Vieiras Botschafter: Wie Idrissa Gana Gueye Paris verzückt

Von Oliver Maywurm
Thomas Tuchel und Idrissa Gueye nach dem CL-Erfolg von PSG gegen Real.
© getty

In einer unter anderem von Patrick Vieira gegründeten Akadamie wurde er groß, David Beckham war sein Vorbild. Nun trumpft Idrissa Gueye bei PSG auf.

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Innig umarmte Thomas Tuchel Idrissa Gueye am vergangenen Mittwochabend, tätschelte ihn, wollte ihn eigentlich gar nicht mehr los lassen. Gerade hatte Paris Saint-Germain zum Champions-League-Auftakt das große Real Madrid mit 3:0 bezwungen. Und Gueye, der Neuzugang aus Everton, war danach in aller Munde. Idrissa Gana Gueye, wohin man hörte.

"Er ist eine Maschine", lobte Tuchel auf der Pressekonferenz. Kapitän Thiago Silva fehlten im Interview nach Schlusspfiff sogar fast die Worte. "Unglaublich", sagte der Brasilianer und hielt kurz inne. "Überragend" habe der Senegalese das Spiel gelesen. Die Ballgewinne, die Gueye für PSG rekrutierte, er konnte sie nicht mehr zählen. Er war überall, brachte Real zur Verzweiflung, leitete offensiv zudem das 2:0 unnachahmlich ein.

Der 29-Jährige ist trotz Icardi, Navas oder Herrera wohl der Königstransfer von PSG im abgelaufenen Sommer-Wechselfenster. Gueye war der absolute Wunschspieler von Tuchel, der ihn schon im vergangenen Winter sehr gerne geholt hätte. "Ich musste viel kämpfen, damit wir ihn kaufen können", sagte Tuchel nach der Gala gegen Real.

Thomas Tuchel und Idrissa Gueye nach dem CL-Erfolg von PSG gegen Real.
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Thomas Tuchel und Idrissa Gueye nach dem CL-Erfolg von PSG gegen Real.

Idrissa Gueye: In Diambars geformt - als Fußballer und Mensch

Gueyes Weg in die Weltspitze war weit. Geboren und aufgewachsen in Senegals Hauptstadt Dakar, ging er mit 14 Jahren in eine unter anderem von Ex-Arsenal-Star Patrick Vieira gegründete Fußball-Akademie in Diambars, rund 70 Kilometer südlich von seiner Heimatstadt. "Unsere Familien sahen wir nur in den Ferien, es war hart. Aber es war wichtig, dort eine gute fußballerische Ausbildung zu genießen", sagte Gueye mal dem Guardian.

Dabei steht Fußball in Diambars gar nicht zwingend an erster Stelle. Schulische Bildung und Persönlichkeitsentwicklung sind zwei Säulen, auf die in der Talentschmiede von Vieira und Co. sogar noch etwas mehr Wert gelegt wird. "In Diambars geht es in erster Linie darum, Männer zu machen", sagte Moussa Kamara, technischer Direktor der Akademie, bei CNN. "Jungs, die sonst wohl nie Karriere machen würden, keinen Erfolg im Leben und keine Familien hätten, werden hier zu Geschäftsmännern, Ministern, Präsidenten und Vorbildern für ein aufstrebendes Senegal. Es geht nicht nur um Fußball."

Gueye hat die Werte Diambars' aufgesogen, verinnerlicht. Er ist bodenständig geblieben, trotz seines Erfolgs. Vergleiche zu Chelsea-Star und Weltmeister N'Golo Kante werden häufig angestellt, wenn es um Gueye geht. Wegen dieser sympathischen, zurückhaltenden, höflichen, manchmal fast schüchternen Art. Aber vor allem, weil sich die beiden auch fußballerisch ähneln.

Gueye ist ein Box-to-Box-Spieler modernster Prägung, mit hoher Antizipationsgabe, herausragender Zweikampfführung, Dynamik und zeitgleich großen technischen Qualitäten. Er sei ein Perfektionist, sagte er mal. Wenn er einen Ball verliert, ärgert ihn das zutiefst. "Ich glaube, dieses Gefühl trage ich in mir, seit ich in der Akademie angefangen habe."

Idrissa Gueye: Inspiriert von David Beckham und Lass Diarra

Dort, in Diambars, war er zunächst noch offensiver, mehr Spielmacher als die Mischung zwischen Sechser und Achter, die er heute so bärenstark auf den Platz bringt. "Bei vielen defensiven Mittelfeldspielern geht es nur darum, Angriffe abzufangen und Bälle zu jagen, eine ausschließlich defensive Rolle. Aber ich wollte schon immer auch mit Ball am Fuß Meter machen und vor allem alles dafür tun, ihn wiederzugewinnen, wenn mein Team ihn verloren hatte", erklärt Gueye.

