Johan Vonlanthen im Interview: "Matthäus hat sich für mich eingesetzt und ständig angerufen"

Von Dennis Melzer
Johan Vonlanthen.
© imago images
Cookie-Einstellungen

Ihr Profi-Debüt in der ersten Liga feierten Sie als 16-Jähriger, nur fünf Jahre, nachdem Sie aus Kolumbien in die Schweiz gekommen waren. Was ging in Ihnen vor?

Vonlanthen: Wenn ich mir die 16-jährigen Fußballer heute anschaue, kann ich kaum glauben, wie das geklappt hat und wie schnell alles ging. Damals habe ich mir gar nicht so viele Gedanken gemacht. Ich war einfach nur glücklich, dass ich meinen Plan, Profi-Fußballer zu werden, in die Tat umgesetzt hatte. Vielleicht hätte ich damals mehr Geduld mitbringen müssen.

Inwiefern?

Vonlanthen: Es wäre rückblickend besser gewesen, wenn ich vor meinem Schritt ins Ausland bei Young Boys mehr Erfahrung gesammelt hätte.

Stattdessen wechselten Sie früh zur PSV Eindhoven. Wie kam der Wechsel zustande?

Vonlanthen: Ich habe als 16-Jähriger in der U21-Nationalmannschaft gespielt. Mein Berater kam auf mich zu und sagte mir, dass etliche Klubs ein Auge auf mich geworfen hätten. Neben der PSV waren auch Real Madrid und Inter Mailand interessiert. Er fragte mich, wohin ich wechseln möchte. Ich sagte ihm nur: "Schauen wir mal, welcher Verein mich wirklich spüren lässt, dass er mich verpflichten möchte." Dann hat Real mich zum Probetraining eingeladen. Bevor ich nach Eindhoven gewechselt bin, war ich zehn Tage in Madrid und habe bei der U17 und U19 mittrainiert.

Aber?

Vonlanthen: Ich habe in diesen Trainingseinheiten kaum einen Ball berührt. Niemand hat mich angespielt, keiner wollte mir den Ball geben (lacht). Die einzigen Bälle, die ich bekommen habe, erkämpfte ich mir selbst im Zweikampf oder sie landeten per Zufall bei mir. Die Mitspieler haben sich wahrscheinlich gedacht: "Wer ist der denn?" Vor allem für die Jungs in der U19 war es wahrscheinlich komisch, dass so ein junger Kerl mittrainiert. In der Freizeit hat sich auch niemand um mich gekümmert. Niemand hat zu mir gesagt: "Komm, wir gehen etwas trinken, ich nehme dich mit." Da war überhaupt keine Kameradschaft vorhanden.

Wie ging es weiter?

Vonlanthen: Nach besagten zehn Tagen bin ich in die Schweiz zurückgekehrt und mein Berater sagte mir, dass die PSV Eindhoven mich gerne zum Vorspielen einladen würde. Ich habe sofort eingewilligt und in den Niederlanden bei einem A-Jugendturnier mitgespielt. Ich wurde zum besten Spieler gewählt. Im Anschluss habe ich ein sehr gutes Gespräch mit Guus Hiddink geführt, der damals Trainer der ersten Mannschaft bei PSV war. Er hat mir klargemacht, dass er mich gerne im Profiteam haben möchte. Außerdem waren die Jungs ganz anders als die in Madrid. Viele haben mich eingeladen und mir wirklich ein gutes Gefühl gegeben.

Johan Vonlanthen über seine Probleme in Eindhoven

Welche Erfahrungen haben Sie mit Hiddink gemacht?

Vonlanthen: Guus ist menschlich unglaublich. Ich habe ausschließlich positive Erfahrungen mit ihm gemacht. Er hat sich immer Zeit für seine Spieler genommen und häufig auch über private Dinge gesprochen. Wenn er mich in sein Büro bestellt hat, fragte er immer, ob ich mich wohlfühle und wie es meiner Familie gehe. Mit Blick auf den Fußball sagte er nur: "Hab Spaß und mach Dein Ding!" Ich wusste, dass er mich mag. Trotzdem erfuhr meine Karriere bei PSV einen Knick.

Was waren die Gründe?

Vonlanthen: Ich war 17 Jahre alt und ganz alleine in Eindhoven, ohne meine Familie. Ich habe sie sehr vermisst. Meine Eltern blieben in der Schweiz, weil meine Geschwister dort zur Schule gingen und ihren Lebensmittelpunkt hatten. Ich konnte nicht verlangen, dass alle nur meinetwegen in die Niederlande ziehen. Am Anfang war ich noch optimistisch, dass ich es alleine packen könnte, aber nach und nach reifte die gegenteilige Erkenntnis. Obwohl meine Mannschaftskollegen sich um mich gekümmert haben, ist es gerade in diesem Alter wichtig, die Familie in der Nähe zu haben. Arjen Robben, der etwas älter als ich war, hatte zum Beispiel immer seine Familie um sich herum und wurde bestmöglich unterstützt. Als ich realisiert habe, dass es in meinem Fall anders war, kamen die Probleme.

