Erling Haaland und Pep Guardiola: Das Märchen von der komplizierten Anpassung

Von Justin Kraft
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Erling Haaland und Pep Guardiola bei Manchester City: Passt das? Diese Frage wurde seit Bekanntgabe des Transfers rauf und runter diskutiert. Der Anpassungsprozess könnte schwierig werden, wird oft geschlussfolgert. Dabei findet zusammen, was zusammengehört.

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Liest man die Analysen der vergangenen Woche, könnte man an manchen Stellen den Eindruck gewinnen, dass Pep Guardiola und Manchester City gerade ein Millionengrab verpflichtet hätten. Mindestens 60 Millionen Euro Ablöse, unzählige Berater-Millionen und ein stattliches Grundgehalt - die Skyblues haben für Erling Haaland tief in die Tasche gegriffen.

Und das für einen Spieler, der sich dem Vernehmen nach erst noch kräftig anpassen muss, um zu funktionieren. Der Angreifer hätte "noch ein paar Hausaufgaben zu erledigen", um sich nahtlos einfügen zu können, schrieb Sport1 beispielsweise.

"Haaland ist kein klassischer Pep-Stürmer", beschrieb Sky das vermeintliche Dilemma. Der Norweger "wird seine Spielweise anpassen müssen", schlussfolgerte der Spiegel und stellte dabei vor allem heraus, dass die große Stärke des 1,94 Meter großen Angreifers, nämlich Tiefenläufe, bei Manchester City wenig bringen werde.

Aber ist das so? Wird es wirklich einen intensiven Anpassungsprozess erfordern, der Haaland und Guardiola dazu bewegt, sich grundlegend zu verändern?

Erling Haaland: Das Märchen vom engen Raum

Richtig ist: Kaum ein Spieler auf der Welt hat ein so gutes Gespür für Tiefenläufe und die toten Winkel des gegnerischen Verteidigers wie er. Haaland positioniert sich häufig zwischen zwei Verteidigern und startet zuverlässig im richtigen Moment hinter die Kette. Zunächst lauernd, dann auf einer Linie mit den Defensivspielern trabend, zündet er den Turbo, sobald er das Zuspiel wittert. Dann ist er nicht mehr zu halten.

Der 21-Jährige ist eine Urgewalt. Körperlich stark, aber gleichzeitig unfair schnell. Bei Borussia Dortmund, so das Narrativ der letzten Tage, hatte er aber erheblich mehr Raum für diese Läufe. Dabei hat der Stürmer genug Gelegenheiten gehabt, um zu beweisen, dass er diese Qualitäten auch gegen tiefstehende Gegner einbringen, oder sich anpassen kann.

Beispielsweise vor seinem zweiten Treffer beim 6:1-Sieg des BVB gegen den VfL Wolfsburg, als er den Weg hinter die Kette fand, obwohl sechs Wölfe im eigenen Strafraum verteidigten. Nicht mal drei Meter hat er hinter der Verteidigungskette benötigt, um einen seiner gefürchteten Tiefenläufe durchzubringen.

Einen großen Teil seiner Tore erzielte er sogar nach Flanken. Ein Mittel, das gern verwendet wird, um schnell Druck aufzubauen, wenn ein Gegner tief verteidigt. Zwar ist der Kritikpunkt berechtigt, dass er nur sehr selten mit dem Kopf traf. Einerseits gelang ihm das zuletzt aber deutlich häufiger und andererseits ist sein Gespür für den richtigen Raum auch bei flachen Hereingaben sehr wertvoll. Oft hält er den Fuß noch dazwischen oder findet im letzten Moment Platz im Rückraum oder am zweiten Pfosten.

Warum sollte er diese Qualitäten nicht auch bei Manchester City einbringen können? Dass er dafür übermäßig viel Raum bräuchte, ist angesichts seiner 86 Treffer in 89 Pflichtspielen nichts weniger als ein Märchen.

Haaland muss nichts mehr beweisen

Stattdessen sollte man das Argument umdrehen: Ist es nicht ein Zeichen von unschätzbarer Qualität, in der Bundesliga 62-mal in 67 Auftritten zu netzen? Wenn die meisten Bundesligisten eines auf sehr hohem Niveau können, dann ist es die Raumverknappung. Beweisen muss er dahingehend nichts mehr.

Borussia Dortmund hatte allein in dieser Saison im Schnitt 59,4 Prozent Ballbesitz. Haaland traf gegen jede Art von Gegner. Hoch verteidigende Bayern, tief mauernde Wolfsburger und aggressive Freiburger oder Unioner. Er traf vom Elfmeterpunkt, nach Ecken, in offensiven Umschaltmomenten, aus spitzem Winkel, aus der Distanz, per Kopf, mit dem Fuß, mit viel Raum, aber eben auch mit wenig Raum.

Seine Präsenz und sein Gespür für die besten Laufwege werden das Spiel von Manchester City auf eine andere Ebene hieven. Haaland hat sich schon beim BVB zunehmend zu einem kompletteren Stürmer entwickelt.

Pep Guardiola: Falsche Neun nur die Notlösung?

