Heiko Vogel im Interview: "Salah trainierte am ersten Tag unterirdisch"

Von Niklas König
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Sieht man an diesem Beispiel auch die Gefahr, wie schnell Talente verkannt werden können?

Vogel: Das passiert in drei Tagen nicht. Es geht bei Talenten nicht darum einzuschätzen, was du siehst. Du brauchst Fantasie und musst dir überlegen, wo der Spieler mit seinen Anlagen mal hinkommen kann. Die Kategorie Momo darf dir niemals durch die Lappen gehen.

Wobei doch genau so etwas schon zigfach passiert ist im Profifußball. Marco Reus musste den BVB verlassen, weil er keine Perspektive gesehen hat und als zu schmächtig galt.

Vogel: Das war aber der Vorteil, den wir bei Bayern hatten. Mit einem Philipp Lahm wäre das nicht passiert. Wir waren eine kleine Enklave, um die sich keine Sau gekümmert hat. Wir durften. Und wir haben gesagt: Uns interessiert bei einem Spieler nicht, wo er jetzt gerade ist. Wir schauen in die Zukunft. Philipp war so spielintelligent, das musste man sehen. Dazu muss man wissen: Philipp hatte in der U16 keine Schnitte. Ich weiß noch, wie wir in Landshut gespielt haben, unsere U16 gegen deren U17. Bei Landshut lauter Kühlschränke mit langen Bärten, Philipp noch nicht einmal im Stimmbruch. In der Halbzeit kam Philipp zu Hermann Hummels und hat gesagt, er habe Probleme mit dem Knöchel und könne nicht mehr spielen. Am nächsten Tag war Training. Ich fragte: 'Philipp, was machst Du hier?' 'Ich trainiere.' 'Geht's wieder mit Deinem Knöchel?' 'Jaja, alles gut.' Philipp hat einfach gemerkt, dass er keinen Stich gemacht hat. Die Landshuter Jungs haben dreimal so viel gewogen wie er. Aber das hat uns nicht interessiert - und das ist in anderen Leistungszentren vielleicht auch aufgrund des Drucks anders.

Es gab aber auch bei Bayern Spieler wie Ekici oder Misimovic, die man durch eine bessere Förderung - und eventuell einer Leihe - in der ersten Mannschaft hätte etablieren können.

Vogel: Zu hundert Prozent. Zu einer Karriere gehört auch viel Glück, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Bei Schweini war es so. Philipp und Toni waren so außergewöhnlich gut, die konnte man nicht verhindern. Bei allem Talent braucht man auch die richtigen Entscheidungen. Einerseits die Entscheidungen, die man selbst trifft, andererseits die Entscheidungen, die in deinem Sinne getroffen werden.

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Heiko Vogel über seine schlechtese Erinnerung in Basel

Kommen wir auf Salah zurück, der im Juni die Champions League gewonnen und im Finale gegen Tottenham Hotspur per Elfmeter getroffen hat: Sind Sie von seinem Werdegang überrascht?

Vogel: Dass er alle Anlagen hatte - die Schnelligkeit, den Abschluss, den linken Fuß -, war nicht zu übersehen. Trotzdem würde ich lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte ihm diese Weltkarriere prophezeit. Da war ich mir bei anderen sicherer, bei Toni oder Eden Hazard, die ich im Alter von 15 Jahren gesehen habe. Das Schöne ist: Ich habe Momo letztes Jahr getroffen und er hat sich überhaupt nicht verändert. Das ist herausragend. Wenn Sie ihn kennen würden: Er ist kein Weltstar, er hat einen so sanften Charakter. Bei ihm war immer klar, dass er ein überragender Kicker ist, aber ob er es von der Mentalität schafft? Das wusste man nicht so genau. Momo ist ein sanfter Killer.

Was ist Ihre schlechteste Erinnerung an die Zeit in Basel?

