geärgert, indem wir ihm gesagt haben, dass er nichts draufhat", erinnerte sich sein Bruder Harouna. "Er hat uns dann geantwortet 'Ihr werdet schon sehen: Wenn ich groß bin, werde ich den Durchbruch als Fußballer schaffen und euch alle hier rausholen'", fügte er hinzu. Die große Ankündigung nahmen seine Brüder aber nicht besonders ernst: "Wir haben uns totgelacht", gestand Harouna.

Der große Plan Boulaye Dias, die Ankündigung wahrzumachen und Profi-Fußballer zu werden, drohte allerdings regelmäßig zu scheitern. Als Junge beim örtlichen Plastic Vallee FC machte er zwar schon früh auf sich aufmerksam, doch ihm war schnell klar, dass er in der Jugendabteilung eines Profiklubs viel bessere Bedingungen und Chancen hat, das große Ziel zu erreichen.

Also probierte er es zunächst als Elfjähriger bei AS Saint-Etienne. Vater Nouah, der mit Fußball wenig am Hut hat, übernahm die Aufgabe, das Talent zum Probetraining zu fahren. Doch auf der Autobahn blieb der alte Renault 21 der Familie auf halber Strecke zwischen Oyonnax und Saint-Etienne liegen. Der Vater bekam das Gefährt wieder flott, entschied dann aber, lieber sofort den Rückweg anzutreten - und zerstörte damit Boulayes Traum.

Boulaye Dia: Sein Handwurzelknochen war Lyon zu wenig

Die nächste Chance erarbeitete sich Dia bei der angesehen Nachwuchsabteilung von Olympique Lyon. "Zwischen 13 und 15 bin ich jeden ersten Mittwoch im Monat zum Sichtungstraining gefahren", erinnerte er sich. Die Hartnäckigkeit zahlte sich zunächst aus, denn Dia kam schließlich in die ganz enge Auswahl.

"Ich war der Kleinste, der Zweite war ein Schrank, der Dritte war technisch besser", blickte Dia zurück. Um eine Entscheidung treffen zu können, bestand Lyon darauf, eine Analyse des Handwurzelknochens bei dem Trio durchzuführen, um annähernd bestimmen zu können, wie groß die Nachwuchskicker werden würden.

Und das Ergebnis war für Dia niederschmetternd: Olympique war der Meinung, dass er nicht groß genug für den Profifußball werden würde. "Aber meine Brüder waren doch alle groß. Ich habe das nicht verstanden", sagte Dia. "Natürlich war ich lange ziemlich klein. Aber jetzt bin ich 1,80 Meter groß. Damit bin ich völlig zufrieden", fügte er hinzu.

Dia arbeitet zwei Jahre als Elektriker: "Nur vorübergehend"

Der Traum vom Fußball-Profi war erst einmal ausgeträumt. Dia wechselte in eine bessere Jugendmannschaft zu Jura Sud, doch Fußball wurde erst einmal zur Nebensache. Er beendete mit 18 Jahren seine Ausbildung zum Elektriker und arbeitete zwei Jahre lang in diesem Beruf.

"Ich habe mir gesagt, dass das nur vorübergehend ist, nur eine Sache für die Zwischenzeit und dass ich mich dann später wieder etwas mehr auf den Fußball konzentrieren werde", sagte Dia.

"Ich musste früh aufstehen, manchmal nachts arbeiten, wenn es draußen kalt war und alle anderen geschlafen haben", blickte er auf die Zeit zurück, die ihn seiner Ansicht nach sehr geprägt hat - und die ihm auch Spaß bereitet hat. "Wenn ich das irgendwann nochmal machen muss, dann werde ich das wieder machen", so Dia.

2017 erinnerte sich dann Pascal Moulins, Dias ehemaliger Jugendtrainer, an den damals 20-Jährigen. "Ich wollte wissen, ob er es in sich hat", war dessen Plan, den Stürmer noch ein letztes Mal auf die Probe zu stellen. Moulins war zum Coach des Viertligisten Jura Sud aufgestiegen und auf der Suche nach einem talentierten Angreifer.

Der Verein stattete Dia mit einem Amateurvertrag aus - und der zahlte das Vertrauen sofort mit Toren zurück. 15 Treffer in nur 21 Liga-Spielen machten ihn zur großen Entdeckung der vierten Liga und setzten nach Jahren des Stillstands - als hätte er einen Schalter gedrückt - auf einmal eine rasante Entwicklung in Gang.

Boulaye Dia, Stade Reims
© NorbertScanella/PanoramiC

Reims-Präsident will Dia keine Steine in den Weg legen

Der Erstligist Stade Reims interessierte sich sofort für Dia und holte ihn nach nur einem Jahr in der vierten Liga. In der zweiten Mannschaft des Klubs hielt er sich nur wenige Spiele auf, dann folgte die Beförderung in die Erste, für die er im Oktober 2018 in der Ligue 1 debütierte.

Nach einer ersten Spielzeit, in der er oft von der Bank kam, sicherte er sich in der Saison 2019/20 auch dank seiner sieben Saisontore einen Stammplatz. Und in der aktuellen Saison ist er nun noch besser in Fahrt und wurde im Senegal zum Nationalspieler.

Das Ende dieses Höhenflugs? Noch nicht abzusehen. "Wenn es ein Angebot gibt, das ihm und uns gefällt, werde ich das nicht verhindern", sagte Reims-Präsident Jean-Pierre Caillot erst kürzlich bei L'Union zu einem lukrativen Weiterverkauf des Spätstarters nach dieser Saison.

Wohin es Boulaye Dia dann zieht, ist noch völlig unklar, aber genügend Interessenten dürfte es für ihn aus ganz Europa geben. Besonders dann, wenn er auch noch Torschützenkönig der Ligue 1 wird.

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