Brasiliens Shootingstar Everton im Porträt: Bisschen Neymar, bisschen Robben, bisschen Zwiebel

Everton wurde bei der Copa America Torschützenkönig und zum besten Spieler des Turniers gewählt.
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Der 23-jährige Linksaußen Everton avancierte beim Copa-America-Sieg Brasiliens zum Shootingstar - und weckte damit wohl das Interesse einiger europäischer Top-Klubs. Auf dem Weg nach oben durchquerte er das ganze Land und bekam den Spitznamen "kleine Zwiebel".

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Everton machte bei dieser Copa America all das, wofür einst eigentlich Neymar erfunden worden ist: Er wurde Torschützenkönig, bester Scorer, zum besten Spieler des Turniers gewählt und war beim 3:1-Finalsieg gegen Peru mit einem Tor und einer Vorlage der (mit)entscheidende Spieler. Warum Everton all das machen durfte, wusste danach nicht einmal sein Trainer Tite. "Wer hätte jemals gedacht, dass Everton ins Team rutscht und der Beste auf dem Platz werden könnte?", fragte Tite nach dem Titelgewinn.

Alles fing damit an, dass sich Neymar verletzte und die Neymar-Aufgaben deswegen naturgemäß nicht selbst übernehmen konnte. Beim Testspiel gegen Katar musste er nach 21 Minuten runter, für ihn kam Everton ins Spiel. Als ernsthafte Ersatzleute für das Turnier galten dann aber: David Neres, der mit Ajax Amsterdam die Champions League aufgemischt hatte, und Richarlison, der in der Premier League 13 Treffer für seinen FC Everton erzielt hatte.

Beim ersten Turnierspiel gegen Bolivien begannen sicherheitshalber beide - blieben aber ohne Scorerpunkt und überzeugten nicht. In der 81. Minute brachte Tite doch noch Everton, der vier Minuten später das 3:0 erzielte. Beim zweiten Spiel (einem 0:0 gegen Venezuela) kam Everton schon ein bisschen früher, ehe er beim dritten schließlich beginnen durfte. Es war erst sein neuntes Länderspiel für Brasilien und das erste von Beginn an.

Everton debütierte 2014 für Gremio Porto Alegre und gewann 2017 die Copa Libertadores.
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Everton debütierte 2014 für Gremio Porto Alegre und gewann 2017 die Copa Libertadores.

Evertons Reise von Norden nach Süden

Um dahinzukommen, musste Everton mit 16 Jahren seine Freundin zurücklassen und das kam so: Er stammt aus der Stadt Maracanau ganz im Norden von Brasilien und machte als Nachwuchsspieler des damaligen Drittligisten Fortaleza EC ärgerlicherweise ausgerechnet Scouts von Gremio Porto Alegre auf sich aufmerksam, Scouts aus einer Stadt ganz im Süden des Landes. Da unten hatte er sportliche Perspektive, da oben aber seine Freundin und dazwischen lagen über 3200 Kilometer Luftlinie. Also: Beruf oder Liebe?

Daraufhin schaltete sich sein damaliger Jugendtrainer Jorge Veras ein. "Ich habe ihm gesagt: 'Deine Freundin kann warten, Gremio aber nicht. Die würden statt dir einfach einen anderen Jungen holen und das würdest du irgendwann bereuen. Denn der andere Junge würde reich werden und du würdest arm bleiben. Sollte deine Freundin nicht warten können, wirst du irgendwann ein italienisches oder deutsches Mädchen finden'", berichtete Veras neulich im Guardian vom entscheidenden Gespräch im Jahr 2012. "Er hat es verstanden und ist losgereist."

Everton: Debüt mit 18, Copa-Libertadores-Sieg mit 21

Wie es mit seiner Freundin weiterging, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass Everton mit dem Wechsel in sportlicher Hinsicht alles richtig gemacht hat. Keine zwei Jahre später debütierte er mit 18 in der ersten brasilianischen Liga. In der darauffolgenden Saison erzielte er seine ersten Profitore, ein Jahr später wurde er Stammspieler und 2017 gewann er mit 21 die Copa Libertadores, die südamerikanische Champions League.