Welche Probleme waren das konkret?

Vonlanthen: Ich war kein Spieler, der häufig auf Partys ging oder andere Dinge im Kopf hatte. Aber ich habe beispielsweise mehrmals verschlafen und kam zu spät ins Training. Guus Hiddink hat zweimal ein Auge zugedrückt, aber das dritte Mal war dann zu viel. Man verliert an Glaubwürdigkeit, auch die anderen Jungs bekommen den Eindruck, dass man nicht ganz bei der Sache ist. Meine Chancen auf Spielzeit schwanden merklich. Selbst nach der Europameisterschaft 2004 hat sich nicht viel an meiner Situation geändert.

Arjen Robben? "Bei Pro Evolution war er nicht zu schlagen"

Während Ihre junge Karriere den ersten Knick erfuhr, ging Robbens Stern bei der PSV auf. Welche Erlebnisse verbinden Sie mit ihm?

Vonlanthen: Arjens Wohnung war gleich um die Ecke, höchstens hundert Meter entfernt von meiner. Ich war sehr oft bei ihm und habe seine Freundin und seine Eltern kennengelernt. Sein Leben war - im Gegensatz zu meinem - sehr gut organisiert, es wurde hinsichtlich Arjens Zukunft nichts dem Zufall überlassen. Wir haben trotzdem häufig die Zeit gefunden, um PlayStation zu spielen. Bei Pro Evolution Soccer war er nicht zu schlagen. So wie er auf dem Fußballplatz gespielt hat, zockte er auch auf der PlayStation. Es war der absolute Wahnsinn, was der Junge an der Konsole draufhatte (lacht).

Auf dem virtuellen Rasen war Robben also eine Macht. Wie haben Sie ihn auf dem realen Platz wahrgenommen?

Vonlanthen: Wenn du den Ball im Training an der Außenlinie bekommen hast, hieß es von draußen immer "actie", also, dass man eine Aktion starten sollte. Arjen war es völlig egal, ob er den Ball auf den Flügeln oder in der Mitte bekommen hat - er hat überall "actie" gemacht. Er hat sich die Kugel geschnappt, einen Alleingang gestartet und den Abschluss gesucht. Viele Mitspieler haben sich aufgeregt, dass er immer wieder ins Dribbling ging. Er hat dann gesagt: "Ok, ist gut. Beim nächsten Mal spiele ich ab." Wenige Sekunden später setzte er zum nächsten Alleingang an (lacht). Er hatte schon damals überragende Qualitäten.

Was hat ihn besonders ausgezeichnet?

Vonlanthen: Ich habe ihn kennengelernt, als er 18 Jahre alt war. Ich habe bewundert, wie fokussiert und mental stabil er trotz seines Alters schon war. Er wusste ganz genau, was er kann. Normalerweise haben junge Spieler mit Leistungsschwankungen zu kämpfen, das ist völlig normal. Bei Arjen konnte ich solche Schwankungen nie ausmachen, er hat einfach keine Fehler gemacht. Stattdessen war er in fast allen Spielen, die ich mit ihm gemeinsam erlebt habe, der entscheidende Mann.

Johan Vonlanthen spielte gemeinsam mit Arjen Robben bei PSV Eindhoven.
© imago images / VI Images
Johan Vonlanthen spielte gemeinsam mit Arjen Robben bei PSV Eindhoven.

Johan Vonlanthen: "... das hat mich hart getroffen"

Warum sind Ihre beiden Karrieren so unterschiedlich verlaufen?

Vonlanthen: Sein gefestigtes Umfeld habe ich bereits angesprochen. Ich bin der Meinung, dass das unheimlich wichtig ist. Ich habe das Alleinsein im Ausland komplett unterschätzt. Darüber hinaus war er im Kopf weiter als ich damals.

Robben wechselte 2004 für 18 Millionen Euro zum FC Chelsea, ein halbes Jahr später wurden Sie nach Brescia ausgeliehen. Wie lief es in Italien?

Vonlanthen: Die Tatsache, dass PSV mich ausleihen wollte, hat mich wirklich hart getroffen. Ich musste reagieren und erst einmal gucken, welche Klubs überhaupt infrage kommen könnten. Dann hieß es, dass Brescia mich gerne verpflichten möchte. Brescias Trainer Giovanni de Biasi hatte mich persönlich angerufen, das hat mir gefallen. Außerdem hat mich die Serie A gereizt.

Viele Spiele absolvierten Sie allerdings nicht für Brescia.

Vonlanthen: Zwei Wochen später wurde de Biasi entlassen und ein neuer Trainer, Alberto Cavasin, übernahm. Die Situation hatte sich damit komplett verändert, weil Cavasin mich nicht kannte. Das hat überhaupt nicht hingehauen und ich musste mir eingestehen, dass die Entscheidung, nach Brescia zu gehen, nicht die schlauste war.