Matt Miazgas Odyssee: Das bittere Schicksal eines Ex-Chelsea-Talents

Von Alex Gschlössl
Matt Miazga
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Das bittere Schicksal eines MLS-Talents zeigt symptomatisch, wie das Pokern um den nächsten Superstar Träume zerstören kann. Nach jahrelanger Odyssee und fünf Leihen kehrte Matt Miazga mit seinem 5-Millionen-Euro-Preisschild in die MLS zurück. Doch wer ist dieser Amerikaner eigentlich? Was ist mit ihm beim FC Chelsea geschehen? SPOX geht seinem Schicksal auf die Spur.

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In den letzten Jahren hat die MLS einige große Talente hervorgebracht, die in den europäischen Top-Ligen zu Superstars werden konnten oder noch werden können. Alphonso Davies beim FC Bayern München etwa, Miguel Almirón bei Newcastle United oder Brendon Aaronson bei Red Bull Salzburg.

Doch das ist ein neues Phänomen. Bis zur Saison 2018/19 war Jozy Altidore der teuerste Export aus der MLS. Der heute 32-Jährige war 2008 für 7 Millionen Euro von New York Red Bulls zum FC Villarreal gewechselt. Mittlerweile spielt er bei Club Puebla in Mexiko.

Zweitteuerster Export war bis 2018/2019 ein anderer Spieler aus New York: Matt Miazga, der im Januar 2016 für fast 5 Millionen Euro Ablöse zu einem absoluten Top-Klub in der Premier League wechselte. Genauer: zum FC Chelsea.

Die New Yorker Red Bull Academy hatte den damals 21-jährigen Innenverteidiger hervorgebracht. Sein früherer Trainer Jesse Marsch sagte über ihn einst in einem Interview mit ESPN: "Wir wussten immer, dass die Wahrscheinlichkeit gering war, dass Matt langfristig bei Red Bull bleiben würde."

Und der spätere Leipzig-Coach sollte recht behalten. Der FC Chelsea verpflichtete den talentierten 1,93 Meter großen Abwehrspieler nach nur einer erfolgreichen Saison in der MLS. Unter Jürgen Klinsmann hatte Miazga mit 20 Jahren sein Debüt für die amerikanische Nationalmannschaft gefeiert.

Heute spricht über Miazga kaum mehr jemand. Seit diesem Sommer spielt er für den FC Cincinnati, einen der schwächsten und kleinsten MLS-Klubs. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Matt Miazga
© getty
Matt Miazga

Matt Miazgas Wechsel zu Chelsea: "Es war ein Traum"

Im Jahr 2016 verpflichtete der FC Chelsea Miazga. José Mourinho höchstpersönlich erkundigte sich bei ihm und holte den Amerikaner nach London. "Es gab viel Interesse an mir, und wenn Chelsea anruft, wenn Mourinho dich anruft und du dich mit ihm in London treffen kannst, dann sagst du nicht nein, wirklich nicht", schilderte Miazga.

Der FC Chelsea steckte in einer tiefen Krise als er ankam. Miazga schwärmte zuvor zwar noch: "Es ist ein Traum und es war ein stolzer Moment von einem so großen Verein gewollt zu werden." Doch nur "gewollt" zu sein, bedeutet nicht, auch "eingeplant" zu sein. Der Trainer, der ihn wollte - José Mourinho - war bei seiner Ankunft schon nicht mehr im Amt. Im Dezember 2015 musste er seinen Posten an Guss Hiddink abgeben. Und nach dem Trainerwechsel lief es bei Chelsea wieder - nur ohne Matt Miazga.

Erst am 32. Spieltag debütierte er gegen Aston Villa. Ein Lichtblick? Matt Miazga absolvierte die kompletten 90 Minuten und feierte mit den Blues einen 4:0-Auswärtssieg. Der Durchbruch? Von wegen. Im nächsten Spiel wurde er gegen Swansea zur Halbzeit ausgewechselt. Den Rest der Saison schmorte er auf der Tribüne.

Sind eineinhalb Spiele ein fairer Indikator für die Qualität eines Spielers?

Matt Miazgas Abgang von Chelsea: Beginn der Odyssee

Für den FC Chelsea damals offensichtlich schon. Die Blues verfolgten unter dem Technischen Direktor Michael Emenaldo eine mittlerweile verbotene Transferstrategie: Ein exzellentes Scouting und eine herausragende Nachwuchsakademie produzierten Nachwuchstalente wie am Fließband - und da Kaderplätze einer Mannschaft begrenzt sind, mussten diese bis zum erhofften Durchbruch irgendwo geparkt werden. 2014/15 waren es 34 Spieler, bei Miazgas Ankunft 2015/16 waren 30 Spieler ausgeliehen.

So passierte es auch dem US-Amerikaner. Am 30. Juni 2018 ging es zum Farmteam Vitesse Arnheim. Miazga rückblickend: "Als ich zu Chelsea wechselte, habe ich meine Entwicklung hier irgendwie verpasst. Also musste ich einen Schritt zurückgehen und in einer Liga spielen, in der ich die Möglichkeit hatte, mich zu präsentieren."

Und der mittlerweile 23-Jähre überzeugte bei Vitesse. Miazga etablierte sich in der Innenverteidigung und machte 32 Spiele in der niederländischen Eredivisie, spielte sogar alle sechs Europa-League-Partien von Anfang an. Genug für einen Stammplatz beim FC Chelsea?

Bei Chelsea: Zu harte Konkurrenz und keine Kontinuität

Dort standen zu jener Zeit elf Innenverteidiger im Kader - und auf der Trainerbank gab es wieder einmal eine Veränderung. Antonio Conte übernahm die Blues und ließ bekanntermaßen mit Dreierkette spielen - vorzugsweise David Luiz, Gary Cahill und César Azpilicueta oder Antonio Rüdiger. Wenig Platz für einen jungen Amerikaner. So zog Miazga gezwungenermaßen weiter, nach Frankreich zum FC Nantes.