Im Sommer 2018 wurde Everton dann erstmals mit einem Wechsel nach Europa in Verbindung gebracht, angeblich beobachteten ihn Scouts von Borussia Dortmund, Bayer 04 Leverkusen und Manchester City. Statt aber zu wechseln, verlängerte er vorzeitig bis 2022 - und ließ sich eine Ausstiegsklausel in Höhe von rund 60 Millionen Euro in den Vertrag schreiben. Dass die aktuell durchaus angemessen erscheint, liegt an Evertons Auftritten bei der Copa America ab dem dritten Gruppenspiel.

Die kleine Zwiebel gilt als Sympathieträger

Everton bekam also den Neymar-Posten auf dem linken Flügel gegen Peru erstmals von Beginn an und verhielt sich dort wie ein gespiegelter Arjen Robben. Man sah ihn auf Höhe der Strafraumgrenze von der linken Seite in die Mitte dribbeln und den Ball dann irgendwann mit seinem starken rechten Fuß aufs Tor schießen. So machte er das zwischenzeitliche 3:0 gegen Peru und so hatte er zuvor auch schon sein Premierentor gegen Bolivien geschossen.

Seinen Startelfplatz hatte er für das restliche Turnier sicher, genau wie den lautesten Jubel der Fans. In Brasilien gilt Everton schließlich als Sympathieträger, was sich auch an seinem Spitznamen äußert. Weil seine durchaus kuriose Frisur (seitlich Robben-artig geschoren, oben büschelartig abstehend) an die der in Brasilien allseits beliebten Comicfigur Cebolinha erinnert, rufen sie ihn einfach ebenfalls so. Cebolinha, zu Deutsch: "Kleine Zwiebel".

Seiner Beliebtheit außerdem zuträglich ist der kleinen Zwiebel, dass sie sich nicht wie eine große Diva verhält. Everton übernahm zwar Neymars Aufgaben, nicht aber dessen Gehabe. Seit jeher gilt er als zurückhaltender Zeitgenosse. "Er war stets sehr ruhig, hat sich nie beklagt und immer das gemacht, was wir von ihm erwartet haben", erzählte sein Jugendtrainer Veras. "Zu uns Trainern hat er nur 'Ja' gesagt."

Everton ist offenbar ein Kandidat beim FC Bayern

Besonders laut bejubelt wurde Everton bei der Copa America aber auch, weil er als einziger Spieler der Sieger-Startelf in der Heimat und nicht im fernen Europa spielt. "Es freut mich, dass ich ein bisschen Liebe zurückgeben konnte", sagte Everton. "Manchmal bekommen nur die Legionäre Aufmerksamkeit und wir vergessen unsere Wurzeln. Ich hoffe, dass die Spieler der brasilianischen Klubs künftig wieder mehr im Fokus stehen."

Er selbst wird bald nicht mehr dazuzählen, denn sein Abschied noch in diesem Sommer gilt als sicher. "Everton ist bereit für einen Wechsel nach Europa", findet nicht nur sein Teamkollege Filipe Luis.

Abgesehen von den bereits 2016 interessierten Vereinen soll Everton auch bei Paris Saint-Germain, Manchester United und dem AC Milan diskutiert werden. Und beim FC Bayern München, wo ja gerade zunehmend panisch nach neuen Robben-artigen Flügelspielern gefahndet wird. Dessen Lieblingstrick kann Everton jedenfalls schon ganz hervorragend - nur halt seitenverkehrt. Das wäre aber egal, denn der FC Bayern hat ohnehin auf beiden Flügeln Bedarf.

Evertons Statistiken in der brasilianischen Serie A

SaisonSpieleToreAssists
20147--
2015144-
20162731
20173285
201828103
201963-
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