Vogel: Die Entlassung, ganz klar. Es war meine erste Entlassung als Cheftrainer. Man sollte sich als Trainer nicht dran gewöhnen, aber es gehört zum Geschäft. Mit etwas Abstand habe ich daraus viel lernen können, aber in dem Moment war es unglaublich schwierig zu akzeptieren. Ich habe bei Basel einen guten Job gemacht und national genau zwei Spiele verloren. Dementsprechend war das schon schwierig zu verstehen. Ich habe dahingehend mit Graz ein Deja-Vu erlebt. Du bist erfolgreich und dann wird dir zweimal die halbe Mannschaft weggekauft. In Basel habe ich mit Abraham, Xhaka und Shaqiri eine Achse verloren, zudem haben Scott Chipperfield und Benni Huggel ihre Karrieren beendet. Die Neuzugänge waren super, nur hatte ich nicht viel von ihnen. Momo Salah kam, machte ein Spiel und war dann vier Wochen in London bei den Olympischen Spielen.

Nach Ihrer Zeit in Basel hatten Sie erstmals eine längere Pause von ziemlich genau einem Jahr. Wie haben Sie sich beschäftigt?

Vogel: Ich habe versucht, abzuschalten und gleichzeitig meinen Horizont zu erweitern, mich mit anderen Sportarten beschäftigt. Damit, was erfolgreiche Mannschaften in ihren jeweiligen Bereichen auszeichnet. Ich habe mir gezielt Fußballspiele angeschaut. Sowas eben. Es war aber ganz wichtig, mal abzuschalten. Irgendwann wird man betriebsblind. Das beziehe ich nicht auf einen Verein, sondern auf die eigene Arbeit mit einer Mannschaft. Da tut Abstand gut - und ich empfehle es, diesen Abstand zu nehmen. Das hat nichts mit Unprofessionalität zu tun.

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Heiko Vogel über seine Rückkehr zum FC Bayern

Sie sind 2013 zum FC Bayern zurückgekehrt, arbeiteten zunächst zwei Jahre als U19 Trainer und anschließend als U23-Coach sowie Sportlicher Leiter in Personalunion. Sind Sie nicht verrückt geworden mit diesem Doppeljob?

Vogel: Ob ich mir das nochmal zumuten würde, weiß ich nicht. Es war schon eine große Verantwortung und eine extreme Belastung. Vielleicht ist die U23 teilweise zu kurz gekommen, weil ich die eine oder andere Trainingseinheit nicht so vorbereitet habe, wie es die Mannschaft verdient gehabt hätte.

2017 ging es nach zwei Jahren zu Ende. Dabei braucht man doch gerade im Nachwuchs Zeit, um eine Entwicklung einzuleiten.

Vogel: Das war schon bayern-typisch. Gerade im Nachwuchs gab es sehr viele Wechsel in den vergangenen Jahren. Jugendarbeit zeichnet sich aber auch durch Kontinuität aus. Ich hoffe, dass die Entwicklung wieder mehr in diese Richtung geht und die jetzigen Verantwortlichen die nötige Zeit bekommen. Jugendarbeit sollte nie kurzfristig erfolgreich sein, sondern minimal mittel- und am besten langfristig. Das ist beim FC Bayern aufgrund des hohen Anspruchs und der extremen Qualität der ersten Mannschaft sehr, sehr schwer. Da gibt es nur wenige Slots für junge Spieler, sowohl zeitlich als auch von der Qualität. Deshalb muss ich die Beteiligten auch etwas in Schutz nehmen.

Sie haben nach Ihrem Rücktritt als U23-Trainer gesagt, dieser sei alternativlos gewesen. Wäre es keine Option gewesen, als Sportlicher Leiter weiterzumachen?

Vogel: Nein.

Warum nicht?

Vogel: Ganz oder gar nicht.

Sie haben doch gerade die Doppelbelastung beklagt. Zudem ist es eigentlich üblich, in Vollzeit als Sportlicher Leiter zu arbeiten.

Vogel: Es war aber klar, dass sich zum Saisonende etwas ändern würde. Da war ich nicht zu Kompromissen bereit.