U21-Trainer Stefan Kuntz: Von der Übergangslösung zum DFB-Vorzeigemodell

Von Robin Haack
Stefan Kuntz hat die DFB-Junioren ins EM-Finale geführt.
© getty

Seine Verpflichtung wurde 2016 sehr kritisch gesehen, nun steht Stefan Kuntz mit der U21 vor seinem zweiten EM-Finale (Deutschland vs. Spanien, 20.45 Uhr im LIVETICKER) - und empfiehlt sich für mehr.

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Als Nadiem Amiri am Donnerstagabend gegen Rumänien den entscheidenden Freistoß zum 4:2 im Netz versenkte, brachen bei der U21-Nationalmannschaft alle Dämme. Wie im Rausch sprintete der Torschütze zur deutschen Bank und wurde von seinen Teamkollegen von einer Jubeltraube bedeckt. Auch Trainer Stefan Kuntz war mittendrin und wusste erst gar nicht wohin mit seinen Emotionen. Er drehte sich im Kreis, riss die Arme in den Himmel und sprang seinem Co-Trainer Antonio Di Salvo entgegen.

Und spätestens als der Schiedsrichter die Partie wenige Augenblicke später beendete, wurde der Coach sentimental. Mit gläsernen Augen herzte er jeden, der ihm entgegenkam. Denn er hatte es wieder geschafft - zum zweiten Mal in Serie steht seine U21 im Finale der Europameisterschaft.

Eine Tatsche, mit der bei seiner Vorstellung im September 2016 niemand gerechnet hätte - wahrscheinlich nicht mal er selbst. Denn die Nachfolge von U21-Trainerlegende Horst Hrubesch war eigentlich jemand anders vorgesehen: Marcus Sorg. Der Ex-Profi des SSV Ulm entschied sich jedoch für den Co-Trainer-Job in der A-Nationalmannschaft. So wurde mit Kunz damals lediglich eine Art Übergangslösung präsentiert.

Stefan Kuntz im Management und auf der Trainerbank lange ohne großen Erfolg

Gerade öffentlich wurde die Verpflichtung von Kuntz kritisch gesehen, da seine bisherige Trainerkarriere nicht gerade von Erfolg gekrönt war. Nachdem er 1999 zunächst bei seinem Heimatverein Borussia Neunkirchen in der Oberliga Erfahrungen an der Seitenlinie gesammelt hatte, coachte er den Karlsruher SC, Waldhof Mannheim und LR Ahlen - mehr als die 2. Bundesliga konnte er dabei nicht vorweisen.

2003 wechselte er von der Trainerbank dann sogar ins Management des 1. FC Kaiserslautern, dem Klub, bei dem er auch als Aktiver seine besten Jahre erlebt hatte. 75 seiner 179 Bundesligatreffer schoss er für die Roten Teufel, sodass er mit großen Vorschusslorbeeren nach Lautern zurückkehrte. Nach vielversprechendem Beginn stoß er am Betzenberg allerdings an seine Grenzen und war mitverantwortlich für den großen Schuldenberg, der sich beim Traditionsklub angehäuft hatte.

Zwar stieg der FCK mit Kuntz in leitender Position 2010 in die Bundesliga auf und schaffte im Folgejahr den Klassenerhalt, doch als es 2012 zurück in die Zweitklassigkeit ging, nahm der Abwärtstrend in Kaiserslautern seinen Lauf. Nach drei knapp verpassten Aufstiegen verpasste es der damalige Geschäftsführer den teuren Kader auszudünnen, traf schlechte Transferentscheidungen und lebte mit dem Verein über den eigenen Verhältnissen - Lizenzprobleme und Verkäufe von vielversprechenden Spielern waren die Folge. Das Aus des einstigen Publikumslieblings im Jahr 2016 das Ergebnis.

U21-Trainer Stefan Kuntz spricht die Sprache der Jugend

Unabhängig vom sportlichen Misserfolg war bei den Roten Teufeln aber schon damals erkennbar, dass Kuntz viel Wert auf die Jugendarbeit legt und vor allem in der Kommunikation seine Stärken hat. So war auch der Europameister von 1996 mitverantwortlich, dass etwa Willi Orban, Kevin Trapp oder Dominik Heintz den Sprung in die Bundesliga schafften - auch aufgrund finanzieller Probleme verließen die Drei den Betzenberg allerdings schon früh.

