Johan Vonlanthen im Interview: "Matthäus hat sich für mich eingesetzt und ständig angerufen"

Von Dennis Melzer
Johan Vonlanthen.
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Sie waren jung und wurden trotz Ihrer Probleme in Eindhoven als großes Talent gehandelt. Kaum zu glauben, dass Brescia die einzige Option war.

Vonlanthen: Mein Berater sagte mir damals, dass nur Brescia sich um mich bemüht hatte. Erst später habe ich erfahren, dass auch Vereine aus Deutschland Interesse signalisierten. Das tut natürlich weh. Hätte ich das früher gewusst, wäre ich wahrscheinlich nach Deutschland gewechselt.

Bereuen Sie Ihren Wechsel nach Italien?

Vonlanthen: Nicht unbedingt. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass der Trainer, der mich geholt hat, schon nach zwei Wochen gehen muss. Unter seinem Nachfolger habe ich es auf lediglich neun Einsätze gebracht. Ich habe dort teilweise Dinge erlebt, die ich nicht nachvollziehen konnte.

Zum Beispiel?

Vonlanthen: Ich kann mich vor allem noch an ein Spiel erinnern, in dem ich eigentlich von Anfang an spielen sollte. Fünf Minuten vor Anpfiff kam ein Mitspieler zu mir und sagte: "Johan, du spielst heute nicht, für Dich startet ein anderer." Ich habe ihn gefragt: "Warum, was ist denn passiert? Ich habe mich doch mit der Mannschaft warmgemacht und stand in der Kabine auf der Tafel noch in der ersten Elf." Tatsächlich hatte sich der Coach umentschieden, ohne mich zu informieren. Ich weiß bis heute nicht, warum ich nicht spielen durfte. Vielleicht war es auch besser so, wir lagen nämlich nach 20 Minuten hinten (lacht). Aber spätestens nach dieser Aktion war für mich klar, dass ich nach Holland zurückkehre.

Sie haben einmal gesagt, dass niemand Sie auf die Brutalität des Fußball-Geschäfts vorbereitet habe. Wie hat sich diese Brutalität geäußert?

Vonlanthen: Meine Eltern konnten mich vor gewissen Leuten nicht schützen, weil sie keine Erfahrung im Fußballbusiness hatten und nicht wussten, wie das Geschäft läuft. Viele haben damals nur die Chance gesehen, Kohle mit mir zu machen. Das war brutal. Heutzutage ist es vielleicht noch schlimmer, die Berater verdienen sehr viel Geld mit jungen Talenten. Andererseits ist es positiv, dass mittlerweile auch die Eltern ihren Kindern als Berater zur Seite stehen dürfen. Früher, zu meiner Zeit, war das nur offiziellen FIFA-Agenten erlaubt.

Johan Vonlanthen lässt sich für sein Tor bei der EM 2004 feiern.
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Johan Vonlanthen lässt sich für sein Tor bei der EM 2004 feiern.

Vonlanthen über seinen historischen Treffer bei der EM 2004

Sie haben bei der EM 2004 keinen Geringeren als Wayne Rooney als jüngsten EM-Torschützen aller Zeiten abgelöst. Welche Emotionen hat der Treffer bei Ihnen ausgelöst?

Vonlanthen: Das war unbeschreiblich, ein toller Moment und sicherlich mein Karrierehöhepunkt. Ich wurde als junger Spieler einfach in diese Europameisterschaft geworfen und habe dann gegen Fabian Barthez getroffen. In diesem Augenblick sind ganz viele Erinnerungen vor meinem geistigen Auge aufgetaucht. Ich habe an meine Kindheit in Kolumbien gedacht, daran, wie alles angefangen hat.

Mit ebenjenem Tor entwickelte sich vor allem in der Schweiz ein regelrechter Hype um Ihre Person. Resultierten daraus auch negative Aspekte?

Vonlanthen: Ich glaube nicht. Ich wusste, wozu ich imstande war und war mir meiner Qualitäten durchaus bewusst. Der einzige negative Aspekt war die fehlende Geduld. Ich habe mir nach diesem Tor selbst zu viel Druck gemacht. Auch meinem Berater konnte es im Anschluss nicht schnell genug gehen. Guus Hiddink hat versucht, mich einzubremsen. Er hat mir gesagt: "Deine Zeit wird kommen." Er wollte mir die nötige Disziplin einschärfen und vermitteln, dass ich geduldig sein muss. Ich habe aber nicht verstanden, warum ich nicht häufiger eingesetzt wurde. Heute würde ich mein früheres Ich an den Ohren packen und sagen: "Junge, bleib cool! Du bist 18 Jahre alt und spielst bei PSV. Gib Gas und warte auf deine Chance."

Im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland wurde berichtet, dass Sie Ihren Platz im Kader nicht räumen wollten, obwohl Sie verletzt waren. Angeblich haben Sie ärztliche Atteste eingereicht, die Ihre Spielfähigkeit bescheinigen sollten. Wie hoch ist der Wahrheitsgehalt dieser Meldungen?