Seine Geschichte ist nicht unbedingt ein Sonderfall, sondern war ein übliches Verfahren für die Leihspieler des FC Chelsea. Entwickelten die sich anderorts zu einem gestandenen Profi, wurden sie in den meisten Fällen aufgrund mangelnder Aussichten bei den Chelsea-Profis verkauft - bestenfalls für viel Geld. Die Beispiele hierfür sind unzählig.

Man denke nur an den "deutschen Messi" Marko Marin. Mit hohen Erwartungen wechselte der 2012 von Werder Bremen zu den Blues. Dann folgte eine nicht endende Reise durch Europa. Ein weiteres Beispiel gefällig? Lucas Piazón. Der brasilianische Stürmer schloss sich ebenfalls 2012 dem FC Chelsea an. In seinen neun (!) Jahren bei den Blues absolvierte er nur ein Premier-League-Spiel, kommt aber immerhin auf acht Vereine, darunter auch Eintracht Frankfurt.

Und ja, es gibt auch Positivbeispiele, Kevin De Bruyne etwa. Vom belgischen Jugendklub KRC Genk ging er zu Chelsea. Nach einem Jahr in der Bundesliga bei Werder Bremen sahen die Blues kein allzu großes Potenzial in ihm, der VfL Wolfsburg jedoch schon. Für 22 Millionen Euro kam er 2014, führte die Wölfe zum DFB-Pokalsieg, wechselte für 76 Millionen zu Manchester City und ist längst einer der besten Spieler der Welt.

Auch Mohamed Salah flutschte den Blues durch die Finger. Vom FC Basel trat er seine Reise durch Europa an, nur um dann zu einem der wichtigsten Spieler im Liverpool-Team von Jürgen Klopp zu werden. Womöglich eine Ausnahme ist Mason Mount, der sich bei Vitesse weiterentwickelte, ehe er zum Führungsspieler bei Chelsea aufstieg.

Matt Miazga: Ein Rückschritt des Rückschrittes?

Das schaffte Miazga nicht. Auch wenn es für ihn in Nantes in der Saison 2018/2019 anfangs nicht schlecht lief. Die ersten acht Spiele bestritt er alle von Beginn an. Doch dann kam der Knick: Nach einer desolaten Leistung gegen Bordeaux musste Miazga den Platz nach nur 41. Minuten verlassen - Höchststrafe. Danach wurde er aus dem Stammkader geworfen und musste den Rest der Hinrunde von der Tribüne aus verfolgen. Welche Gedanken schwirren dem jungen Amerikaner wohl durch den Kopf, wenn er zusehen muss, wie ihm seine Karriere entgleitet?

Wahrscheinlich hätte es bei Miazga so oder so nicht für eine Weltkarriere gereicht. Dennoch wurde er sicher ein Opfer eines kruden Systems, das mittlerweile dank einer Regulierung von Leihspielern im Kader zwar beschränkt, der Mechanismus dahinter jedoch nicht umfänglich aufgearbeitet ist.

So dürfen ab 2023 zwar nur noch sieben Spieler verliehen werden. Jedoch sind von dieser FIFA-Maßnahme Spieler bis 21 Jahre und Eigengewächse ausgenommen.

Miazga jedenfalls wechselte nach der erfolglosen Leihe in Frankreich in die englische Championship zum FC Reading - Abstiegskampf in der englischen zweiten Liga. Später ging es nach Belgien zum RSC Anderlecht, wo ein permanenter Meisterdruck herrschte, und schließlich wechselte er im Sommer 2021 nach Spanien zu Deportivo Alaves, wo er aufgrund einer Covid-Infektion nie wirklich ankam.

Dennoch mangelte es nicht an Interessenten, der FC Chelsea erhielt immer wieder Angebote für Miazga. Doch den Blues waren die Ablösesummen nicht hoch genug. So verwehrte der FC Chelsea dem jungen Amerikaner einen Wechsel und damit die Chance, sich irgendwo wirklich langfristig festzusetzen. In London lebte er noch immer im Hotel - und tanzte, wie gewohnt, nach Leihende bei den Blues zur Saisonvorbereitung an. In der Hoffnung, dieses mal endlich entdeckt zu werden.

MLS: Matt Miazgas Rückkehr in die Heimatliga

Doch als Miazga zu seinen Mitspielern blickte, realisierte er: "Es ist Zeit, zurück in die MLS zu gehen und an einem Ort zu sein, wo ich mich wirklich gut fühle." Das permanente Nomadentum hatte ihn nicht glücklich gemacht.

Mit dem FC Cincinnati schloss er im August 2022 sich einem jungen Verein an, der seit 2015 in der MLS antritt und große Ambitionen hat. Dort ist Miazga Stammspieler und will Leistungsträger werden.

Sieben Jahren und fünf Leihen später ist er zurück in der Heimat: "Es war eine aufregende Zeit, für die ich sehr dankbar bin." Mit dabei hatte er einen prallgefüllten Rucksack. Voll mit wertvollen Erfahrungen. Aber auch mit einem unerfüllten Traum.

Matt Miazga: Stationen seiner Karriere

ZeitraumVerein
2013 - Januar 2016New York RB
Januar - August 2016FC Chelsea
2016 - 2018Vitesse Arnheim (Leihe)
2018 - Januar 2019FC Nantes (Leihe)
Januar 2019 - 2020FC Reading (Leihe)
2020 - 2021RSC Anderlecht (Leihe)
2021 - 2022Deportivo Alavés (Leihe)
seit 2022FC Cincinnati
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