Mohamadou Idrissou im Interview: "Favre ist ein guter Trainer, aber ein linker Mensch"

Mohamadou Idrissou spielte zwischen 2010 und 2011 unter Lucien Favre für Borussia Mönchengladbach.
© imago

Mohamadou Idrissou hat über ein Jahrzehnt in den deutschen Bundesligen gespielt und gilt vielen als Skandalprofi. Seit Januar schnürt der mittlerweile 38-Jährige die Kickstiefel für den österreichischen Viertligisten Union Hallein.

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In Teil eins des Interviews spricht Idrissou über die Anfänge seiner Fußballkarriere in Kamerun, die ersten Schritte in Deutschland, den Tod von Marc-Vivien Foe und sein Problem mit dem ehemaligen Gladbach-Trainer Lucien Favre.

Hier geht's zum zweiten Teil des Interviews.

SPOX: Herr Idrissou, lassen Sie uns über Ihre Fußballkarriere sprechen. Sie sind 1980 in Kamerun geboren. Welche Rolle spielte der Sport in Ihrer Kindheit?

Mohamadou Idrissou: Mit acht Jahren hat es bei mir angefangen, dass ich nur noch mit dem Ball gespielt habe. Ich weiß noch, wie ich ganze Tage auf der Straße gekickt habe. Wenn ich mir das Knie aufgeschlagen habe, bin ich zu meiner Oma gelaufen und habe dort übernachtet, damit das meine Mutter nicht mitkriegt. Die anderen Jungs sind Fahrrad gefahren, aber mit mir Fußball spielen wollte keiner. Ich habe auch nie in einer Jugendmannschaft gespielt, immer nur in Schulteams.

SPOX: Was heißt das genau?

Idrissou: Ich war bis 14 Uhr auf einer katholischen Schule und hatte anschließend von 15 bis 18 Uhr noch Unterricht in der arabischen Schule nebenan. Irgendwann gab es Schulturniere, die von Claude Le Roy, der bei zahlreichen afrikanischen Ländern und auch in Kamerun Nationaltrainer war, organisiert wurden. Er hatte zuvor schon an Schulen ein paar Trainingseinheiten für Kinder geleitet. Er sah mich mit 13 bei einem dieser Turniere. Ich schoss in vier Spielen 21 Tore und war sehr schnell. Meine Mitschüler nannten mich später nur noch Gazelle. Bei den Turnieren schnitt ich immer gut ab und bekam Pokale, so dass plötzlich doch jeder mit mir Fußball spielen wollte.

SPOX: Ein Jahr später holte Sie Le Roy nach Europa in die Nachwuchsakademie von Racing Strasbourg. Dort blieben Sie bis zur Ihrem 19. Lebensjahr. Wie wurde dieses Angebot es in Ihrer Familie damals diskutiert?

Idrissou: Ich habe meinen Vater durch einen Autounfall verloren, als ich drei war. Ich hatte also nur meine Mutter. Manche Entscheidungen hat aber auch ihr Bruder getroffen, das ist in solchen Fällen in Kamerun nicht unüblich. Meine Mutter war natürlich dagegen. Sie wollte nicht, dass auch ich sie verlasse und dann auch noch alleine in Europa bin. Ich war aber so sehr darauf fixiert, eine richtige Fußballkarriere zu beginnen und wollte einfach nur weg. So sehr, dass ich dabei fast vergessen habe, dafür meine Familie zurücklassen zu müssen. Mein Onkel hat dann den Vertrag für mich unterschrieben. Meine Mutter hat ihren Bruder schon ihr Leben lang gehasst, aber dadurch ist es nicht unbedingt besser geworden. (lacht)

SPOX: Wie schwer fiel Ihnen die Gewöhnung an die neue Umgebung in diesem jungen Alter?

Idrissou: Auch das empfand ich nicht als problematisch. Die erste Reise dorthin blieb mir eher im Gedächtnis, denn ich saß zum allerersten Mal in einem Flugzeug. Das war für mich schon der Wahnsinn. Als kleines Kind habe ich immer zum Himmel hochgeschaut und die Flugzeuge beobachtet. Ich dachte aber, dass ich selbst niemals in einem solchen Ding da oben sitzen werde. Anschließend bin ich alle sechs Monate nach Hause geflogen. Natürlich wurde dann auch viel geweint, wenn wir uns gesehen und verabschiedet haben.

Idrissou über seinen verstorbenen Vater und den Wechsel nach Deutschland

SPOX: Hat Ihnen Ihr Vater damals gefehlt?

Idrissou: Ich weiß, was Sie meinen und manchmal habe ich auch daran gedacht, aber andererseits kenne ich es ja nicht anders. Ich kenne ihn nur von Fotos. Meine Mutter hat die ganzen Bilder von ihm bis heute vor uns versteckt, weil sie einfach nicht damit klar kommt, wenn wir über ihn reden. Wenn wir Bilder von ihm anschauen möchten, gehen wir zu unserer Oma. Immer, wenn ich ihn auf einem Foto sehe, weiß ich, dass er ein Teil von mir ist.

SPOX: Sie haben einmal gesagt, dass der Fußball Sie gerettet habe, weil Ihr Leben in Kamerun wohl vollkommen anders verlaufen wäre.

