Manuel Neuers Klasseleistung gegen RB Leipzig: Er hat es allen gezeigt

Von Dennis Melzer
Der Reflex des Pokalendspiels: Neuer lenkt Poulsens Kopfball an die Latte.
© getty

Manuel Neuers Reklamierarm ist Kult. Im Pokalfinale hatte jenes Körperteil erheblichen Anteil am 3:0-Sieg des FC Bayern München über RB Leipzig. Von Genugtuung oder gar Retourkutschen in Richtung seiner Kritiker wollte der Comebacker nichts wissen, erleichtert war er aber schon.

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Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, heißt es. Bezieht man diese Binsenweisheit auf Manuel Neuer, taucht vor dem geistigen Auge eine verlässlich wiederkehrende Geste auf. Ein Automatismus, der immer dann greift, wenn der Schlussmann des FC Bayern soeben von einem gegnerischen Spieler überwunden wurde. Ausgestreckter Arm, vorwurfsvoller Blick in Richtung Schiedsrichter oder dessen Assistenten. Die Körpersprache signalisiert: Irgendetwas muss doch faul an diesem Treffer sein. Abseits, Foul, Handspiel, ganz egal.

Neuer bemühte den sogenannten Reklamierarm derart häufig, dass dieser unweigerlich - quasi als ikonische Geste im negativen Sinne - mit ihm in Verbindung gebracht wird. Neymar hat seine theatralische Rolle, Andreas Möller die Schutzschwalbe und Neuer den Reklamierarm, der bereits eigene Twitter- und Instagram-Profile hat.

Der Reflex des Pokalendspiels: Neuer lenkt Poulsens Kopfball an die Latte.
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Der Reflex des Pokalendspiels: Neuer lenkt Poulsens Kopfball an die Latte.

Manuel Neuer nicht mehr unantastbar

Mit Spott sind die Menschen im Internet schnell und bisweilen kreativ, die Fehlbarkeit einer prominenten Person wird als Anlass genommen, sich selbst zu profilieren. In Neuers Fall bildete die Häme vor allem sinnbildlich einen Wandel ab, den der einstige Welttorhüter in der öffentlichen Wahrnehmung genommen hat.

Der Held von 2014 war nicht mehr unantastbar. Weil die Verletzungen sich häuften und die großen Paraden weniger wurden. Dass viele Experten und Fans forderten, Marc-Andre ter Stegen, der beim FC Barcelona mit Fabelleistungen glänzte, solle Nummer eins im Tor der Nationalmannschaft werden, war die logische Konsequenz des Ganzen.

Im Vorfeld des DFB-Pokalendspiels wurde dementsprechend spekuliert, ob es denn wirklich richtig sei, Neuer, der immerhin 41 Tage aufgrund einer Wadenverletzung gefehlt hatte, zwischen die Pfosten zu stellen. Da man im Nachhinein immer schlauer ist, fällt die Antwort einfach aus: Ja, das war es. In der 11. Minute riss der Schlussmann gedankenschnell den rechten Arm in die Höhe, um einen wuchtigen Kopfball von Yussuf Poulsen ans Gebälk zu lenken, kurz nach dem Seitenwechsel entschärfte er einen Abschluss des alleine auf ihn zueilenden Emil Forsberg ähnlich spektakulär und bewahrte seine Farben somit vor dem sicheren Ausgleich. Er hatte es nach einer gefühlten Ewigkeit wieder getan, er hatte die vermeintlich Unhaltbaren gehalten.

David Alaba: Neuers Leistung? "Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn"

"Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn", rief ein entzückter David Alaba den anwesenden Reportern zu, als er auf die Leistung des Kapitäns angesprochen wurde, Mats Hummels führte aus: "Er hat hervorragend gehalten. Für solche Aktionen ist er bekannt."

Der Innenverteidiger schob nach: "Er ist ein klasse Keeper, ein super Typ und Kapitän. Mehr kann man sich nicht wünschen." Neuers Darbietung wurde selbst vom gegnerischen Trainer Ralf Rangnick anerkannt. "Ich habe ihn selbst trainiert. Mir braucht niemand zu sagen, was für ein außergewöhnlicher Torwart Manuel ist", sagte der RB-Trainer und -Sportdirektor in Personalunion im Anschluss an die Begegnung auf der Pressekonferenz.

Und der Held des Abends? Der blieb gewohnt sachlich. "Die Mannschaft vertraut mir, der Trainer vertraut mir. Ich war vom Kopf her bereit", erklärte Neuer in der kalten, spartanisch eingerichteten Mixed Zone im Berliner Olympiastadion.

Manuel Neuer: "Ich mache keine Kampfansagen"

Generell habe er noch etwas nachholen wollen, war er doch im vergangenen Jahr nicht rechtzeitig fürs Pokalfinale fit geworden, das letztlich mit 1:3 gegen Eintracht Frankfurt verlorenging. "Es war bitter im letzten Jahr, dass ich ausgefallen bin. Ich mag den Wettbewerb und war hochmotiviert." Dennoch, bei aller bemühten Souveränität: Entgangen sein dürften dem 33-Jährigen die sich in den vergangenen Jahren mehrenden kritischen Stimmen nicht.

"Ich habe auf gar keinen Fall eine schlechte Saison gespielt", hielt er entgegen und schob nach: "Ich mache aber keine Kampfansagen oder sage etwas gegen irgendwelche Kritiker. Das war noch nie meine Art."

Deutlicher gegen Neuers Widersacher positionierte sich hingegen Teamkollege Thomas Müller. "Er hat diese Saison ziemlich leiden müssen, nicht nur körperlich, er hat so viel aufs Dach bekommen. Er hat es wieder allen gezeigt, dass er da ist, wenn es brennt." Nachvollziehbare Aussagen, wenn man bedenkt, dass Müller nur wenige Augenblicke zuvor das Double mit seinem langjährigen Mannschaftskameraden feiern durfte.

Manuel Neuer: Reklamierarm ist wieder Parierarm

Tatsächlich aber war Neuer zuletzt nicht immer da, wenn es brannte, sah beispielsweise beim 0:1 durch Sadio Mane vom FC Liverpool, das das frühe Champions-League-Aus der Münchner einleitete, alles andere als gut aus. Zudem patzte er auch im DFB-Dress. Beim 0:3 gegen die Niederlande in der Nations League, als er einen Eckball falsch einschätzte. Im Hinspiel gegen Borussia Dortmund verschuldete er einen vermeidbaren Elfmeter gegen Marco Reus.

Auch deshalb schien die glanzvolle Leistung bei seinem Comeback gegen die Roten Bullen eine Last von Neuers breiten Schultern zu nehmen. "Besser hätte man das Drehbuch nicht schreiben können", gab er in der ARD zu.

Es lag vor allem daran, dass der vielzitierte und häufig belächelte Reklamierarm sich plötzlich wieder in einen Parierarm verwandelt hatte. Zurück zu den Wurzeln, kurze Momente, die den Zuschauer in die großen Neuer-Jahre zurückversetzten. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. Selbst wenn die Gewohnheiten sich manchmal anders als gewünscht äußern.