Vonlanthen: Ich hatte vor allem bei der Schweizer Boulevardzeitung Blick immer ein gewisses Problemprofi-Image. Ständig wurde tendenziös berichtet.

Johan Vonlanthen über sein Image als Problemprofi

Was war der Anlass, Sie als Problemprofi zu deklarieren?

Vonlanthen: Alles begann mit einem sehr großen Fehler, den ich sehr bereue: Wir hatten mit der U21-Nationalmannschaft ein Quali-Spiel gegen Tschechien und mein Trainer erklärte mir, dass ich nicht in der Startelf stehen würde. Obwohl unser Stürmer unter der Woche verletzt war und lediglich einmal mittrainieren konnte, wurde ich auf die Bank gesetzt und er durfte spielen. Weil ich in dieser Situation von meinen Teamkollegen keine Unterstützung erfahren habe, war ich extrem enttäuscht und habe mich auf die Tribüne gesetzt. Eine dumme Aktion, die dazu geführt hat, dass mir plötzlich ein gewisser Ruf anhaftete.

Und wie verhielt es sich nun bei der WM 2006?

Vonlanthen: Ich hatte einen Muskelfaserriss. Die Schweizer Ärzte haben einen Monat vor Turnierstart gesagt, dass ich es nicht schaffen werde. Ich bin auf unseren Trainer Köbi Kuhn zugegangen und habe ihn gefragt: "Gibst du mir die Zeit, um fit zu werden, Coach?" Er hat eingewilligt, aber letztlich musste er mir erklären, dass es nicht reicht. Für mich rückte damals Hakan Yakin in den Kader. Ich war natürlich enttäuscht, weil ich alles gegeben hatte und unbedingt dabei sein wollte. Im Nachhinein muss ich zugeben, dass die Entscheidung des Trainers richtig war.

Gab es aufgrund dessen Komplikationen innerhalb des Teams?

Vonlanthen: Nein, die Jungs haben gemerkt, dass ich alles versucht habe. Einige sprachen mir Mut zu und animierten mich dazu, es weiter zu probieren, andere waren der Meinung, dass ich mein WM-Aus akzeptieren müsse. Ich habe mich schwergetan, mir einzugestehen, dass es nicht reicht und dass ein Muskelfaserriss nicht binnen vier Wochen komplett ausgestanden sein kann. Aber Streitigkeiten gab es nicht.

Vonlanthen: "Matthäus wollte mich unbedingt haben"

Trotz der negativen Presseberichte setzte Lothar Matthäus sich als Co-Trainer von Red Bull Salzburg dafür ein, Sie in die Mozartstadt zu holen. Wie war die Arbeit mit ihm?

Vonlanthen: Er war derjenige, der mich unbedingt haben wollte. Er hat sich für mich eingesetzt und mich ständig angerufen, um mich von einem Wechsel zu überzeugen. Dafür bin ich ihm dankbar. Mein erstes Jahr mit ihm war super. Wir sind mit ihm und Cheftrainer Giovanni Trapattoni Meister geworden, ich habe sehr gut gespielt und wurde sogar zum besten Mittelfeldspieler in Österreich gewählt. Lothar sagte zu mir: "Junge, Du musst im Training der Erste auf dem Platz sein, gib Gas!" Er hat mir Disziplin und Pünktlichkeit eingetrichtert.

In Deutschland wird Lothar Matthäus als Trainer bisweilen etwas belächelt. Was halten Sie den Kritikern entgegen?

Vonlanthen: Ich kann nur sagen, dass er mir sehr wertvolle Tipps gegeben hat, sein Coaching war top. Er hat einen wichtigen Teil dazu beigetragen, dass wir erfolgreich waren. Nach einem Auswärtsspiel in der Champions-League-Qualifikation gegen den FC Zürich hat er mich zur Seite genommen und sagte: "Du bist einer der jüngsten Spieler, Du musst mehr rennen, mehr machen als die anderen Jungs - nur dann wirst Du Dich durchsetzen." Ich hatte zwar ein Tor erzielt und wir gewannen das Spiel, aber die Leistung war wirklich überschaubar. Das hat er sofort erkannt und klar kommuniziert. Nach seiner Ansprache war ich wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen.

Warum ging es für ihn in Salzburg nicht weiter?

Vonlanthen: Ich glaube, dass er und Trapattoni sich nach einer gewissen Zeit nicht mehr auf einen gemeinsamen Weg verständigen konnten, deshalb trennten sich die Wege.

Wie war Ihr Verhältnis zu Trapattoni?

Vonlanthen: Insgesamt sehr gut! Aber ich habe in meiner zweiten Saison für Salzburg mit einem Leistenbruch gespielt. Ich wollte mich zunächst nicht operieren lassen. Weil aber die EM 2008 im Sommer anstand, habe ich mich im Winter letztlich doch für eine OP entschieden, um in der Rückrunde wieder anzugreifen und mich für die Nationalmannschaft zu empfehlen. Trapattoni war damit nicht einverstanden. Plötzlich habe ich nicht mehr so häufig gespielt. Zur EM wurde ich aber trotzdem mitgenommen (lacht).