Diese Fähigkeiten, mit jungen Spielern zu arbeiten, blieb scheinbar auch dem DFB nicht verborgen und die Entscheidung, Kuntz zum U21-Trainer zu befördern erwies sich als goldrichtig - nicht nur aufgrund der zweiten Finalteilnahme in Folge. Kuntz gilt trotz seiner 56 Jahre als Typ, der die Jugend versteht und kommt im Team ungeheuer gut an.

"Ste-fan Kuntz, und Ste-fan Kuntz - wir lieben dich", sang Benjamin Henrichs etwa durch den Mannschaftsbus der U21, als das Team durch das Remis gegen Österreich den Einzug ins EM-Halbfinale perfekt machen konnte. Diese "Liebe" kommt nicht von ungefähr und ist längst nicht selbstverständlich, denn der Coach, weiß genau, wie er die Mannschaft anfassen muss.

Trainerteam um Stefan Kuntz als Paradebeispiel im DFB

"Er erreicht in seinen Ansprachen jeden Spieler durch seine Emotionen, Gestik und Mimik - ganz unabhängig vom Spielertyp", erklärt beispielsweise Felix Uduokhai, der in sich auch dank Kuntz als Teil des Teams fühlt, obwohl er beim Turnier in Italien noch ohne Einsatzminute ist. "Er erreicht in seinen Ansprachen jeden Spieler durch seine Emotionen, Gestik und Mimik - ganz unabhängig vom Spielertyp. Er weiß genau, wie er etwa mit Mo Dahoud oder Flo Neuhaus reden muss und hat ein tolles Gespür für jeden Spieler."

Egal, wen man dieser Tage im italienischen Fagagna auf Kuntz anspricht - niemand würde auch nur auf die Idee kommen, etwas Negatives über den Trainer zu sagen, der in der Öffentlichkeit stets durch seine Mischung aus Offenheit und Autorität überzeugt. "Stefan ist ein guter Typ und lässt seine Erfahrung, die er als Profi gesammelt hat, sehr gut einfließen. Er weiß genau, wie er mit seinem Team umzugehen hat", bestätigt auch Meikel Schönweitz, der als Cheftrainer der deutschen U-Nationalmannschaften bestens über die Arbeit des 56-Jährigen Bescheid weiß.

Für Schönweitz sind Kuntz und seine Co-Trainer Antonio Di Salvo und Daniel Niedzkowski inzwischen sogar zum Paradebeispiel im DFB geworden. Als Teil der Umstrukturierung des DFB ist es ein Ziel des Verbandes, in den Jugendmannschaften einen Altersspezialisten (Di Salvo) mit einem innovativen (Niedzkowski) und einen erfahrenen Trainer (Kuntz) zu kombinieren: "Das beste Beispiel für dieses Konzept ist die U21, an der wir uns ein Stück weit orientieren."

Oliver Bierhoff: "Wir wollen Stefan auf keinen Fall abgeben"

In gleicher Weise lobte zuletzt auch Oliver Bieroff das Trainerteam rund um Kuntz und betonte, dass man langfristig mit dem aktuellen U21-Coach planen will. "Stefan wollen wir auf keinen Fall abgeben", machte der Manager der Nationalmannschaft aber gleichzeitig klar, denn sein Vertrag läuft nur noch bis 2020.

Was danach passiert, ist derzeit noch offen. Während Schönweitz davon ausgeht, dass Kuntz sich die olympischen Spiele in Tokio im kommenden Jahr nicht entgehen lassen wird, wird sogar gemutmaßt, dass Kuntz im A-Team auf Bundestrainer Joachim Löw folgen könnte. "Wer die U21 zum Titel führen kann, hat das Zeug für mehr", könnte sich auch Henrichs seinen aktuellen Coach bei den Großen vorstellen.

Kuntz selbst will sich zu etwaigen Spekulationen nicht äußern - besonders nicht jetzt, wo das EM-Finale gegen Spanien auf dem Programm steht - sein zweites in Serie. Für jemanden, der als Notlösung abgestempelt wurde, keine schlechte Bilanz.

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