Das können auch die Horrorgeschichten von Zlatan Ibrahimovic oder Samuel Eto'o nicht relativieren. Mario Gomez, ein ebenfalls vermeintlich von Guardiola aussortierter Stürmer, sagte jüngst bei Amazon Prime, dass er sich gut mit dem Katalanen verstanden hätte und ein System mit falscher Neun bei Bayern nicht in Stein gemeißelt gewesen sei. "Er sagte mir: In Barcelona habe ich nur deshalb ohne gespielt, weil ich Messi hatte", verriet der einstige Torjäger.

Diese Debatten ziehen sich durch die gesamte Karriere Guardiolas. Thomas Müller und Arjen Robben wurden vor seiner Ankunft in München ebenfalls kontrovers diskutiert. Ob das überhaupt Pep-Spieler wären, wurde damals gefragt. Die Geschichte ist bekannt. Beide blieben absolute Schlüsselspieler des Teams.

Das liegt vor allem daran, dass es keine 'perfekten Pep-Spieler' gibt. Solche Behauptungen implizieren, dass der Star-Trainer beim FC Barcelona, dem FC Bayern und jetzt bei Manchester City stets denselben Fußball spielen ließ. Dass der 51-Jährige überall dermaßen erfolgreich war und ist, liegt aber daran, dass er es perfekt versteht, sich auf ein gesamtes Umfeld einzustellen, ohne den Kern seiner Philosophie aufzugeben. Was nicht passt, wird passend gemacht. Und das, ohne Spielern ihre Stärken zu nehmen.

Oberflächlich betrachtet gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen seinen bisherigen Teams. Im Detail sind sie alle sehr verschieden. Das wird auch auf das zukünftige im Vergleich zum jetzigen Manchester City zutreffen - und Haaland wird davon profitieren. "Er wird uns definitiv helfen, mehr Tore zu schießen", sagte Guardiola nach dem 5:1 bei Wolverhampton.

Pep Guardiola dürfte sich über die Zweifel an Erling Haaland wundern.
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Pep Guardiola dürfte sich über die Zweifel an Erling Haaland wundern.

Haaland und Guardiola: Große Anpassungen wird es nicht geben

Ganz große Anpassungen wird es nicht geben. Das gilt für beide Seiten. Guardiola bekommt das Puzzleteil, das ihm bisher fehlte. Haaland wird mit seiner enormen Physis und Präsenz dafür sorgen, dass die anderen Weltklassespieler der Skyblues noch mehr Raum bekommen. Andersherum wird der Norweger dann deutlich mehr unterstützt. Während Dortmunds Offensive komplett auf ihn zugeschnitten war, glänzt das Guardiola-Team durch Flexibilität.

Häufig wird angeführt, dass Stürmer sich bei Manchester City viel bewegen müssen. Sie kippen ins Mittelfeld ab, sie bewegen sich auch mal auf den Flügel. Haaland war bisher nicht der Spieler, der sich besonders aktiv am Ballvortrag beteiligte. Seine Ballbehandlung sei nicht gerade filigran, wird kritisiert.

Wer um sich herum Spieler wie Bernardo Silva, Kevin de Bruyne, Phil Foden, Ilkay Gündogan, Raheem Sterling oder auch Riyad Mahrez hat, muss sich allerdings keine großen Sorgen um Anpassungsschwierigkeiten machen. "Wir werden ihm niemals die Verantwortung übertragen, die Tore zu schießen", kündigte sein zukünftiger Coach an. Zumal es kein Automatismus ist, dass der Neuzugang die bisherigen Stürmerrollen übernehmen muss, um zu funktionieren. Er wird seine eigene Rolle bekommen und ausfüllen.

Passquotenvergleiche zwischen City-Spielern und Haaland verbieten sich ebenfalls. Robert Lewandowskis Passquote lag beim BVB einst bei knapp über 70 Prozent. Schon in seiner ersten Saison bei Bayern steigerte er sich um circa fünf Prozent. Bei einem Zuspiel gibt es immer zwei Seiten: Passgeber und Passempfänger. Letztere werden bei City deutlich besser positioniert sein als in Dortmund.

Manchester City und Haaland: Die Hürden werden überschätzt

Der vermeintliche Anpassungsprozess, den Haaland nun durchlaufen muss, wird überschätzt. Es gibt immer Details, die Spieler verändern müssen, um nach einem Wechsel zu funktionieren. Der Angreifer hat dahingehend aber eine kluge Entscheidung getroffen. Manchester City ist aktuell der beste Top-Klub für ihn. Wenn er irgendwo das große Versprechen einlösen kann, das sein Talent mitbringt, dann mit der Hilfe von Guardiola.

Wäre er zu Real Madrid gewechselt, hätte es viele Fragezeichen gegeben. Die Konkurrenzsituation mit ähnlichen Spielertypen beispielsweise. Oder die Frage nach der konkreten Spielidee und taktischen Ausrichtung. Ob er in der letzten Bastion des Heldenfußballs funktioniert hätte? Fraglich.

Madrid braucht ihn nicht mal zwingend. Bei City hingegen könnte eine perfekte Symbiose entstehen. Haaland ist schon jetzt ein Weltklassespieler. Und Pep Guardiola ist ein Weltklassetrainer. Beide werden aneinander wachsen. Und keiner von beiden wird sich verbiegen müssen, damit ein Miteinander funktioniert.

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