Dass United-Legende David Beckham, der bei Gueyes großem Auftritt gegen Real übrigens im Prinzenpark auf der Tribüne saß, schon immer sein Vorbild war, passt dazu. "Als ich jung war, habe ich zu ihm aufgeschaut. So oft es ging, schaute ich mir seine Spiele an. Als ich später auf eine etwas defensivere Position wechselte, begann ich, mich auch viel an Lassana Diarra zu orientieren. Er ist der Spieler, den ich versuchte, nachzuahmen."

Mit 18 wurde Gueye bei einem Turnier mit der Diambars-Akademie in Europa vom OSC Lille entdeckt, wechselte kurz darauf, im Sommer 2008, aus dem Senegal zu den Nordfranzosen. Zunächst war es hart, über das B-Team musste er sich nach oben kämpfen. Erst zwei Jahre nach seiner Ankunft schaffte Gueye das allmählich, trug 2011 zumindest ein paar Einsätze zum Double bei, darf sich seitdem französischer Meister mit LOSC nennen.

Idrissa Gana Gueye: Im Namen des Großvaters

Mit der Saison 2011/12 wird er dann Stammspieler in Lille, sammelt erste Erfahrungen in der Champions League. Seinen Rücken ziert dabei schon immer Gana, Gueyes zweiter Vorname. "Den Namen habe ich zu Ehren meines Großvaters bekommen", erklärt der Nationalspieler. "Obwohl er Fußball nie mochte. Mein Vater spielte, meine beiden älteren Brüder auch, aber mein Opa hatte keinerlei Interesse an diesem Spiel. Ich habe immer für Fußball gelebt und absolut jeder im Senegal liebt es - bis auf meinen Großvater."

2015 verließ Gueye Lille in Richtung Aston Villa. Es sollte der nächste Schritt sein, die Premier League. Dort spielen, wo jeder hin will. Doch es wurde zu einem negativen Kapitel in Gueyes Laufbahn, denn mit Villa stieg er am Ende seiner ersten Spielzeit in die zweite Liga ab. "Es war eine schwierige Zeit. Die schlechten Ergebnisse, der Abstieg. Und nach der Saison musste ich hoffen, dass sich ein neuer Verein um mich bemüht. Meine Familie hat mich damals sehr unterstützt", sagt Gueye.

Everton kam um die Ecke, zahlte acht Millionen Euro an Villa. Ein Glücksgriff für die Toffees, denn Gueye war im System des damaligen Coaches Ronald Koeman gleich ein essentieller Baustein. Bei Everton ging er nun den Schritt, den er eigentlich schon bei Aston Villa gehen wollte: Er etablierte sich in der besten Liga der Welt, legte körperlich noch einmal zu, erlangte die perfekte Mischung aus Physis und Technik. Kurzum, er machte sich für die absoluten Topklubs interessant.

Gueye: "Schon als Kind habe ich davon geträumt"

PSG war der Verein unter den Besten der Welt, der sich am meisten um Gueye bemühte. Und der Verein, zu dem Gueye unbedingt wollte. "Ich habe mich selbst gebaut. PSG verkörperte den letzten großen Schritt, der mir noch fehlt", sagte er Anfang des Jahres im Interview mit L'Equipe. "Leider ist das ein Traum, der sich nicht erfüllt hat." Paris hatte offenbar schon Ende 2018 zwei Angebote für Gueye bei Everton hinterlegt, die Engländer allerdings jeweils abgelehnt.

Im Sommer machte Gueye dann erneut deutlich, dass er unbedingt nach Paris will. Und Tuchel erneuerte sein Interesse selbstredend, kämpfte um seine Verpflichtung. Ende Juli war es schließlich so weit. "Schon als Kind habe ich davon geträumt", freute sich Gueye. "Als sich die Möglichkeit dann letztlich wirklich ergab, konnte ich nicht ablehnen."

30 Millionen Euro zahlte PSG für seinen neuen Schlüsselspieler, jeder Cent davon ist bestens angelegt. Für beide Seiten. Und in Diambars könnte man stolzer kaum sein, dass ein Absolvent mittlerweile an der Seite einiger der besten Spieler der Welt brilliert. "Er ist der größte Erfolg von Diambars, der Botschafter für all unsere Jugendlichen", sagte Patrick Vieira bereits vor einigen Jahren über Gueye. Tuchel würde das wohl sofort unterschreiben.

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