Idrissou: Ich habe ja gar keinen Abschluss oder irgendwelche Zeugnisse. So könnte ich in Kamerun kaum eine Ausbildung oder Arbeit finden. Ich brach die Schule in Kamerun für die Fußballschule in Strasbourg ab. Dort schloss ich meine Fußballausbildung zwar mit einer Art Diplom und der Note 1 ab, aber damit hätte ich mich im Grunde nirgends bewerben können. Ich habe alles auf die Karte Fußball gesetzt. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass sich dieses Risiko, das ich ja gar nicht als solches wirklich wahrgenommen habe, gelohnt hat.

Mohamadou Idrissou: Vereine und Statistiken

Saison

Verein

Spiele (Tore)

2001

FSV Frankfurt

18 (15)

2001-2002

SV Wehen

31 (13)

2001-2002

SV Wehen II

1 (2)

2002-2006

Hannover 96

64 (13)

2005

SM Caen (Leihe)

0 (0)

2006-2008

MSV Duisburg

45 (8)

2008-2010

SC Freiburg

74 (25)

2010-2011

Borussia Mönchengladbach

33 (5)

2011-2012

Eintracht Frankfurt

26 (14)

2012-2014

1. FC Kaiserslautern

61 (30)

2014

Maccabi Haifa

5 (0)

2015

KF Shkendija

5 (0)

2015-2016

KFC Uerdingen 05

22 (9)

seit 2018

Union Hallein

SPOX: In Strasbourg hatten Sie ein paar Einsätze in der zweiten Mannschaft, von den Profis waren Sie aber noch ein Stück entfernt. In der Winterpause 2000/01 wechselten Sie dann nach Deutschland zum damaligen Oberligisten FSV Frankfurt. In 18 Spielen gelangen Ihnen 15 Tore.

Idrissou: Es war mein Kindheitstraum, eines Tages in Deutschland zu landen. In Kamerun hat Deutschland in jeder Hinsicht einen sehr guten Ruf. Das einzige Problem, von dem ich immer hörte, war die Sprache. Ich habe alle Sprachen, die ich spreche, schnell gelernt. Deutsch war aber mit Abstand am schwierigsten. Anfangs kam es mir so vor, als sei es einfacher, ein Flugzeug zu fliegen. (lacht)

SPOX: Beim FSV blieben Sie neun Monate. Sie waren keine zwei Jahre in Deutschland, schon spielten Sie für Hannover 96 in der Bundesliga. Das war nach dem SV Wehen bereits Ihr dritter Klub in Deutschland. Wie erging es Ihnen in der Anfangszeit?

Idrissou: Ich hatte mich ja schon an Europa gewöhnt, daher bin ich in Deutschland eigentlich gleich mit allem klar gekommen. Nur mit einem nicht: Wasser mit Kohlensäure.

Idrissou über die deutsche Sprache und den ersten Besuch seiner Mutter

SPOX: Wie bitte?

Idrissou: Ich wusste nicht, dass es das gibt. In Frankreich gab es immer nur stilles Wasser. Ganz zu Beginn saß ich dann mal mit meinem Berater in einem Restaurant in Frankfurt. Er bestellte Wasser für uns und auf einmal stand dieser Sprudel vor mir. Sie hätten sehen sollen, wie es mir ging, als ich davon getrunken habe. Mein Magen hat verrückt gespielt, ich wäre fast gestorben.

SPOX: Wie haben Sie sich die deutsche Sprache letztlich beigebracht?

Idrissou: Das kam alles mit der Zeit durch meine Mitspieler. Aber nicht durch Tomas Oral, der in Frankfurt mein Trainer war. Der hat mich anfangs mal verarscht und gemeint, wenn man nach etwas fragen will, muss man am Satzende immer "du Dummkopf" hinzufügen. Das habe ich mir natürlich gemerkt, weil ich dachte, das wäre eine Höflichkeitsformel. In einem Supermarkt habe ich das angewendet. Zum Glück war die Dame schlau genug zu erahnen, dass mir das wohl irgendjemand eingeredet hat und ich selbst keine Ahnung hatte, was es eigentlich bedeutet.

SPOX: Unterricht haben Sie also nie genommen?

Idrissou: Nein. In Frankfurt gab es damals eine riesige Shoppingmall für die US-Militärs. Einer meiner Mitspieler hat dort gearbeitet und mir gesagt, dass es da tolle Sprachbücher gibt. Englisch-Deutsch und Französisch-Deutsch habe ich mir gekauft und in meiner Freizeit gelernt. Als ich 2006 in Duisburg spielte, lernte ich den Sohn eines Universitätsprofessors kennen. Er war Dolmetscher und durch ihn bekam ich auch Hilfe. Es hat eine Zeit lang gedauert, aber es ging gleich in die richtige Richtung und ich bin immer besser geworden.

SPOX: Wann haben Sie das erste Mal Ihre Mutter nach Deutschland geholt?

Idrissou: Erst als ich zwischen 2002 und 2006 in Hannover spielte. Ich hatte dort mein erstes Haus gebaut, das wollte ich ihr natürlich unbedingt zeigen. Sie kam allerdings im Januar und wäre fast erfroren. Ihr war völlig unverständlich, wie ich in diesem Klima überleben konnte. (lacht) Sie hat sich dann erkältet und meinte vor dem Rückflug: Einmal und nie wieder. Nach drei Jahren konnte ich sie aber noch einmal überreden. Da war es April und deutlich wärmer, aber ihr war das immer noch zu kalt.

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